Der Mensch als Subjekt wissenschaftlicher Methodik

Vortrag, gehalten auf der 1. Internationalen Ferienuniversität Kritische Psychologie vom 7.-12. März 1983 in Graz. Veröffentlicht in: Braun, K.-H., Hollitscher, W., Holzkamp, K. & Wetzel, K. (Hrsg., 1983): Karl Marx und die Wissenschaft vom Individuum. Bericht von der 1. internationalen Ferienuniversität Kritische Psychologie vom 7.-12. März in Graz. Marburg: Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaften, S. 120-166. Download (PDF, 555 KB): kh1983a.pdf

Klaus Holzkamp

Inhalt

Allgemeine Vorklärungen
1.1. Kritische Psychologie als Kategorialanalyse
1.2. Das Postulat der unmittelbaren Umweltbeziehungen vs. Schaffung und Veränderung gesellschaftlicher Lebensbedingungen
1.3. Allgemeine und historisch bestimmte Charakteristika des Verhältnisses von gesellschaftlicher und individueller Reproduktion

Historisch-empirische Verfahren (Kategorialanalyse)
2.1. Genetische und begriffliche Isomorphie: die Stufen der Analyse
2.2. Die Spezifika der individuellen Handlungsfähigkeit

Aktualempirische Verfahren
3.1. Gegenstandsadäquatheit und Objektivitätskriterien
3.2. Kontrollwissenschaft vs. Subjektwissenschaft
3.3. Die Unreduzierbarkeit der Intersubjektivität
3.4. Die Einheit von Praxis und Erkenntnisgewinn
3.5. Möglichkeitsverallgemeinerungen

Vorbemerkung im Originaltext von 1983:
* Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Tonbandabschrift des Beitrages von Holzkamp auf der Ferienuniversität, der von der Redaktion geringfügig gekürzt, etwa stilistisch überarbeitet und mit Zwischentiteln versehen wurde; es sei an dieser Stelle der Arbeitsgruppe Kritische Psychologie aus Innsbruck für die Erstellung der Tonbandabschrift herzlich gedankt. K.W.

Vorbemerkung zur digitalisierten Version:
** Die Absatzgestaltung und Auszeichnungen wurden so weit wie möglich der Transkription des Vortrages im o.g. Buch angepasst.

In diesem Thema selber steckt natürlich eine Art Kritik an der traditionellen Psychologie … wenn es da heißt, der Mensch als Subjekt der wissenschaftlichen Methodik, dann steckt da irgendwo drin die Annahme, daß in der traditionellen Psychologie der Mensch halt nicht Subjekt der wissenschaftlichen Methodik ist, und im Laufe der Zeit werde ich klar machen, was das heißt.

Der ganze Aufbau des Vortrages zielt darauf ab, in gewisser Weise die Vorgehensweise der Kritischen Psychologie von der der traditionellen Psychologie abzuheben, also die Unterschiede mal herauszuheben, worin eigentlich der wesentliche Unterschied liegt. Und insofern gehe ich anders vor, als der Karl-Heinz und die Konstanze, die ja mehr gegenstandshistorisch die verschiedenen Begriffe der Kritischen Psychologie entwickelt haben. Ich will also mehr die wissenschaftlichen Bezüge, zumindestens das Verhältnis zwischen Kritischer Psychologie und traditioneller Psychologie oder traditioneller Sozialwissenschaft berücksichtigen.

1. Allgemeine Vorklärungen

1.1. Kritische Psychologie als Kategorialanalyse

Nun, wenn man also jetzt danach fragt, worin bestehen denn die methodischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Kritischer Psychologie und traditioneller Psychologie, dann ist ja zunächst mal die Frage offen, nach welchen Dimensionen oder Merkmalen man diese Bereiche vergleicht. Da haben wir ziemlich lange gebraucht, bis wir dahinter gekommen sind, worin eigentlich unsere Vorgehensweise besteht. Über lange Zeit hin hatten wir so die Vorstellung eben einer anderen psychologischen Theorie oder Schule oder Arbeitsrichtung usw. und haben dann erst in der letzten Zeit herausgekriegt, daß unsere Kritik sich eigentlich auf was ganz anderes bezieht; da ist uns folgender Unterschied klargeworden: Wenn man sich so die psychologischen Theorien ansieht, die sind ja zunächst mal so was wie Behauptungen oder Zusammenhänge, da werden Aussagen gemacht, Wenn-Dann-Aussagen, wenn die und die Bedingungen eingeführt werden, dann passiert das und das. Meinetwegen so’n typisches Beispiel: Es besteht In Zusammenhang zwischen der Verstärkungsrate und dem Lernerfolg. Verstärkung wird Euch irgendwie bekannt vorkommen aus dem Behaviorismus. Einfach ausgedrückt hat das mit Belohnung was zu tun, wird dann teilweise theoretisch anders gefaßt. Ist klar, ist In trivialer Satz, je mehr eine bestimmte Reaktion belohnt wird, desto häufiger tritt sie nachher auf. Das ist eine quantitative Zusammenhangsannahme, und das ist der theoretische Aspekt. Außerdem kommen aber in solchen Aussagen auch noch bestimmte Begriffe vor. Also etwa hier der Begriff „Reinforcement“ oder der Begriff „Lernen“. Und was uns immer deutlicher wurde, ist, daß mit dieser üblichen empirischen Prüfung der Theorien diese Begriffe eigentlich gar nicht mitgeprüft werden. Sondern diese Grundbegriffe sich eigentlich vorausgesetzt und kommen irgendwo anders her. Meinetwegen, wenn ich jetzt also irgendein Experiment mache, meinetwegen mit Ratten oder sonst irgendwas, um festzustellen, Belohnungsrate und Lernerfolg, da soll ein Zusammenhang bestehen, dann kann sich diese Hypothese bestätigen, kann aber auch sich nicht bestätigen, wenn der Zusammenhang nämlich nicht herauskommt. Aber die Begriffe selber, die stehen damit gar nicht mit zur Diskussion, sondern die sind vorausgesetzt. Was man unter Lernen versteht, ob man Lernen richtig versteht, ob man Lernen so versteht, daß man damit menschliches Lernen richtig fassen kann, ob der Begriff Reinforcement der geeignete Begriff ist, um menschliches Lernen zu erfassen, alle diese Fragen sind dabei nicht mit geklärt.

Und dabei wurde für uns auch deutlich, daß das, was in Experimenten passiert, weitgehend abhängig ist von diesen Begriffen. Wenn ich meinetwegen so einen Begriff wie Reinforcement habe, ist klar, daß ich da isolierte Einheiten, wie Belohnung, in dem Versuch realisiere. Das steckt in diesem Begriff drin. Den messe ich mit irgendwas, meinetwegen Anzahl von den gelösten Aufgaben oder sonst irgendwas. Das heißt also, was überhaupt im Experiment untersuchbar ist, das hängt ab von den Grundbegriffen; aber die Experimente selber können diese Grundbegriffe gar nicht überprüfen. Das ist also eine ganz wichtige Sache, es ist völlig unmöglich, den Begriff wie Reinforcement experimentell zu widerlegen. Und dann ist die nächste Frage, wo kommen diese Grundbegriffe eigentlich her, und woher kriegen die ihre Wissenschaftlichkeit.

Da hat unsere eigene Vorgehensweise für uns verdeutlicht, daß wir nämlich versuchen, diese wissenschaftliche Tragfähigkeit logischer Grundbegriffe, die wir Kategorien nennen, zu untersuchen; d.h. ’ne Methode zu entwickeln, mit der man diese Grundbegriffe wissenschaftlich begründen kann. Und das ist ein Verfahren, das in der traditionellen Psychologie überhaupt kein Pendant hat. In der traditionellen Psychologie gehört eigentlich die Entstehung der Grundbegriffe nicht zur Wissenschaft.

Diese werden tradiert, es gibt da sowas, man spricht also von Phänomenanalysen, Beschreibungen usw. Auf dieser Ebene spielt sich das ab, und die Wissenschaft fängt eigentlich erst an bei der Überprüfung der mit den Begriffen gebildeten Zusammenhangsannahmen. D.h. die Begriffe selbst sind außerhalb des wissenschaftlichen Programms, die kommen irgendwo her, die hat man übernommen, sich selber ausgedacht oder so. Die Wissenschaft fängt erst an mit den Zusammenhangsannahmen.

Unserer Annahme nach ist das ein ungeheurer Mangel und zwar deswegen, weil das, was in den Untersuchungen überhaupt passieren würde, von den Grundbegriffen abhängt, und wenn die also beliebig sind, dann ist im Grund das, was da experimentell untersucht wird, auch beliebig. Nicht die Ergebnisse, die sind nicht beliebig, aber in dem, was man untersucht. Was bedeutet das, welche Relevanz hat das, in welchem Zusammenhang ist das zu sehen, was da untersucht wird? Die Frage ist eigentlich nicht behandelbar, wenn man diese Frage nach der Entstehung und der Berechtigung der Grundbegriffe nicht auch dazustellt.

So, und damit sind wir also bei unserer Fragestellung innerhalb unserer Entwicklung, daß wir nämlich eigentlich sowas machen wie Kategorialanalysen. Und das heißt, die Kritische Psychologie beschäftigt sich primär mit der Frage der Ableitung der Grundbegriffe, wobei viele dieser Grundbegriffe viel allgemeiner sind als die Theorien. Meinetwegen so ein Begriff wie „Reiz“. Reiz-Reaktion, das kommt in einer Unmenge verschiedener Theorien vor, auch der Begriff Verstärkung kommt in verschiedenen Theorien vor; andere, die sind etwas spezieller, meinetwegen Gestalt, etwa bei Piaget so etwas wie Gleichgewicht. Also da gibts allgemeine, die das ganze Fach in gewisser Weise charakterisieren und welche, die irgendwo spezieller sind. Und jetzt also die Frage, die ich ja am Anfang stellte, worauf bezieht sich eigentlich die Kritik der Kritischen Psychologie an d e r traditionellen Psychologie?

Vorausgesetzt, daß es bestimmte Gemeinsamkeiten dieser Grundbegriffe gibt, die allen zukommen, unabhängig davon, welche konkrete Theorie das ist. Ob es Piaget ist, oder ’ne Lerntheorie, was ich versuche zu zeigen, ist, daß es bestimmte Grundeigentümlichkeiten gibt, die also die kategoriale Struktur sozusagen in der Psychologie ausmacht und an diesen allgemeinsten Kriterien setzt dann auch unsere Kritik an.

Also nochmal: Kritische Psychologie ist keine Theorie, auch keine Schule, sondern eigentlich ein Versuch auf einer paradigmatischen Ebene eine neue Sorte von psychologischen Grundbegriffen wissenschaftlich abzuleiten. Und dabei ist unser Anspruch überhaupt, erstmals wissenschaftliche Methoden in diesem Bereich zu entwickeln, die es bisher in der Psychologie nicht gab und damit gleichzeitig inhaltlich zu neuen Bestimmungen für die psychologische Forschung zu kommen.

Diese Kategorien haben Konsequenzen für die Theorienbildung, haben auch Konsequenzen für die Methodik, sind aber nicht damit identisch. D.h. man kann aus diesem kategorialen System auch verschiedene Theorien ableiten, die in Konkurrenz stehen können. Es kann also innerhalb der Kritischen Psychologie einen Theorienstreit geben auf der Basis der gleichen Kategorien. Genauso wie es in der traditionellen Psychologie einen Theorienstreit gibt, ebenfalls auf der Basis der unserer Auffassung nach unzulänglichen gemeinsamen Kategorien der traditionellen Psychologie. D.h. also von der Kritischen Psychologie, z.B. des Tests, zu reden, ist eigentlich nicht ganz richtig. Und es gibt eigentlich auch keine kritisch-psychologische Theorie der Therapie. Es gibt bestimmte Voraussetzungen kategorial-methodologischer Art, unter denen man das Problem der Therapie behandeln muß, sofern man sich diesem Paradigma verpflichtet, aber innerhalb dieses Rahmens kann man durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen über Therapie kommen, auch Kontroversen austragen, auf diese Weise per Widerspruch sich fortbewegen. Es ist also nicht so, daß die Kritische Psychologie ein in sich geschlossenes System ist, von der aufgrund von allerallgemeinsten Grundbegriffen jetzt alles ableitbar ist, sondern sie stellt die Grundlage für eine gewisse empirische Forschung dar, die in sich unabgeschlossen ist und wo Kontroversen unterschiedlicher Auffassungen möglich sind. Allerdings steht natürlich immer die Frage: Sind diese kontroversen Auffassungen noch rückbeziehbar auf diese allgemeine kategoriale Struktur? Gehören sie nicht mehr dazu, sondern zur bürgerlichen Psychologie? Diese Frage muß man sich immer stellen, und darum gehen natürlich viele Diskussionen.

1.2. Das Postulat der unmittelbaren Umweltbeziehungen vs. Schaffung und Veränderung gesellschaftlicher Lebensbedingungen

Also, das war die erste Ebene. Die zweite Frage wäre dann, was sind denn nun die Gemeinsamkeiten der Kategorien der traditionellen Psychologie, gegen die sich die Kritische Psychologie wendet und versuchen will, systematisch eine andere Art von Grundbegrifflichkeiten zu schaffen. Diese Gemeinsamkeit, wenn man sie auf einen einfachen Nenner bringen will, ist die Annahme der unmittelbaren Abhängigkeit des Verhaltens der Individuen von ihren Umwelt-Bedingungen. Leontjew hat das mal Unmittelbarkeitspostulat genannt. Und zwar können diese Umweltgegebenheiten dingliche Sachen sein wie auch andere Menschen. Diese Unmittelbarkeitsannahme ist unserer Auffassung nach das Gemeinsame der gesamten bürgerlichen Psychologie. Man kann Menschen danach hinreichend untersuchen, in ihrem Verhalten, in ihrem Erleben, wenn man sozusagen ihre unmittelbare Umgebung und Beziehung zu anderen Menschen miteinbezieht. Was damit gemeint ist, wird klar, wenn man die alternativen Konzeptionen auf marxistischer Grundlage ansieht, die euch ja schon dargestellt worden sind, daß nämlich die Menschen sich nicht individuell in einer natürlichen Umwelt am Leben erhalten, sondern deren individuelle Lebenserhaltung vermittelt ist (das ist mal so’n schöner Begriff, der da immer kommt), über die gesellschaftliche Reproduktion. D.h. also, zunächst über die gegenständliche Tätigkeit, einmal auf dem gesamtgesellschaftlichen Niveau der Arbeit – es müssen, zunächst Systembedingungen auf gesellschaftlicher Ebene geschaffen werden, dann kann man dafür sorgen, daß das Individuum sich am Leben erhalten kann. Diese Vermittlungsebene, daß die Menschen ihre Lebensbedingungen produzieren, unter denen sich der einzelne erst erhalten kann, ist der zentrale Unterschied gegenüber den tierischen Lebensbedingungen, wo die Tiere sich in ihrer natürlichen Umwelt, die sie nicht selber produziert haben, erhalten können.

So, und dabei ist also ein Aspekt wichtig, daß das eine Doppelbeziehung ist: die Menschen schaffen einmal Lebensverhältnisse und gleichzeitig existieren sie unter diesen Lebensverhältnissen. Der Mensch ist sowohl Produzent seiner Lebensbedingungen, er ist diesen aber auch unterworfen. Wie man dieses Verhältnis dann genauer bestimmen muß, das ist ’ne andere Frage, darüber sag ich dann später noch was.

Entscheidend ist bis jetzt, daß in der traditionellen Psychologie diese erste Seite, nämlich die Produktion und Reproduktion von Lebensbedingungen, weggelassen ist. Es bleiben nur die Bedingungen, unter denen die Individuen stehen. Der Mensch wird also aufgefaßt als Individuum unter Bedingungen, und seine Abhängigkeit von diesen Bedingungen wird untersucht, aber die andere Seite, nämlich der Mensch als Produzent seiner Lebensbedingungen, diese Seite fällt weg. Und zwar fällt die einmal schon auf gesamtgesellschaftlicher Ebene weg, fällt dann aber auch auf individueller Ebene weg, da man ja, wenn sozusagen die gesamtgesellschaftliche Reproduktion durch die Schaffung von Lebensbedingungen durch die Menschen geschieht, jeder Einzelne in irgendeiner Form an diesem Prozeß beteiligt sein muß. Das heißt, man kann nicht die Gesellschaft so definieren und das Individuum irgendwie anders, sondern wenn, dann muß der Zusammenhang auch irgendwo herauskommen. Also das ist sozusagen unsere zentrale Kritik an diesem Unmittelbarkeitspostulat, daß hier der Mensch nur als unter Bedingungen stehend aufgefaßt wird, aber die Wechselbeziehung zwischen dem Menschen als Produzent der Lebensbedingungen und einem Individuum, das auch wieder unter von Menschen produzierten Bedingungen steht.

Folgendes ist ganz wesentlich: Daß der Vorwurf nicht heißt, daß die Gesellschaft nicht berücksichtigt wird, denn man kann die Gesellschaft auch so berücksichtigen, daß man die Gesellschaft nur als Bedingung für das Verhaften, nicht aber als produziert auffaßt. Also, das ist zu flach, wenn man den Vorwurf macht, die Kritische oder Marxistische Psychologie berücksichtigt die Gesellschaft, die bürgerliche Psychologie tut das nicht. Sie tut das teilweise schon. Und außerdem gilt diese Kritik auch sogar für die Soziologie, die ja sozusagen per definitionem die Gesellschaft berücksichtigt. Wenn sie das tut, meinetwegen Rollentheorie, Strukturfunktionalismus, dann immer nur so, daß die Gesellschaft vorgegeben ist, Struktur von Bedingungen, Normen usw., und das Individuum ist diesen Verhältnissen unterworfen. Und jetzt ist die Frage, wie findet sich das Individuum. da zurecht, wie entwickelt es sich da ‚rein; und die andere Frage, wie der einzelne eigentlich fähig und motiviert sein kann, am Prozeß der Schaffung der Lebensbedingungen teilzunehmen – diese ganze Seite fällt raus. Das ist der zentrale Punkt. Es ist besonders wichtig, daß man das nicht so irgendwie im Kopf behält, reicht schon, wenn ,man sagt, berücksichtigt die Gesellschaft nicht. Das ist eine relativ billige Sache. Das kann auch die bürgerliche Psychologie, hat z.B. Reinforcementbedingungen als gesellschaftliche Bedingungen definiert. Das neueste Buch von dem Skinner „Jenseits von Freiheit und Würde“ ist so eine Art von Gesellschaftsutopie auf behavioristischer Grundlage, wo er sich sozusagen eine Verstärkungsgesellschaft entwirft, wo die Psychologen die gesellschaftlichen Verstärkungsbedingungen bestimmen, und danach alles wunderbar harmonisch und herrlich funktioniert.

So, nun also ist klar, daß unsere Grundkategorien nun so beschaffen sein müssen, daß sie nicht diesem Unmittelbarkeitspostulat verfallen, sondern diesen Zusammenhang zwischen Existieren unter Bedingungen und Produzieren derselben herstellen.

1.3. Allgemeine und historisch bestimmte Charakteristika des Verhältnisses von gesellschaftlicher und individueller Reproduktion

Nun brauch‘ ich wohl jetzt hier nicht die Marxsche Theorie groß darzustellen, ich möchte nur die Frage kurz darstellen, vor der wir jetzt stehen. Man kann die Marxsche Theorie immer unter verschiedenen Aspekten auffassen, in gewisser Weise ist sie eine sehr allgemeine Theorie des Zusammenhangs von gesellschaftlicher und individueller Reproduktion der Lebensbedingungen. Und war, wenn man sich das „Kapital“ anguckt, also das Buch von Marx jetzt, gibt es zwei Aspekte: auf der einen Seite ist es die berühmte „Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft“; da wird also quasi der Reproduktionsprozeß dargestellt, in dem die bürgerliche Gesellschaft sich immer wieder als System erhält. In ihren verschiedenen Formen bleibt sie eigentlich immer das, was sie ist, nämlich bürgerliche Gesellschaft nach bestimmten Strukturen der Klassenspaltung usw. Gleichzeitig stecken da aber auch drin allgemeine Bestimmungen über die gesellschaftliche Reproduktion überhaupt. Und zwar, weit der Marx ja allgemeine Bestimmungen braucht, worin die historische Bestimmtheit dieser Bestimmungen in der bürgerlichen Gesellschaft besteht. Arbeit als vergegenständlichte, verallgemeinernde Tätigkeit, Schaffung von Lebensbedingungen und auf diesem Hintergrund des Allgemeinbegriffs von Arbeit, da kann er jetzt die historische Form der Arbeit oder z.B. diesen gesellschaftlichen Doppelcharakter der Arbeit (gebrauchswertschaffende und wertproduzierende Arbeit) herausarbeiten. Das kann man bei allen Sachen zeigen; Kooperation z.B., einmal den allgemeinen Aspekt der Vergesellschaftung und gleichzeitig dann die Zerrissenheit der Kooperation in der bürgerlichen Gesellschaft durch die Klassenspaltung. Allgemeine Bestimmungen, meinetwegen Reproduktion, Produktionsbereich, Zirkulation, ein Zusammenhang, der allgemeine Bestimmungen enthält; dann aber die Spezifik in der bürgerlichen Gesellschaft, also dieser zentrale Widerspruch in der Zirkulationssphäre, dieses Verhältnis von Freiheit und Gleichheit, der Arbeiter als Besitzer der Ware Arbeitskraft geht ein Vertragsverhältnis mit dem Kapitalisten ein, ein scheinbares oder reales Rechtsverhältnis in der Zirkulationssphäre und in der Produktionssphäre das Ausbeutungsverhältnis. In dem Moment, wo der Arbeiter sich in die Produktion begibt, steht er unter denn Kommando des Kapitals, muß er produzieren, für den Kapitalisten, nur unter der Bedingung kann er sich selber erhalten.

Jedenfalls muß man immer beachten, dieses Ineinander von Allgemeinbestimmungen unter historisch bestimmter Form, wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft durchsetzt. D. h. sozusagen unser aller Leben reproduziert sich ja im Kapitalismus, also immer in einer Form, was gleichzeitig die kapitalistische Produktionsform immer wieder mitproduziert. Diesen Zusammenhang hat der Marx ;ja dargelegt, da will ich jetzt nicht so viel drüber sagen.

Entscheidend ist nun folgendes: Wenn man sich diesen Zusammenhang vorstellt, wo ist das Individuum und wo ist da die Psychologie? Also zunächst wird man sagen müssen, das Individuum ist da irgendwie drin, aber es wird nur selten davon explizit geredet. Marx redet ja vom Gesamtphänomen, von der Gesamtreproduktion usw. Wir als einzelne Individuen kommen da drin nicht vor, obgleich das alles uns betrifft, aber wir als Fleisch und Blut, wie wir hier sitzen, kommen da drin systematisch nicht vor. Man könnte also sagen (Marx hat selber ein schönes Wort dafür geprägt), daß das Individuum zwar vorkommt in der Marxschen Theorie, aber als „verschwindendes Moment“. Diesen Begriff „verschwindendes Moment“ hat er selber mal in einem anderen Zusammenhang gebraucht. Wenn wir uns jetzt als Psychologen oder Individualwissenschaftler darauf beziehen, dann heißt das, daß wir dieses Individuum, was da implizit drin steckt, herausholen und zum Gegenstand machen müssen. Also es ist im Prinzip drin, aber nicht zum Thema gemacht, wir machen es jetzt besonders zum Thema. Das heißt, was da verschwindendes Moment ist, wird von uns herausgehoben und gesondert untersucht in diesem Zusammenhang, das ist entscheidend. Also zunächst mal ist notwendig die Analyse des Gesamtzusammenhangs der Gesetze der Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens; dieses ineinander von Allgemeinbestimmungen und historisch bestimmten Formen, in denen das passiert, das wird von uns nicht problematisiert, sondern das ist der Hintergrund für unsere Arbeit. Und da drin steckt nun das Individuum, das also notwendigerweise, weil es ja ein Teil dieser Prozesse ist. Wir können den gesellschaftlichen Prozeß ja nicht fassen ohne die Individuen, denn die machen ihn ja. Der hängt ja nicht irgend wo in der Luft, sondern das sind ja konkrete Individuen, die den tragen; aber offenbar muß noch mehr über Individuen aussagbar sein, als das, was da gesagt wird.

So, das ist also die Ausgangslage, um zu unseren Kategorien, zu unserer Brechung dieses Unmittelbarkeitspostulats zu kommen.

Da gibt es nun zunächst mal in der Diskussion mehrere Möglichkeiten, an das Problem heranzugehen. Innerhalb des Marxismus wird die Frage des Individuums natürlich schon lange diskutiert. Und eine bestimmte Version geht davon aus, daß eigentlich eine besondere wissenschaftliche Fragestellung hier gar nicht vorliegt, sondern daß eigentlich alles, was übers Individuum gesagt werden kann, im Prinzip schon gesagt worden ist in den Marx’schen Kategorien, so wie sie sind. Und man hat dann die Vorstellung, daß dann, wenn man etwa die gesellschaftlichen Lebensbedingungen, Klassenverhältnisse, immer genauer spezifiziert, also meinetwegen über Klassenbedingtheit, die arbeitsteilige Struktur usw., irgendwann zum Individuum kommt. Es käme also nach dieser Theorie nur darauf an, jetzt die allgemeiner, Aussagen über Klassenverhältnisse, über Arbeitsteilung usw. immer soweit zu spezifizieren, daß sozusagen der einzelne, oder jedenfalls ganz wenige einzelne damit beschrieben sind. Damit hätte man sozusagen schon das Individuum erfaßt, man braucht nicht eine extra Individualwissenschaft. Diese Auffassung wurde bei uns etwa vertreten von kapitallogischen Konzeptionen wie früher das „Projekt Klassenanalyse“, die dann von ihren Kritikern als „Ökonomisten“ bezeichnet werden (eine bestimmte Fraktion innerhalb der Marxisten, die diese Theorie früher sehr intensiv vertreten haben, jetzt etwas aufgeweicht, aber es gibt die Position jedenfalls immer noch). Und wenn man sich die jetzt anguckt, darin wird man merken, daß die eigentlich den Fehler, oder den Vorwurf, den wir den Bürgern machen, selber machen. Und zwar deswegen, weil sie das Individuum als unter Bedingungen stehend auffassen. Und der Zusammenhang, daß das Individuum selber seine Lebensbedingungen produziert, fällt wieder heraus. Es wird sozusagen auf der Objektseite immer genauer spezifiziert (Klassengegensätze usw.) bis hin zu den konkreten Bedingungen, unter denen ich und du leben, aber eben nur die Bedingungen. Und wie wir eigentlich beteiligt sein können, diese Bedingungen zu schaffen, das fällt weg. Und das ist im Grunde der Hauptgehalt dieses Ökonomismusvorwurfes, daß hier der Mensch nur als Objekt unter Bedingungen gefaßt wird, aber dieses Moment der Subjektivität, der Beteiligung an der Produktion von Lebensbedingungen wieder herausfällt.

So, dann gibts eine andere zweite Möglichkeit, und das ist also die Vorstellung: an dieser Stelle muß der Marxismus passen, das kann er nicht, da muß er ergänzt werden.. Und zwar muß er ergänzt werden durch eine schon. vorentwickelte Subjektwissenschaft, z.B. die Psychoanalyse. Das ist die Stelle, wo die freudo-marxistische Konzeption anzusiedeln ist. Eben, man könnte wieder sagen, Du hast ja selber gesagt, das wird objektivistisch-ökonomistisch, das Subjekt fällt raus, also muß das wissenschaftliche Subjekt in den Mittelpunkt gestellt, thematisiert werden, die Psychoanalyse, die muß man jetzt ergänzend heranziehen zum Marxismus, damit das Subjekt zu seinem Recht kommt und nicht in diesen bloß ökonomischen Bestimmungen des Marxismus da irgendwie untergeht. – Nun, diese Auffassung ist von uns sehr intensiv kritisiert worden, K.-H.Braun hat ja ein schönes Buch geschrieben, „Kritik des Freudo-Marxismus“. Und die Ute hat in ihrem Band „Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung“ (Bd.2, Kap.5) sehr ausführlich darüber geschrieben, ich will es jetzt nicht wiederholen. Diese Position ist für uns deswegen nicht tragbar, weil, wie man zeigen kann die Psychoanalyse und die Marx’sche Theorie auf absolut unvereinbaren gesellschaftstheoretischen Prämissen beruhen. Wenn die beiden zusammengefügt werden, dann fügt man eklektizistische Positionen zusammen, die eigentlich gar nicht zusammenpassen. Man kann auch zeigen warum: Die ganze Vorstellung von Gesellschaft, die in der Psychoanalyse steht und die Gesellschaft, die Marx versteht, die sind nicht unter einen Hut zu kriegen. Ebenso die Vorstellung über menschliche Lebenstätigkeit, und das ganze Moment der Tätigkeit, der Vergegenständlichung, all das gibt es ja in der Psychoanalyse nicht. Man kann zeigen, daß, wenn man diese Dinge zusammenfügt, es dabei eine eklektizistische Position gäbe, man kleistert oberflächlich Widersprüche zwischen eigentlich unvereinbaren Konzeptionen zu. Das ist nicht mein Thema, können wir ja noch darüber diskutieren, wenns sein muß, aber jedenfalls ist das unsere Position. Weder der Ökonomismus noch die Ergänzung des Marxismus mit einer ihm fremden Subjektwissenschaft kann hier weiterführen. D.h. also die dritte Position, die wir vertreten, ist die, daß die Marx’sche Theorie, so wie sie sich gegenwärtig entwickelt, dieses Moment der Subjektivität der individuellen Subjektivität, nicht expliziert hat, daß aber diese Theorie mit ihren eigenen Mitteln und in ihrem eigenen kategorialen Rahmen entwickelbar ist in Richtung auf eine solche Konzeption. D.h., also, es gibt keine prinzipielle Unmöglichkeit hierzu, wie das von den Freudo-Marxisten behauptet wird. („Der Marxismus kann das nicht, weil er nur eine ökonomische Theorie ist.“) Das ist eine falsche Auffassung. Der Marxismus ist keine nur ökonomische Theorie, der ist eine umfassende Gesellschaftstheorie und man kann ihn nicht sozusagen auf die bürgerliche ökonomische Seite abschieben, von da aus dann sozusagen den Platz dafür frei machen, ihn wissenschaftlich ergänzen zu müssen. Es geht bei ihm um die Allgemeingesetze der Reproduktion des gesellschaftlichen und individuellen Lebens, da gehört überhaupt nicht nur Ökonomie im bürgerlichen Sinne dazu.

Unsere Vorstellung ist also die, daß der Marxismus selber die Möglichkeit in sich hat, mit den eigenen Mitteln sich in Richtung auf die Ausformung einer Subjektwissenschaft zu entwickeln.

2. Historisch-empirische Verfahren (Kategorialanalyse)

So, und das ist nun die Frage, wie? Wie geht das? Und da bin ich also jetzt bei dem Problem der Ableitung der Kategorien, und das kann man sich einfach mal so vorstellen, daß die Marx’sche Theorie ja in gewisser Weise eine historische Theorie ist und ein bestimmtes Verfahren der historischen Analyse hat. Es ist sehr schwer, das jetzt hier im einzelnen darzustellen, das ist nicht einfach eine realhistorische Geschichtenerzählung, wie alles so geworden ist, daraus folgt ja für die Gegenwart überhaupt nichts, sondern eine bestimmte Art von historisch-logischer Reproduktion der gegenwärtigen Form der bürgerlichen Gesellschaft aus bestimmten historischen Komponenten, qualitativen Sprüngen usw., Vorentwicklung in früheren Gesellschaftsformationen, die da eine neue Qualität kriegen in einer anderen Reproduktion (meinetwegen die Frage der ursprünglichen Akkumulation, und wie damals dann die Form der bürgerlichen Gesellschaft entstanden ist). Also eine bestimmte Art von historisch-logischer Analyse auf der Ebene der gesellschaftlichen Prozesse. Und das kann man also so machen, sofern man also das Individuum als verschwindendes Moment dabei betrachtet.

Wenn man jetzt das Individuum Miteinbeziehen, dann muß einem eigentlich sofort klar werden, daß diese historische Dimension der Gesellschaftsentwicklung zu kurz greift. Und zwar deswegen, weil, wenn man uns ansieht, wir ja nicht nur älter sind als der ganze Kapitalismus, sondern älter als die gesellschaftliche Entwicklung überhaupt sind. Unsere Genese reicht zurück bis sonstwohin – und, trotzdem sind wir das. Das ist eine Sache, die in diesen üblichen Theorien; ungeheuer leicht wegfällt; meinetwegen hier meine Hand, wenn ich da drauf haue, tut das weh, zentrales Nervensystem, nicht wahr; aber ich hab‘ Augen, hab‘ eine physikalische Möglichkeit, Luft in Schwingungen zu versetzen und ihr hört das dann, habt die Organe, um das aufzunehmen. Diese sozusagen unmittelbar sinnlich-praktische Existenz von uns, die ist ja irgendwo da, ein Naturphänomen und trotzdem sind wir gesellschaftliche Wesen, Und das muß ja was miteinander zu tun haben. Die Tatsache, daß wir daran beteiligt sind, unser Leben gesellschaftlich zu reproduzieren und unsere Beschaffenheit als sinnlich-stoffliche Wesen, das muß ja was miteinander zu tun haben (jedenfalls nach der Marx’schen Konzeption). In der Psychoanalyse gerade nicht, sondern da wird angenommen, das kommt ganz woanders her, die Triebnatur des Menschen usw.; die Gesellschaft ist die Bedingung, in die der Mensch hineingestellt ist und sozusagen mit seiner gesellschaftsfremden Triebnatur zurechtkommen muß. Da wird dieser Zusammenhang hergestellt quasi durch ein Hineinversetzen des Menschen mit seinen natürlichen Beschaffenheiten in eine gesellschaftliche Umwelt, die mit ihm als Individuum zunächst nichts zu tun hat, sondern mit der er sich nur sekundär abfinden muß und mit seiner Entwicklung da zurecht kommen muß.

Wenn es also um die historische Rekonstruktion der gesellschaftlichen Entwicklung in ihrer gegenwärtigen Form geht, und sich dabei aufs Individuum konzentriert, dann heißt das, daß man offensichtlich die gesellschaftliche Dimension verlängern muß. Man muß jetzt zurück in die naturgeschichtliche Ebene , weil wir offensichtlich, so wie wir hier sind, dies als Naturwesen geworden sind und uns irgendwann mal dann vergesellschaftet haben. Die Gründe, aus denen wir das getan haben, warum wir sozusagen irgendwann mal zu gesellschaftlichen Naturwesen geworden sind, das muß ja unmittelbar was zu tun haben mit der Entstehung der gesellschaftlichen Reproduktion. Sind ja zwei Seiten derselben Sache. Eine neue Form der Lebensgewinnung über die gesellschaftliche Reproduktion und die Fähigkeit der Individuen, daran teilzunehmen als Naturwesen, sind zwei Seiten derselben Sache: das eine blickt auf die Gesamtheit, das andere blickt auf die Individuen. Das ist also der zentrale Ansatz dabei: die historische Analyse sozusagen zurückzuverlegen, aber im Prinzip beides auf die selbe Art und Weise zu analysieren.

2.1. Genetische und begriffliche Isomorphie: die Stufen der Analyse

Man findet ja ganz bestimmte Begriffe vor in der Psychologie, Motivation, Emotion, Psychisches, Denken, Wahrnehmung usw., alles in relativ ungeordneter Form, und da setzt man ja erst mal an, kann man gar nicht anders. Wenn wir uns mit Psychologie beschäftigen wollen, dann finden wir immer schon eine Art von Begrifflichkeit vor. Entweder ist es die der traditionellen Psychologie oder die Alltagsbegrifflichkeit. Ich kann nicht sozusagen neu anfangen über Emotionen zu reden, man weiß schon immer was darüber, man hat schon eine Theorie. Und diese Vorbegrifflichkeiten, wie wir sie nennen, sind unser Ausgangsmaterial. Und jetzt ist die Frage, wie gehen wir mit dieser Vorbegrifflichkeit um , um zu den von uns gesuchten Kategorien zu kommen. Es ist also wichtig, daß man sich klar macht, daß es da keine Voraussetzungslosigkeit gibt, jeder weiß eigentlich schon immer irgendwas, nicht wahr, und jetzt die Frage, wie kommt man von diesem Vorwissen zu einer wissenschaftlichen Analyse. Und dabei kann man das, was wir versucht haben, vereinfacht so sagen, daß wir versucht haben, eine Art von Isomorphie zwischen den begrifflichen Verhältnissen, also den Verhältnissen zwischen all diesen Begriffen (Wahrnehmung, Motivation, Psychisches, Denken, Persönlichkeit, und weiß der Geier, was da alles an verschiedenen Fassungen, Versionen unter diesen Theorien existiert), daß wir also versuchen wollen. Diese begrifflichen Verhältnisse so neu durchzuarbeiten, daß sie, den genetischen Verhältnissen, das heißt also dem Entstehungsprozeß, dem historischen Entstehungsprozeß entsprechen. Isomorphie heißt Strukturgleichheit, also Strukturgleichheit zwischen begrifflichen Verhältnissen und genetischen Verhältnissen.

Was heißt das? Dazu muß man sich ein bißchen genauer ansehen, wie eigentlich der phylogenetische oder anthropogenetische Prozeß endet, wo wir nachher als Menschen standen und wie dieser Umschlag zur gesellschaftlichen Produktion erfolgte, nach welchen Aspekten man den eigentlich betrachten muß. Das ist eine sehr allgemeine Gesetzlichkeit, kann man sagen, daß dieser Prozeß vom Undifferenzierten zu immer Differenzierterem geht. Das kann man auch zeigen, warum das so sein muß. Ich müßte also jetzt über Evolutionstheorie und -gesetze und so reden, was ich aber jetzt hier nicht tun will. Es läßt sich zeigen, daß in dem Prozeß der phylogenetischen Anpassung der Organismen an die Umwelt aus einfachen elementaren Grundformen sich immer differenziertere Formen herausbilden, in Anpassung nämlich an immer differenziertere Umweltbedingungen. Und das heißt also, wenn man jetzt hier sagt, das ist ein Differenzierungsprozeß, dann müßte dieser Differenzierungsprozeß jetzt sich in den Begriffen wiederfinden, wenn wir von der Isomorphie zwischen genetischen und begrifflichen Verhältnissen reden. D. h. die genetisch früheste Form wäre auch die allgemeinste Kategorie. Wenn wir jetzt gleich den Begriff des Psychischen einführen, den wir ja auch in einer bestimmten Weise von Leontjew übernommen haben als objektive Kategorie, als Signalvermitteltheit der Lebenstätigkeit, dann kann man sagen, das ist eine bestimmte, früheste Form, wo sich aus den allgemeinen Lebensprozessen eine neue Stufe, die des Psychischen nämlich, die psychische Form der Lebensgewinnung, herausgebildet hat. Die Merkmale, die diese früheste Form des Psychischen hatte, ist die der Elementar- oder Grundform. Ja, das sind gleichzeitig die allgemeinsten begrifflichen Merkmale, mit denen wir das Psychi3che in unserem Kategoriensystem bestimmen müssen.

Das ist nicht etwa eine Naturgegebenheit, daß die Begriffe der Genese entsprechen, das tun sie nämlich normalerweise nicht, nur im Zusammenhang mit der Marx’schen historischen Methode versuchen wir ein Begriffssystem zu entwickeln, in dem sich diese genetischen Verhältnisse auf adäquate Weise abbilden. Und darum sind wir also dann dazu gekommen, eine Grundform des Psychischen herauszuarbeiten, und dann bestimmte Differenzierungsformen, Charly hat das ja auch dargestellt. Und das ist also sozusagen eine Ebene, die könnte man nennen eine vertikale Gliederung, daß wir jetzt den Prozeß verfolgen dieser Differenzierung über mehrere Stufen, letzten Endes bis hin zu uns und was eigentlich daraus geworden ist bei uns. Und dabei immer beachten: Die allgemeineren Bestimmungen, die gelten immer auch für die speziellen, bloß die speziellen haben wir heute als Bestimmungen dazu, das ist das Entscheidende dabei. Man kommt also sozusagen zu einer allgemeinen Bestimmung des Psychischen, indem man herausarbeitet: was ist das Besondere der psychischen Entwicklung gegenüber dem vorpsychischen Leben. Und die gilt für sämtliche späteren Formen als ungeheuer abstrakte allgemeine Bestimmung. Und jetzt kommt man zu Differenzierungen (Emotionalität usw.), und die haben jeweils immer diese allgemeinen Bestimmungen und neue dazu, aber die alten gelten auch. Und so kumuliert sich das bis zum Menschen, wo diese allgemeinen Bestimmungen auch gelten, aber jetzt eben die bestimmte Differenzierung dazukommt, die eben dann das Psychische beim Menschen ausmacht.

Und dann kommt jetzt die zweite Ebene dazu, die absolut zentral ist neben dieser vertikalen Entsprechung zwischen genetischen Verhältnissen und begrifflichen Verhältnissen, eine horizontale Entsprechung. Es läßt sich nämlich zeigen, zumindest kommt das raus, wenn man mit den marxistischen Mitteln der materialistischen Dialektik da ‚rangeht, daß also innerhalb der phylogenetischen Entwicklung es verschiedene qualitative Sprünge gibt, Also mit diesem Problem der neuen Qualität habe ich mich ungeheuer intensiv beschäftigt, wie man das eigentlich fassen kann, vielleicht können wir es später noch diskutieren, jetzt will ich es nicht bringen, weils dann zu lang wird. Und dabei ist natürlich die zentrale Frage die, worin besteht denn die Spezifik dieser Entwicklung auf der menschlichen Stufe. Und dabei kommen wir zu eigentlich vier Ebenen. Und zwar die erste wäre die Grundform des Psychischen, mit dieser Ausdifferenzierung noch im Rahmen der Festgelegtheit. Dann kommt die zweite Stufe, die wir herausgearbeitet haben, nämlich die Entstehung der individuellen Lern- und Entwicklungsfähigkeit. In dieser ersten Stufe hat sich schon herausgebildet etwa Emotionalität, auf eine bestimmte Weise unterscheidbar von kognitiven Prozessen usw.; Orientierungsleistungen, Sozialverhältnisse werden auf dieser ersten Ebene herausgebildet, das haben wir empirisch versucht zu rekonstruieren. Die zweite Ebene dann, die individuelle Lern- und Entwicklungsfähigkeit: Das, was sich vorher herausgebildet hat, bleibt bestehen, findet aber einen neuen qualitativen Zusammenhang) auf dieser Stufe. D.h. Emotionalität bei Organismen, die individuell lernen können, das heißt das. Und der Begriff der Motivation ist z.B. an der Stelle erst von uns eingeführt worden, auf dieser Ebene der individuellen Lern- und Entwicklungsfähigkeit, das wäre also die zweite Stufe. Die dritte Stufe wäre dann die neue Qualität der Lern- und Entwicklungsfähigkeit bei der Herausbildung der gesellschaftlichen Natur des Menschen. Und das ist also ein ungeheuer zentraler Punkt, wo wir ungeheuer lange gebraucht haben um dahinterzukommen, wie man das fassen muß. Und zwar ist da immer das Problem: hier ist der Mensch und da ist die Gesellschaft. Und jetzt haben wir bestimmte Qualifikationen als Naturwesen, die uns offensichtlich dazu befähigen (und zwar als einzige Lebewesen), uns am gesellschaftlichen Prozeß zu beteiligen, was eine merkwürdige Sache ist und sie hat der Wissenschaft eigentlich ziemlich unlustige Probleme gestellt, meinetwegen gibts ja die schönen Untersuchungen von diesem Ehepaar Kellog, die haben ein, Baby und ein Schimpansenbaby zusammen aufgezogen. Das war in dieser behavioristisch-optimistischen Frühphase, wo die jetzt meinten, wenn man die beiden wirklich unter den gleichen Bedingungen erzieht, dann müßten sie sich eigentlich auch gleich entwickeln. Und wie das dann aussieht, das könnt ihr euch wahrscheinlich vorstellen. Also zunächst einmal hatte der Schimpanse sogar einige Vorteile, er konnte schon klettern, als das Baby nur da unten stand … Und dann fing das Baby aber plötzlich an, sich natürlich sozusagen in die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe und Kommunikation ‚reinzuentwickeln, über Sprache, auch schon über die Tätigkeit, und der arme Schimpanse blieb dann also sozusagen in seiner dumpfen Naturwelt zurück, und das war also dann das, was man ja vorher erwarten konnte, was Wichtiges eben und an sich ein platter Tatbestand, der aber ungeheuer schwer zu begreifen ist: wie kommt das denn, daß aus natürlichen Gründen der Mensch zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Reproduktion fähig ist, Unser Zentralnervensystem ist. das einzige Zentralnervensystem, über das Vergegenständlichungen und Symbolisierungen laufen können, wie sie gesellschaftlich produziert sind. Z.B. ist das eine Sache, die manchen marxistischen Kollegen ungeheure Schwierigkeiten macht, weil die, wenn sie von Biologie hören, bloß immer Biologismus denken können oder am liebsten das Ganze sowieso weglassen würden; und sie möchten sich auch nicht damit beschäftigen müssen, etwa wie der Sève, der da immer so redet von dem biologischen Träger, der Mensch als biologischer Träger, und da drauf kommt denn sozusagen die Gesellschaft, und den Träger lassen wir dann weg. Und zwar im wesentlichen auch deswegen, weil er selber eben sagte, daß er natürlich von Biologie nichts versteht. Die Ute z.B. mit ihren Motivationsbüchern, die hat die umgekehrte Konsequenz gezogen, die hat sich nämlich zwei Jahre eingebuddelt und nur Biologie gelernt, weil wir merkten, wir brauchen das und wir können uns einfach nicht, mehr damit abfinden, das den Biologen zu überlassen, denn die lösen unsere Probleme nie, in dem Zusammenhang, in dem sie Biologie betreiben. Um da nicht zu weit abzuschweifen, die Frage bestand schon bei Leontjew: Wie kann das denn sein, wie kann in der Phylogenese irgendetwas entstehen, das den Menschen als Naturwesen dazu fähig macht, sich gesellschaftlich zu reproduzieren. Und die Sache genau zu fassen ist eigentlich das erste Mal dem Volker Schurig gelungen in diesem Buch „Die Entstehung des Bewußtseins“ (Frankfurt/M.1976), und jetzt haben wir es, glaube ich, noch ein bißchen schärfer. Und zwar muß man sich das so vorstellen, daß es also in der Anthropogenese eine bestimmte Phase gab, wo Frühformen der gesellschaftlichen Produktion noch rückwirkten auf die genomische Information, weil sie nämlich einen Selektionsvorteil darstellten. Wenn man sich also das vorstellt, in der Anthropogenese kam eine bestimmte Phase, wo die Hominiden anfingen, mit Werkzeugen zu arbeiten, das ist ungeheuer früh schon gewesen, also vor zwei Millionen Jahren oder so, zuerst unmerklich und dann immer deutlicher. Während dieser Phase, wo die anfingen, mit Werkzeugen zu operieren, waren die Evolutionsgesetze, nämlich Mutation und Selektion, noch voll in Kraft. D.h. also, es gibt bestimmte Frühformen oder Ansätze zur gesellschaftlichen Reproduktion über Vergegenständlichung; die fingen schon ungeheuer früh an, diese Werkzeuge auf Serie zu legen, man glaubt das nicht, bestimmte Faustkeilformen wurden in ungeheuer früher Zeit schon zentral produziert und verteilt und so, da gab es direkt schon eine Art von Industrie, die diese Dinger da hergestellt hat. Und das alles zu einer Zeit, in der die Evolutionsgesetze noch voll in Kraft waren, das heißt, die Vorteile, die aus dem Verfügen über diese Mittel herrührten, noch einen Selektionsvorteil darstellten. Ist euch das klar, also der Punkt ist der, daß nachher in der gesellschaftlichen Entwicklung ja die Selektion außer Kraft gesetzt ist durch, die die gesellschaftliche Reproduktion. Das ist also sozusagen der Grundfehler des Sozial-Darwinismus, daß die meinen, daß also Mutation und Selektion auch noch in der historischen Entwicklung eine Rolle spielen, das läßt sich zeigen, das hat also Leontjew in seinem Buch schon sehr früh formuliert, indem da steht, daß also die gesellschaftliche Entwicklung eigentlich ein einziger Kampf gegen den Kampf ums Dasein ist. Speziell also die Bedingungen, unter denen sozusagen die natürliche Auslese stattfindet, werden gerade durch die gesellschaftliche Produktion aufgehoben. Aber vor diesem Umschlag in diese neue Lebensweise der gesellschaftlichen Entwicklung gab es eine Phase, in der auf der einen Seite schon Vorformen der gesellschaftlichen Produktion da waren, auf der anderen Seite aber diese Evolutionsgesetze noch wirkten. Und damit wird jetzt sozusagen die Natur des Menschen vergesellschaftet. D.h. also die genomische Information wird noch verändert über Selektion, Mutation aufgrund der Selektionsvorteile durch diese Frühformen der gesellschaftlichen Arbeit. Und das ist sozusagen der Springpunkt, in dem sich also diese natürliche Spezifik des Menschen als eines Wesens, das sich alleine unter allen Lebewesen an der gesellschaftlichen Reproduktion beteiligen kann, und wo das sich rausbildet. Man kann ja z.B. zeigen, daß die Werkzeugbenutzung alleine überhaupt noch keine Garantie dafür war, daß diese jeweiligen Menschenformen nicht ausstarben, nicht einmal der berühmte Neandertaler, der war ja relativ hoch entwickelt und hatte schon wunderschöne Werkzeuge und auch schon diese Gesellschaftsformen von Häuslichkeit und so, und trotzdem ist er ausgestorben. Und es gibt eine Unmenge anderer Frühformen von Menschen, die schon Werkzeuge hatten und ausgestorben waren, d.h. es wirkte noch die Selektion. Und in diesem Prozeß hat sich im ganzen nachher der Prozeß durchgesetzt, wo diese genomische Information sich so kumulierte, im Wechselwirken mit den Veränderungen der wirklichen Lebensbedingungen, daß das dann umkippte in die gesellschaftliche Entwicklung. Wir sprechen da von einem Dominanzumschlag, also was bisher untergeordnet war und noch die genomische Information beeinflussen konnte, schlägt jetzt um, wird ein bestimmendes Moment der Entwicklung, und damit ist gleichzeitig sozusagen die Evolutionsgesetzlichkeit praktisch außer Kraft gesetzt. Es ist also im Grunde so, daß sich die Phylogenese durch die Kumulation genomischer Information auf einer bestimmten Stelle selber aufhebt. Und das ist also diese dritte Stufe, die ungeheuer wichtig ist, die nennen wir die Herausbildung der gesellschaftlichen Natur des Menschen, wo wir also dieses Moment Gesellschaftlichkeit und Natur in einen unmittelbaren Zusammenhang bringen, was aber bei uns eben nicht nur ein Gleichnis oder irgendwie so ein dialektischer Taschenspielertrick auf verbaler Ebene ist, sondern wir können auch genau zeigen, wie diese Vermittlung aufgrund der Evolutionsgesetze möglich war. D,h. also die Gefahr, daß, wenn man Dialektik sagt, man immer irgendeinen blinden Fleck ein bißchen übertönen will mit schönen Worten, das ist bei uns nicht mehr die Gefahr, an dieser Stelle jedenfalls nicht mehr.

Und die vierte Stufe ist dann die neue Qualität der psychischen Momente der gesellschaftlichen Natur des Menschen, bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Existenz. D.h., daß nachdem dieser Dominanzumschlag erfolgt ist, sich jetzt eine verselbständigte gesellschaftliche Struktur herausgebildet hat, die in sich jetzt dieses System darstellt, das ich euch dargestellt habe, das Marx analysiert hat. Da kriegen also diese bis dahin entwickelten psychischen Momente noch einmal eine neue Qualität, indem der Mensch sich nämlich jetzt unter diesen Bedingungen individuell reproduzieren muß. Ihr seht also, die ganze Sache läuft so, daß das so eine Art von Kumulation ist, die früheren Dinge bleiben bestehen, kriegen eine neue Qualität, stehen in einem neuen Zusammenhang, und beim Endzustand, nämlich jetzt der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion, da ist also all das, was sich da entwickelt hat, hier zu analysieren auf das neue Gesamtverhältnis, in dem das steht, unter den Bedingungen, daß der Mensch sich jetzt unter diesen gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen reproduzieren muß. Wobei jetzt auf der Ebene natürlich das zweite Moment dazukommt: unter historisch konkreten Bedingungen. in dem Moment, wo wir jetzt also bei der gesamtgesellschaftlichen Vermittlung sind, sind wir also sozusagen voll bei der Marx’schen Theorie angekommen, müssen also jetzt diese allgemeinen Bestimmungen immer sehen als Abstraktionen, die sich jeweils konkretisiert haben unter historisch bestimmten Bedingungen, im Zweifelsfall der bürgerlichen Gesellschaft.

So, das ist also dieser Versuch der Bildung Isomorphien, Strukturähnlichkeiten, also dieses allgemeine Programm, aus der Vorbegrifflichkeit eine Begrifflichkeit zu entwickeln, die so strukturiert ist, daß diese verschiedenen Dinge alle berücksichtigt sind: Grundform, Differenzierung, neue Qualität bei individueller Lern- und Entwicklungsfähigkeit, wieder neue Qualität bei Herausbildung der gesellschaftlichen Natur und nochmal neue Qualität beim Umschlag zur gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit. D.h. also, wir haben jetzt ein „gestapeltes System“, wo es also bestimmte Dinge gibt, die dem Menschen zukommen, und die auch für ihn spezifisch sind. Und das sind die Stufen drei und vier, quasi, wo aber auch beim Menschen Dinge feststellbar sind, die er zwar hat, die aber nicht für ihn spezifisch sind. Bis herunter zu den ganz elementaren Stoffwechselprozessen oder so, die allerdings dann vorpsychisch sind, oder besser gesagt, angefangen bei den elementaren Steuerungsprozessen, meinetwegen vegetativer Art, das haben wir alles drin, bis hinzu den höchsten Formen. Wir versuchen jetzt also diese genetische Rekonstruktion dazu zu benutzen, um ein Kategoriensystem zu entwickeln, bei dem sowohl die Spezifik der menschlichen Lebenstätigkeit drinsteckt, wie das Verhältnis dieser spezifischen zu den verschiedenen unspezifischen Momenten, wie sie sich ausdifferenziert haben in dieser Entwicklung des Psychischen.

Übrigens, dieses Programm, das ich jetzt darstelle, hatten wir nicht schon am Anfang, sondern wir haben jetzt allmählich rausgekriegt, daß wir so vorgegangen sind. So läuft das meiner Ansicht nach fast immer, man hat nicht vorher ein Programm und realisiert das dann, sondern man fängt an zu strudeln und während man arbeitet, merkt man plötzlich, was man eigentlich gemacht hat, und das ist also das, was man da zusammenfassend als Kennzeichen unserer Vorgehensweise einmal darstellen kann.

Jetzt war das zunächst nur einmal so eine formale Darstellung der methodischen Schritte, ein Versuch sozusagen, die historische Rekonstruktion auszuweiten, indem jetzt das, was vorher ein verschwindender Moment war, nämlich das Individuum, jetzt phylogenetisch, anthropogenetisch rekonstruiert wird, d.h. also wir kommen wieder an bei dem Gesamtsystem, haben aber jetzt das Individuum ausdifferenziert aus seinen psychischen Bestimmungen. Das ist nicht mehr verschwindendes Moment, sondern steht zwar in diesem gesamtgesellschaftlichen System, aber unter Ausdifferenzierung der psychischen Bestimmungen. Es ist also sozusagen die Idee dabei, daß man im Grunde die Marx’sche Theorie nach innen ausbaut, indem man da die neue Ebene der empirischen Forschung, nämlich diese Herausarbeitung dieses Begriffssystems aufgrund der genetischen Verhältnisse, da einschiebt.

2.2. Die Spezifika der individuellen Handlungsfähigkeit

So, und jetzt will ich versuchen, das an ein paar Beispielen noch zu verdeutlichen. Und zwar ist also die zentrale Idee ja dabei die, daß man jetzt eine Psychologie macht, die man so machen muß, daß verständlich wird, daß Menschen, die man da psychologisch erfassen will, auch in der Lage sind, sich an der gesellschaftlichen Reproduktion zu beteiligen. Und unsere Kritik an der traditionellen Psychologie war immer die, daß die Menschen, die die beschreiben, keine fünf Minuten in der Lage wären, sich gesellschaftlich zu reproduzieren. Wir nannten die immer Homunculi der traditionellen Psychologie. Wenn man sich vorstellt, wie etwa die psychologische Lerntheorie den Menschen beschreibt, die Figur, die dabei herauskommt, also die Menschheit wäre ausgestorben, bevor sie angefangen hätte zu existieren. Die haben also da den schönen Begriff der Letalfaktoren, der kommt aus der Biologie wenn eine Maus also eine bestimmte Art von Fehlmutation hat, die so schlimm ist, daß die Maus dabei stirbt, ist das ein Letalfaktor; und wir haben dann versucht zu zeigen, daß eigentlich all das, was die traditionelle Psychologie über den Menschen sagt, durch die Bank Letalfaktoren sind. Keine von diesen Bestimmungen ist in der Lage zu erklären, daß man in diesem Zusammenhang, nämlich als Beteiligung an der gesellschaftlichen Reproduktion, sich individuell am Leben erhalten kann.

Die Frage ist jetzt die, wie man das konkret erfassen kann, und da haben wir einen zentralen Begriff, und das ist der Begriff der Handlungsfähigkeit. Dieser versucht also das Verhältnis der individuellen Reproduktion über die Beteiligung an der Verfügung über die gesellschaftliche Reproduktion erst einmal auf den Begriff zu bringen. D.h. also, das Psychische ist unter dieser Bestimmung nicht etwas Isoliertes beim Individuum, sondern immer die psychische Seite der Möglichkeit des Menschen, über die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß seine eigene Existenz zu reproduzieren, diese Vermittlung, das ist immer der zentrale Punkt dabei. Und dabei hat sich also etwa im Hinblick auf die Herausbildung der Handlungsfähigkeit in der dritten und vierten Stufe folgendes herausarbeiten lassen: daß also diese dritte Stufe die Herausbildung der gesellschaftlichen Natur noch in gewisser Weise eine unmittelbar kooperative Beziehung ist, wo die Individuen also noch gerade im anschaulichen, unmittelbaren Zusammenhang ihr Leben reproduzieren, auch noch ihren eigenen Anteil an der gesellschaftlichen Reproduktion unmittelbar fassen können; während in dem Moment, wo sich das gesellschaftliche System verselbständigt, sich ja die Situation ganz radikal verändert, und zwar deswegen – und das ist ein zentraler Gedanke – ich weiß nicht, ob ich den jetzt richtig rüberkriege: Das gesellschaftliche System wird zwar im ganzen gesehen, natürlich getragen von Individuen. Aber es hat in sich eine bestimmte Charakteristik der Systemreproduktion, die unabhängig ist von dem Beitrag des einzelnen Individuums. D.h. mein Leben wird im Prinzip auch miterhalten, wenn ich in dem Moment nicht unmittelbar an dieser Systemreproduktion beteiligt bin. Auf dieser neuen Stufe geht es also gesamtgesellschaftlich um Handlungsnotwendigkeit zur Erhaltung des Systems. Individuell sind die gesellschaftlichen Handlungsnotwendigkeiten für mich nur Handlungsmöglichkeiten. Also dieser Begriff der Möglichkeit ist bei uns ganz zentral, d.h. ich kann mich an der gesellschaftlichen Reproduktion beteiligen, ich muß aber nicht. D. h. also. es kommt hier eine bestimmte Art Entlastung des Psychischen von der unmittelbaren Reproduktion; eine Art von Distanz, Erkenntnishaltung, gnostischer Haltung gegenüber der Realität ist möglich. und das ist sozusagen die höchste, entwickeltste Form des menschlichen Bewußtseins, daß man also diese Distanz hat, eine Alternative zu haben, ich kann so handeln, ich muß aber nicht so handeln, und ob ich das eine oder andere tue, das ist dann sozusagen die Frage der Psychologie, diese Frage jeweils für mich zu klären. D. h. also, dieses Moment der Möglichkeitsbeziehung zur gesellschaftlichen Realität enthält auch eine neue Form von Subjektivität, indem ich mich nämlich selber als Ursprung meiner Handlungen abgehoben von gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang erleben kann. Ich kann mich also erst in dem Moment, wo ich nicht mehr voll drinstecke in der Reproduktion meiner eigenen Existenz, erst in dem Moment habe ich sozusagen den Abstand, um mich selber als Subjekt, als Ursprung von Aktivität zu erleben, auch in Abhebung von anderen Menschen. Darin liegt die Spezifik der Subjektivität-Intersubjektivität: ich erlebe auch den anderen als Zentrum seiner eigenen Absichten und seiner eigenen Pläne, auch unabhängig von dem, was konkret in jedem einzelnen Fall passiert, d.h. also eine Art von Abhebung der Subjektivität und Intersubjektivität vom unmittelbaren Lebenszusammenhang, allerdings jetzt als ein Teilmoment der materiellen gesellschaftlichen Reproduktion auf dieser Stufe. Wir sprechen auch vom bewußten sich verhalten können zur gesellschaftlichen Realität. Handlungsalternativen zu haben, Handlungsmöglichkeiten auswählen zu können ist also selber ein Charakteristikum der gesellschaftlichen Reproduktion auf dieser Stufe. D.h., somit, wenn man die Sache so reproduziert, ist hier kein Gegensatz zwischen Subjektivität und Gesellschaftlichkeit, sondern diese Art von Subjektivität und Bewußtsein ist die Art und Weise, in der die Individuen sich beteiligen an der gesellschaftlichen Reproduktion auf dieser Stufe der selbständigen Systemerhaltung der Gesellschaft. Das ist sicher schwierig, weil man da in gewisser Weise diesen Gegensatz zu denken gewohnt ist in Gesellschaftlichkeit und Subjektivität, und immer der Verdacht besteht, wenn man jetzt von dieser Subjektivität redet, dann wird damit das Individuum abgekoppelt vom gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang, was ja eine übliche Form in der bürgerlichen Soziologie ist. Entscheidend ist, daß bei uns gezeigt wird, daß diese Art von bewußtem sich verhalten können zur gesellschaftlichen Realität eine Voraussetzung dafür ist, daß die Individuen sich überhaupt beteiligen können an der gesellschaftlichen Reproduktion, weil die nämlich diese Art von Verarbeitung von Alternativen, von Widersprüchen usw. selber einschließt. Das ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Man muß eine Übersicht haben~ man muß entscheiden können, welche Art von Aktivitäten im bestimmten Fall funktional, weiche unfunktional ist, man muß seinen eigenen Stellenwert kennen in diesem Zusammenhang, muß dabei seine Beziehungen zu anderen auch bewußt fassen können, wenn dieser Gesamtprozeß auf dieser Ebene überhaupt funktionieren soll. Es sagt einem keiner mehr unmittelbar, was man zu tun oder zu lassen hat. Das ist der Punkt. In einer kooperativen, wenn man sich da so eine naturwüchsige Gesellungseinheit vorstellt, da ergibt sich aus dem, was da jeweils passiert – es regnet, es muß geerntet werden, es läuft das und das – unmittelbar das, was ich tun muß, da gibt es keinen Zweifel, es ergibt sich für mich anschaulich aus dem Zusammenhang, in dem ich stehe; während bei uns sagt uns kein Mensch, was wir tun müssen. Wir wissen zwar, daß wir alle in irgendeiner Form uns so betätigen, daß dabei dieses Gesamtsystem erhalten bleibt, sonst würden wir nicht hier sitzen können. Aber wie das im einzelnen läuft, das ist nicht unmittelbar anschaulich gegeben, sondern das ist ein Problem. Das ist also das wissenschaftliche Problem der Individualwissenschaft jetzt vom einzelnen: Begriffe zu finden, mit denen man diesen Zusammenhang, diese Möglichkeitsbeziehung jetzt adäquat fassen kann. Wie ist trotzdem die Gesetzmäßigkeit zu fassen des Zusammenhangs zwischen meiner eigenen Lebenstätigkeit und diesem großen Erhaltungssystem, an dem ich ja irgendwo beteiligt bin, was rückwirkend wieder meine Existenz ermöglicht. Das ist ja eine schwierige Situation, die Sache kann ja soweit problematisiert werden, daß man sogar leugnen kann, daß dieser Zusammenhang besteht. Es kann ja sogar soweit gehen, daß ganze Theorien diesen Zusammenhang leugnen, die ja überhaupt nicht sehen, daß da die individuelle Lebenserhaltung, Lebenstätigkeit ein Teilaspekt der Erhaltung des Gesamtprozesses ist, der wieder mich erhält. Der Zusammenhang ist so locker, daß er also wissenschaftlich nicht einmal vorkommen muß, In der bürgerlichen Psychologie kommt er nicht vor, obgleich er natürlich real besteht. Denn wenn man die Sache einmal soweit rekonstruiert hat, ist klar, daß, wenn wir nicht alle hier, nun nicht wir im Hörsaal, sondern sämtliche Leute im Gesamt, sich nicht so verhalten würden, daß dieses System im ganzen funktioniert, dann würde auch kein einziger von uns als Individuum überleben. Nur, wie wir das eigentlich tun und warum wir das tun, das ist ein ungeheuer schwieriges Problem, und natürlich noch ein besonders schwieriges in der bürgerlichen Gesellschaft, wo dann die Abkopplung der Individuen von der bewußten Verfügung über die gesellschaftlichen Prozesse ein Systemmerkmal ist, und diese Zurückgeworfenheit auf die Privatexistenz, Privatform des Denkens ja praktisch eine Art von objektiver Bewußtseinsform ist, mit der man sich ja immer erst einmal auseinandersetzen muß. D.h. also, unser Problem der Handlungsfähigkeit besteht darin, diese Möglichkeitsbeziehung, dieses bewußte Verhalten jetzt so zu konkretisieren., daß daraus für mich jeweils selber verständlich wird, wie ich eigentlich diesen zunächst problematischen und für mich nicht faßbaren Zusammenhang, wie ich den eigentlich selber fassen muß für mich; und zwar jeweils ich, denn unsere Begriffe sind ja nicht für andere Leute, sondern jeweils für einen selbst zur Klärung der eigenen Situation da. Und das ist also der zentrale Rahmen mit seinen beiden Momenten, daß auf der einen Seite in dieser Handlungsfähigkeit jetzt eine Verfügung über die Lebensbedingungen drin muß, jedenfalls soweit, daß der Gesamtprozeß funktioniert, und der funktioniert ja auch im Kapitalismus recht und schlecht, so daß wir da leben können. D.h. also die bewußte Verfügung über diesen Prozeß, die muß sich zumindest soweit durchsetzen in all diesen Widersprüchlichkeiten und Naturwüchsigkeiten der Bewegung, daß das System dabei erhalten wird. Und die andere Seite ist die, daß gleichzeitig diese Möglichkeit der Verfügung über die Lebensbedingungen eingeschränkt, mystifiziert ist durch die spezifischen Behinderungen in der bürgerlichen Gesellschaft. Das ist immer ein Verhältnis, ein Verhältnis zwischen Möglichkeiten und Behinderungen. Das ist der allgemeine Rahmen, mit dem die Handlungsfähigkeit zu fassen ist, wir haben dies Verhältnis verallgemeinerte-restriktive Handlungsfähigkeit genannt. Die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit ist jeweils die Realisierung der Möglichkeiten zur Verfügung über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen; und der restriktive Aspekt, der ist also stets dieses Moment des Sich-Einrichtens in der Abhängigkeit, des Versuchs also, in den bestehenden Verhältnissen unter Arrangement mit den Herrschenden jeweils seine Existenz zu reproduzieren. Und dieses zweite Moment stellt immer die historisch bestimmten Bedingungen von Behinderungen und Mystifikationen dar, die dieses zweite Moment reinbringen in dieses Konzept der Handlungsfähigkeit. Und das kann man jetzt natürlich nun konkretisieren, das haben wir ja auch getan, an einzelnen Begriffen, Grundkategorien, die jetzt auch ausdifferenziert worden sind in diesem Prozeß, den ich vorher dargestellt habe; ich nehme an, daß das auch weitgehend schon von Konstanze gemacht worden ist, ich will das nicht so ausführlich machen, z. B. Emotionalität mit ihren verschiedenen Stufen. Nehmen wir erstmal: Emotionalität ist Bewertung von Umweitgegebenheiten am Maßstab der eigenen Befindlichkeit, der eigenen subjektiven Notwendigkeit, das ist sozusagen die allgemeinste Bestimmung, eine Art von Widerspiegelungsfunktion am Maßstab der eigenen individuellen Notwendigkeiten. Dann die Herausbildung der erkenntnisleitenden Funktionen der Emotionalität in dieser Stufe der individuellen Lernfähigkeit, daß nämlich im Zusammenhang mit dem Neugier- und Explorationsverhalten Emotionalität eine Voraussetzung überhaupt zur Orientierung in der Realität wird. Dann – ich werde das jetzt nicht in den einzelnen – Stufen weiter verfolgen- also die neuen emotionalen Qualitäten auf dieser Ebene der gesellschaftlichen Natur des Menschen, nämlich jetzt erkenntnisleitende Funktionen im Zusammenhang mit diesem kooperativen Lebensprozeß und dann schließlich bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit jetzt diese Alternative, dieser Widerspruch, auf der einen Seite erkenntnisleitende Funktionen als verallgemeinerte Betroffenheit von der Ausgeschlossenheit von der Verfügung über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen, und gleichzeitig das positive Moment, also die emotionale Qualität der Erweiterung dieser Lebensbedingungen. Und dazu im Widerspruch dann dieses Moment der Verinnerlichung, jetzt in den Formen der bürgerlichen Gesellschaft, also Verinnerlichung der Emotionalität als nur meine, nur in mich eingeschlossen, abgekoppelt von Handlungen. Da jetzt der typische Gegensatz von Gefühl und Verstand, wie er in der bürgerlichen Gesellschaft reproduziert wird, Gefühl und Verstand schließen. sich aus, das ist eine typische Form dieser verkürzten, verkümmerten Form von Emotionalität. Ich habe diese Sache gerade erst auf einem Vortrag auf unserem Friedenskongreß versucht auszuführen, mit der Emotionalität, wo ja der Friedensbewegung auf der einen Seite der Vorwurf gemacht wird, sie sei also emotionalisiert, ein Haufen von Angsthasen, die die Übersicht und die Rationalität an den Nagel gehängt hätten, um sich jetzt kollektiv der Stilisierung ihrer Angst hinzugeben. Das ist also die Version unserer offiziellen Stellen, der Schmidt hat mal gesagt, naja die Friedensbewegung. sind ja alles nette Leute, ehrenwerte Leute, wenn die bloß mal erst diese Emotionalisierung loswerden würden, dann würden die auch merken, daß die Nato die beste Friedensbewegung ist, die wir uns vorstellen können. Und dann die Alternative dazu, innerhalb der Friedensbewegung bestimmte Momente, daß jetzt die Emotionalität als alleinige Richtschnur unabhängig von der kognitiven Verarbeitung der Realität angesehen wird, sozusagen meine Angst, meine Emotionalität als letzte Instanz. Z.B. auf dieser Berliner Begegnung der Schriftsteller gab es auch einige Dichter, die so Theorien vertreten haben, sie brauchen kein Wissen über die Abrüstungsverhandlungen und über die Waffensysteme, sondern ihnen reicht ihre emotionale Betroffenheit. Und da habe ich versucht zu zeigen, daß beides verschiedene Seiten der Verkürzung der Emotionalität auf bloße Innerlichkeit sind. Die einen kritisieren diese Innerlichkeit, die anderen nehmen sie zum Ausgangspunkt, aber der Zusammenhang zwischen Lebensbewältigung und Emotionalität ist in beiden Fällen zerrissen. Ich habe versucht, dem entgegenzustellen, was eigentlich emotionsgeleitete Erkenntnis ist, nämlich eine Erkenntnisform, in der in verallgemeinerter Art und Weise unsere Betroffenheit von unseren Lebensbedingungen erfaßbar wird. Und unter diesem Aspekt habe ich dann versucht zu zeigen, daß diese Logik der Abschreckung usw., daß die nicht etwa rational und emotional ist, sondern daß die eigentlich schlicht dumm ist, weil dieses Moment in der kognitiven Verarbeitung, die Beziehung zu den jeweilig Betroffenen verallgemeinert herzustellen, dieses wegläßt. Man kann da zeigen, daß bestimmte Formen der Friedensbewegung intellektuell ein höheres Niveau haben, weil hier der Gesamtzusammenhang rekonstruiert ist, nämlich die Beurteilung der Realität, der Information, die Erkenntnis der Welt unter dem Aspekt unserer verallgemeinerten Betroffenheit davon. Das nur einmal als kleiner Hinweis darauf, wie man versuchen kann, diese Art von Herleitung des Emotionalitätskonzepts auch in politisch, aktuellen Auseinandersetzungen zu konkretisieren.

Zweites Moment wäre etwa Motivation, auch das will ich nicht im einzelnen ausführen. Da haben wir versucht zu zeigen, daß das eine bestimmte Art von Zuspitzung der Emotionalität in diesem Zusammenhang der Herausbildung der individuellen Lern- und Entwicklungsfähigkeit ist. Zunächst nämlich individuelle Antizipation von zukünftigen Befriedigungsmöglichkeiten, dann in dieser Herausbildung der gesellschaftlichen Natur eine überindividuelle Antizipation. Also das berühmte Leontjew’sche Jäger-Treiber-Beispiel, daß also nicht jeweils der einzelne eine Handlung abschließt, sondern diese Handlung kollektiv abgeschlossen wird, und man selber also das Gesamtergebnis antizipieren kann in seiner Motivation; d.h. der Treiber, der jetzt das Wild verscheucht, antizipiert damit die Aktivität des Jägers, der das Wild dann erlegt, und daß nachher die allgemeine Umverteilung der Beute folgt. Und dann die wieder neue Qualität auf der Ebene der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit, wo dann Motivation abhängt von der Möglichkeit, in den individuellen Zielen gleichzeitig die eigene Verfügung über die Lebensbedingungen und eigene Lebensqualität zu verbessern. Und als Gegensatz dann wieder diesen Verhältnisbegriff Motivation-innerer Zwang. Innerer Zwang wäre dann die motivationsförmige Verinnerlichung von Fremdbestimmtheit, und da läßt sich dann wieder zeigen, daß die traditionelle Psychologie ebenso, wie sie nur diese verinnerlichte Emotionalität kennt, auch nur diesen inneren Zwang kennt und den als Motivation ausgibt. Die Zentralfrage der bürgerlichen Psychologie ist nämlich, wie kriegt man Leute dazu, freiwillig das zu tun, was sie sowieso tun sollen. Das läßt sich auch in der ganzen Geschichte der Emotionsforschung beschreiben, wie motiviere ich jemanden, in der Frage steckt ja schon drin, daß ich ihn motiviere, nicht er analysiert seine Situation, und ist dann, wenn sie seine Lebensmöglichkeiten erweitert, motiviert oder nicht motiviert, je nachdem, sondern ich motiviere ihn, d.h. ich bringe ihn dazu, das zu tun, was er tun soll, Und das ist genau das, was wir als inneren Zwang bezeichnen. Ein äußerer Zwang wird handlungsbestimmend in der Form, daß er einem selber als Motivation erscheint, man kriegt den Zusammenhang nicht mehr mit, wo was hergekommen ist. Das haben wir auch versucht im Zusammenhang mit dem Begriff des Überich, der in der Psychoanalyse universell angewandt wird, den zu reinterpretieren in diesem Zusammenhang, daß also Überichbildung bei Freud genau das beschreibt, nämlich eine Verinnerlichung von äußeren Zwängen, sodaß sie dann als eigene Ziel, eigene Motivation erscheinen, ohne daß der Zusammenhang, daß es nämlich äußere Zwänge sind, aber überhaupt noch sichtbar wird. Und entscheidend ist eben halt nur, daß die Psychoanalyse nur diese Form kennt, und wir versuchen, zu zeigen, daß das eine bestimmte, verkürzte Form der Motivation unter den spezifischen behindernden und mystifizierenden Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft ist, und die „eigentliche“ menschliche Motivation immer im Widerspruch dazu steht, nämlich man ist dann motiviert, wenn mit der Verfolgung des Ziels man selber die Möglichkeit hat, seine eigene Realitätsverfügung und damit seine Lebensqualität zu verbessern. Und Fremdbestimmtheit kommt dann in dem Moment rein, wo diese Form instrumentalisiert wird für fremde Zwecke.

Jetzt könnte ich also auch noch was erzählen zum Verhältnis von Begreifen und Deuten, aber das wird mir jetzt zuviel, ich habe also jetzt versucht. dieses Konzept der Handlungsfähigkeit noch etwas auszuschmücken, indem ich auf die einzelnen Funktionen einging, was man natürlich viel genauer machen müßte, aber das haben ja Charly und Konstanze schon getan.

Wesentlich ist also, daß auf dieser Stufe der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit alle diese Dinge Möglichkeitscharakter haben. Wir selber haben eigentlich in jedem einzelnen Moment immer die Alternative Motivation/innerer Zwang, die Alternative verallgemeinerte Emotionalität/Verinnerlichung, die Alternative Begreifen/Deuten usw. D.h. also diese Möglichkeitsbeziehung, daß man sich also in bestimmten Konfliktsituationen immer so und so verhalten kann, die wird jetzt aufgegliedert in die verschiedenen Aspekte.

Im Grunde ist dieses Moment Begreifen-Deuten eigentlich so ein Oberkonzept dieses Begriffs der Handlungsfähigkeit. Und zwar muß man ja davon ausgehen, daß zunächst einmal jedes Individuum in einer Art von unmittelbarer Realität steht, in der dieser gesamtgesellschaftliche Zusammenhang zunächst einmal nicht sichtbar wird, d.h. wir alle stehen zunächst einmal in einer Art von unmittelbar personalisierender Umwelt, unsere Alltagspraxis, in der wir uns irgendwo bewegen müssen, und die Denkweise, die dazu paßt, nämlich die Denkweise der Alltagspraxis, und die nennen wir Deuten. D.h. Zusammenhänge stiften zwischen jeweils oberflächlichen Bedingungen, so daß sie unseren praktischen Erfordernissen genügen. Vereinfachung, Personalisierung, die erste Ursache ist immer eine Person. Ein typisch deutender Umgang mit dem Kapitalismus ist z.B. die Rede von den Bossen, das machen ja auch manche Leute in kommunistischen Jugendverbänden, daß sie da mit den Kindern dauernd die Bosse nachzeichnen mit ihrem schwarzen Hut und so. Dieses ist eine vielleicht nicht umgehbare Zwischenform, daß man sich gesellschaftliche Zwänge zunächst einmal als Menschen vorstellt, zu denen man sich nur persönliche Beziehungen vorstellen kann, aber diese Ebene ist eine deutende Ebene. Und jetzt ist die Frage, ob diese Ebene das einzige Bestimmungsmoment des Handelns bleibt. Wenn sie das bleibt, dann heißt das, daß man im Grunde in seiner Unmittelbarkeit so befangen ist, daß man eine Verfügung über die Bedingungen, von denen diese Unmittelbarkeit wieder abhängt, nicht kriegen kann. Der Punkt ist ja der, daß wir einmal unsere unmittelbare Lebenswelt haben, daß diese Lebenswelt aber ein Teil des gesamtgesellschaftlichen Prozesses ist. Und was mit dieser Lebenswelt passiert, hängt nicht nur von den Bestimmungen in dieser Lebenswelt ab, wenns auch manchmal so aussieht, so kann man sich im Alltag einbilden, man hat alles im Griff, man kennt alles, die beknackten Dinger und so; und wenn dann ein Eingriff von außen kommt, Arbeitslosigkeit oder irgendwas, dann bumst es plötzlich, dann zeigt sich, daß diese Struktur in sich brüchig ist, daß also diese abgesonderte, selbstgenügsame Außenwelt, also die unmittelbare Lebenswelt abhängt von umfassenderen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen. Und jetzt gibts zwei Möglichkeiten, jetzt kommt die berühmte Alternative Begreifen/Deuten. Entweder es wird versucht, jetzt diese Einbrüche aus dem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang wieder einzugemeinden in dieses Deutungssystem, also deutende Verarbeitung von gesellschaftlichen Widersprüchen, d .h. Personalisierung, Individualisierung, Arbeitslosigkeit als individuelles Problem, ich selber habe schuld, ich selber muß versuchen, mich durchzubeißen, eine Unmenge anderer Dinge; meinetwegen Schwierigkeiten sexueller Art in der Familie, zwischen Kindern und Eltern usw. wird aufgefaßt als ein bloßes aus sich selbst heraus, aus der unmittelbaren Beziehung zwischen den Beteiligten voll verständliche Konfliktsituation und man kapiert nicht, daß diese Familie selber ein Teilaspekt eines gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs ist, in dem durch diesen Zusammenhang selber eine befriedigende Form des Miteinanderlebens schon ausgeschlossen ist. Und wenn man den Gesamtzusammenhang nicht ändert, dann wird man auch diese scheinbar individuellen Konflikte in der Familie nicht lösen können. Und wenn man das kapiert, dann hat man sozusagen die begreifende Alternative. Wenn man meinetwegen merkt, wir haben diesen Fall einmal gehabt in diesem Buch vom Manfred Kappeler und der Ute und mir .(„Psychologische. Therapie und politisches Handeln“, Frankfurt/M. 1977), wo also ein 16-17 jähriger Junge ungeheure Probleme mit seinem Vater hatte und den zunächst für alles verantwortlich machte. Die schlugen sich bald tot, weil der Junge dachte, der steht mir im Weg, der hält mich von meinen Lebensmöglichkeiten ab; bis die dann irgendwo mit der Zeit in ungeheuren Konflikten dahinterkamen, daß die Tatsache, daß die da aufeinandergehetzt werden, selber eigentlich eine Ablenkung von den Gründen für diese ganze Konfliktsituation ist, daß also ihre eigene Situation aus ihrer Klassenlage resultiert. Und man konnte sehr schön zeigen, daß die Aussichtslosigkeit darin bestand, und sie von den wirklichen Ursachen ihrer Misere noch abgelenkt werden dadurch, daß sie sich selber gegenseitig dafür verantwortlich machen. Und dann die nächste Stufe, in der sie dann allmählich kapierten, daß sie versuchen müssen, da was zu ändern, und dann diese für uns jedenfalls oft sehr anrührenden Sachen, wo das erste Mal der Junge und der Vater auf ein Amt gehen und versuchen, für den Jungen wieder ein neue Schule zu finden, nachdem er das vierte Mal von der Schule geflogen ist und vorher der Vater also nur auf ihn drauf, und plötzlich gehen die dahin und können diese Angst vor der Institution dann verarbeiten und so kapieren, daß das nicht das letzte ist, daß der eigentliche Feind nicht der Vater ist, daß der Sohn nicht der eigentliche Feind ist, sondern daß diese Feindschaftsbeziehungen selber aus dem Zusammenhang bestehen, in dem sie aufeinander fixiert sind, wobei man den Gesamtzusammenhang erstmal begreifen muß, damit man diese Unmittelbarkeit dann überwinden kann. Das ist so eine Entwicklung von einer nur deutenden, personalisierenden Sichtweise zu einem Stück von begreifender Wirklichkeitsverarbeitung.

Publikumsfrage (Albrecht Feuerstein): ‚Was nützt das, wenn man den Sprung geschafft hat, und wenn die realen Zustände einfach nicht veränderbar sind?
Holzkamp: Du, ich würde sagen, daß die realen Zustände nicht veränderbar sind, diese Aussage stimmt nie. Was nicht veränderbar ist, sind die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse, jedenfalls nicht auf einen Schlag. Wir können nicht morgen den Kapitalismus abschaffen, ja, aber das heißt nicht, daß unsere Lebensbedingungen nicht veränderbar sind. Die sind im Prinzip immer veränderbar. Solange der Mensch überhaupt am Leben ist, hat er die Möglichkeit, ein Stück Verfügung mehr über seine Bedingungen zu erhalten, Und wenn du noch so behindert bist, wenn du keine Beine mehr hast und auf deiner „Krappe“ rumruderst, hast du noch Alternativen dich abzufinden oder ein Stück weiterer Verfügung über deine Lebensbedingungen zu kriegen.
A.F.: Das habe ich nämlich auf der Deutungsebene auch …
H.: Du hast dann zwar die Möglichkeit, du benutzt sie aber nicht, natürlich hast du sie, wenn du sie nicht hättest, könntest du sie auf der Begreifensebene auch, nicht nützen. Aber du nützt sie nicht, du findest dich ab, auf der Deutungsebene findest du dich mit den Konflikten, so wie sie auf den ersten Blick erscheinen, ab, du benützt nicht die Möglichkeit, ein Stück Verfügungserweiterung für dich zu kriegen. Du hast sie, aber du benützt sie nicht. Und zwar ist das eine Sache, jeweils für mich selber, eine Klärung meiner eigenen Situation, eine Begrifflichkeit, bei der ich selber in höherem Maße in die Lage versetzt werde, Verbesserungen meiner Lebensmöglichkeiten, da wo sie sind, auch zu realisieren. Nämlich sich nicht abzufinden, nicht klein beizugeben, nicht Personen oder mich selber verantwortlich zu machen, sondern ein Stück zu kapieren, wo ich jetzt Bedingungen verändern kann, damit dabei über die veränderten Bedingungen auch meine eigene Situation sich verbessert. Das ist eine Geschichte, diese Möglichkeit besteht wirklich immer, die besteht dann nicht mehr, wenn man mich totschlägt. Und fünf Minuten vorher besteht sie auch noch, da kannst du schreien, es lebe die Freiheit, Bevor sie dich abknallen, dann hast du auch noch ein Stück Selbstverfügung durchgesetzt. Nur in dem Moment, wo du tot bist, kannst du es nicht mehr. Also man muß von der Vorstellung runterkommen, daß nur entwickeltste Individuen kurz vor dem Parteieintritt oder sowas diese Alternativen haben, oder das sowas nur dann funktioniert, wenn unmittelbar die berühmte revolutionäre Situation, auf die die Kommunisten in der Weimarer Zeit dauernd gewartet haben, daß die also unmittelbar da sein muß, ehe das- passieren kann. Wenn man die Dinge so versteht, dann ist wirklich die Kritische Psychologie absolut mißverstanden, und vielleicht haben wir uns manchmal selbe so ausgedrückt. Entscheidend ist also, daß diese Alternative verallgemeinerte-restriktive Handlungsfähigkeit mit all diesen Bestimmungen Deuten, Begreifen, Emotionalität, Motivation, innerer Zwang, daß sie in jedem Moment, wo also eine Bedrohung unserer Selbstbestimmung, auf welcher Ebene auch immer, stattfindet, für uns eine reale Alternative ist, und wir immer die Möglichkeit haben, entweder uns abzufinden oder einen Schritt Verfügungserweiterung zu kriegen. Wie im einzelnen, das ist natürlich eine Frage der aktualempirischen Forschung, von welchen Bedingungen für mich das jeweils in meiner konkreten Situation abhängt, weil nur ich diese Fragestellungen überhaupt einmal sehen kann. In der gesamten traditionellen Psychologie stellt sich die Frage überhaupt, gar nicht so, weil die Begrifflichkeit, die Kategorien, die da entwickelt worden sind, eben solche sind, unter denen man nur diese restriktive Seite überhaupt zu Gesicht bekommt. Man kann doch z.B. zeigen, daß die die gesamte bürgerliche Denkpsychologie nur das Deuten als Denken stilisiert, daß die bürgerliche Emotionspsychologie nur die verinnerlichte Emotion kennt, daß die bürgerliche Motivationspsychologie nur Motivation per inneren Zwang kennt. D.h. daß sie diese spezifische restriktive Form der Handlungsfähigkeit unter bürgerlichen Bedingungen, also diese Alternative, als einzig menschliche Möglichkeit auffaßt und damit das Einrichten in den bestehenden Verhältnissen damit befestigt, indem die andere Möglichkeit, die real für jeden besteht, in der Wissenschaft dann jedenfalls nicht vorkommt.

3. Aktualempirische Verfahren

So, da habe ich ja schon ein bißchen angedeutet, wie man das jetzt im einzelnen jeweils konkretisiert, eine Frage der theoretisch-empirischen Forschung auf der Grundlage dieser Kategorien, und das soll dann mein letzter Punkt werden~ was heißt eigentlich empirische Forschung im Zusammenhang dieses neuen Paradigmas.

Ich habe ja schon gesagt, daß die Kritische Psychologie bestimmte kategoriale Voraussetzungen schafft für die aktuelle empirische Forschung in der Psychologie. Und da ist wesentlich der Unterschied zwischen dieser historisch-empirischen Forschung, die ich jetzt dargestellt habe, denn da wird ja auch empirisches Material verarbeitet bei diesen ganzen phylogenetischen und anthropogenetischen Analysen, und der aktualempirischen Forschung auf der Grundlage dieser Kategorien, wie die aussehen muß. Damit verbunden ist eine Kritik und auch eine positive Bestimmung dessen, was jetzt aktuelle empirische Forschung in der Psychologie heißen kann aufgrund dieser Kategorien. Ist die Fragestellung klar? Die ergibt sich halt eben daraus, daß es eine kategoriale Bestimmung ist, und nicht schon eine theoretische und aktualempirische. Und dabei versuche ich also dann, die subjektwissenschaftliche Methodik, also das, was aus diesem subjektwissenschaftlichen Ansatz folgt, für die unmittelbare Untersuchungstätigkeit darzustellen.

3.1. Gegenstandsadäquatheit und Objektivitätskriterien

Die gängigen Kriterien der traditionellen Psychologie, die methodischen Kriterien für die Forschung, die könnte man als Objektivitätskriterien bezeichnen, also die für wissenschaftliche Objektivität; und zwar werden die häufig noch aufgegliedert in Verallgemeinerbarkeit, Nachprüfbarkeit usw., Vorhersagbarkeit, also diese ganzen Dinge, wenn ihr die nicht schon kennt aus euren entsprechenden Seminaren, kann ich sie euch hier jetzt alle auch nicht mehr darstellen, experimentelle Forschung, statistische Prüfung und was alles dazugehört.. Dabei ist also eines zunächst einmal klar, daß diese Objektivitätsforderungen im Prinzip natürlich wissenschaftlich rational sind, daß wissenschaftliche Forschung von bloßem Dafürhalten und bloßer Beliebigkeit unterscheidbar sein muß, das ist nicht der Streitpunkt. Wir teilen also gar nicht die Auffassung mancher humanistischer Psychologen, die der Meinung sind, man darf die Wissenschaftlichkeit nicht übertreiben, wenn man „lebensnahe“ und relevante Forschung machen will, dann darf man dies halt nicht ganz so wissenschaftlich machen, dieser Auffassung sind wir überhaupt nicht. Sondern das Problem ist für uns, wie man diese Objektivitätskriterien so faßt, daß die wesentlichen und spezifischen Bestimmungen des Psychischen auf menschlichem Niveau damit auch wirklich erforschbar sind. Und um das also auf den Begriff zu bringen, haben wir also ein anderes Kriterium dazugenommen, das diesen Objektivitätskriterium vorzuordnen ist, und zwar nennen wir das das Kriterium der Gegenstandsadäquatheit. Die Kategorialanalyse, wie ich sie euch dargestellt habe, ist ja eine Analyse des Gegenstandsbezuges, und ich hatte euch ja ganz am Anfang gesagt, in diesen Grundbegriffen ist schon determiniert, was vom Gegenstand überhaupt erfahrbar wird nachher in der aktuellen Forschung. D.h. also, bevor man dieser Frage der Objektivität näher nachgehen kann, muß gesichert sein, daß mein jeweiliges Forschungsvorhaben auch dem Gegenstand, den ich erforschen will, adäquat ist, und zwar jetzt nach Maßstab der kategorialen Bestimmungen, wie ich sie hier dargestellt habe.

3.2. Kontrollwissenschaft vs. Subjektwissenschaft

Dieses Kriterium der Gegenstandsadäquatheit schließt so eine radikale Kritik der Verabsolutierung der Objektivitätskriterien der traditionellen Psychologie ein. Da ist also im allgemeinen (von Ausnahmen einmal abgesehen) die Situation die, daß diese Objektivitätskriterien, wie sie in der Variablenpsychologie, also in der experimentellen, statistischen Forschung definiert sind, eigentlich zum Maßstab dafür zu machen, was man erforschen kann. Die drehen das also genau um, die sagen, wir haben ja unsere Methoden der experimentellen Forschung, der statistischen Analyse, und was wir damit erforschen können, ist der wissenschaftlichen Analyse zugänglich, und den Rest kann man halt nicht erforschen. D,h. also umgekehrt, es richtet sich nicht nach der Gegenstandsadäquatheit, wie man die Objektivitätskriterien faßt, sondern vorgegebene Objektivitätskriterien entscheiden darüber,. was vom Gegenstand man überhaupt zu sehen kriegt. Um also die Kritik daran auf einen anschaulichen Nenner zu bringen, haben wir dieses schöne Gleichnis von dem Betrunkenen gebracht, der im dunklen Park seinen Schlüssel verloren hat, aber lieber unter der Laterne suchen will, weils heller ist. Das ist also unsere symbolische Kritik an den Methodenvorstellungen der bürgerlichen Psychologie. Und etwas weiter inhaltlich gewendet, ist es natürlich so, daß unsere Kritik verallgemeinerbar ist, daß die Gegenstandsadäquatheit schon deswegen nicht erreichbar ist, weil sie halt nur Menschen unter Bedingungen untersuchen, aber nicht dieses Moment der Verfügung von Menschen über ihre Lebensbedingungen, die andere Seite also überhaupt nicht mit fassen können. Und man kann das sehr schön zeigen an den ganzen Planungsinstrumentarien der experimentellen Forschung, daß dies eine bestimmte Art von Bedingtheitsmodell ist, wo also im Prinzip immer Bedingungen vom Forscher gestellt werden und dann nur festgestellt wird, wie verhalten sich Individuen gegenüber diesen Bedingungen. Und die andere Seite, die der Schaffung von Bedingungen durch diese Betroffenen dabei automatisch rausfällt. Man wirft den Marxisten immer Einseitigkeit vor, also die zentrale Einseitigkeit liegt hier in diesem Ansatz, in dem der Mensch nur als bedingtes Wesen, nicht aber als Schöpfer seiner Lebensbedingungen erfaßbar ist, und eine größere Einseitigkeit kann ich mir wirklich nicht mehr vorstellen. Und damit ist auch klar, daß in diesem ganzen methodischen Modell implizit eine Bestätigung der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse drin ist, und deswegen haben wir also dieses Konzept Kontrollwissenschaft genannt. Es geht ja eigentlich immer darum, wie sind Menschen durch Bedingungen kontrollierbar, aber niemals umgekehrt darum, wie können Menschen ihre Lebensbedingungen kontrollieren. Da gibts überhaupt kein Paradigma oder gar kein Modell für, das in dieser Art von methodischem Vorgehen abbildbar wäre. Das will ich jetzt nicht weiter ausführen. Übrigens, wichtig ist noch dabei, daß die statistische Vorgehensweise ja auf einem bestimmten Häufigkeitsansatz beruht, wo im Grunde der Gegenstand nicht Individuen, sondern Verteilungen sind. Wahrscheinlichkeitsaussagen kann man nur über Verteilungen, nicht aber über individuelle Fälle machen. D.h. also, der gesamte Ansatz der Statistik, der Prüfstatistik in der Psychologie, der impliziert ja Aussagen über Häufigkeiten und über Häufigkeiten mit zentralen Tendenzen, mit irgendwelchen Kennwerten, Statistiken, Paramentern usw. je nachdem, welche Stichprobe oder Population man sich anguckt. Da ist jeder Mensch nur ein Punkt in einer Verteilung und ein Fall der Abweichung von einer zentralen Tendenz. D.h. also, das Individuum selber kommt in diesem Ansatz notwendigerweise gar nicht vor, kann gar nicht vorkommen aufgrund dieses Ansatzes. Wobei dann noch kompliziertere Probleme dadurch entstehen, daß man jetzt auch Häufigkeiten von verschiedenartigen Verhaltensweisen der einzelnen Individuen herstellen kann, und dann wird immer gesagt, damit haben wir doch das Individuum erfaßt, aber das will ich jetzt weglassen.

3.3. Die Unreduzierbarkeit der Intersubjektivität

So, gegen dieses Konzept kommt es also jetzt darauf an, Objektivitätskriterien so zu entwickeln, daß dabei die zentralen Bestimmungen der Gegenstandsadäquatheit nicht verlorengehen. Die Spezifik der menschlichen Lebenstätigkeit habe ich euch dargestellt, das ist diese Handlungsfähigkeit mit dieser Dimension der Subjektivität, Intersubjektivität. Also der Mensch als Subjekt, als Ursprung der Verfügung über seine Lebensbedingungen. Und Intersubjektivität als eine Beziehung zwischen solchen Individuen, die jeweils von sich und vom anderen wissen, daß sie Ursprung von Veränderungen und Verfügung über Lebensbedingungen sein können. wir reden da also von Intentionalität, aber in einem anderen Sinne als die Phänomenologie, und das Individuum als Intentionalitätszentrum bedeutet, daß man sich selber erlebt als möglichen Ursprung von verändernden Handlungen und zugleich weiß, daß der andere auch sich selber so erlebt. Und diese Beziehung ist dann das Moment der Intersubjektivität, und diese Beziehung der Intersubjektivität ist Voraussetzung dafür, daß die menschliche Ebene des Psychischen überhaupt in einer Untersuchung erreichbar wird. D.h. also, daß in keiner Methodik diese Ebene der Intersubjektivität eliminiert oder unterschritten werden darf, d.h. daß auch die Beziehung zwischen Forscher und Erforschtem in dieser Beziehung der Intersubjektivität stattfindet. Also gerade dieses Moment, daß der Forscher sich selber aus der Beziehung herausnimmt und das Individuum qua Bedingtheitsmodell zum Gegenstand seiner Analysen macht. Es ist immer so spannend: intersubjektive Beziehungen zwischen Forscher und Erforschtem bestehen vor dem Versuch und nach dem Versuch, wenn die Versuchsperson reinkommt, dann sagt er: Guten Tag, Herr Müller, wie gehts ihnen denn, und weiß genau, daß das ein Mensch ist wie er selber, der ihn auch wahrnimmt, der Intentionalitätszentrum ist, potentiell über seine Bedingungen verfügen kann, diese Alternativen hat. Dann setzt er ihn in die Versuchsanordnung und gibt ihm Instruktionen, in denen er dazu gebracht wird, sich jetzt nur als bedingtes Individuum zu benehmen, nämlich an den Bedingungen zu reagieren. Und zwar ist das eine Vereinbarung zwischen dem Versuchsleiter und der Versuchsperson, sich jetzt so zu benehmen, als wenn er nur bedingt wäre. Und diese Vereinbarung wird weggelassen, die Ergebnisse werden so benutzt, als wenn Individuen wirklich bedingt sind. Und am Ende nachher, wenn. Der Versuch vorbei ist, dann benimmt er sich wieder zu dem anderen wie zu einem anderen Subjekt – das ist eine absolut groteske Situation. Ich hab sowas ja Jahrzehnte selber professionell betrieben, habe meine akademische Karriere als experimenteller Psychologe gemacht und bin nur Professor geworden aufgrund meiner hervorragenden Experimente. Also das was ich dann nachher anfing zu machen, das hätte mich nicht hierher gebracht, das ist ganz klar, Gottseidank habe ich die Kurve gerade noch gekriegt, so 66.

Wenn ihr euch jetzt also das klarmacht, seht ihr, worin die Aufgabe besteht, nämlich darin, jetzt Kriterien für die Objektivität der psychologischen Forschung zu kriegen, ohne daß dabei diese Intersubjektivitätsbeziehung zwischen Forscher und Erforschtem eliminiert wird. Und dabei ist schon einmal klar, daß auch dieser Häufigkeitsansatz auf keinen Fall die Grundlage der Verallgemeinerung sein kann. Im Grunde ist ja im Häufigkeitsansatz jeder eine Ausnahme, es gibt eigentlich nichts weiter als Ausnahmen, auch derjenige, der zufällig auf der zentralen Tendenz liegt, ist eine Ausnahme weil er ein Zufall ist. Wenn ihr also eine Verteilung macht, und da gibts einen Mittelwert, und ihr liegt zufällig auf dem Mittelwert, ist das doch ein reiner Zufall, ihr könntet genauso gut ein Stück links oder rechts davon liegen, das hängt von euch ja gar nicht ab, sondern das hängt ja von der Gesamtverteilung ab, wo ihr liegt. D.h. also, der Mensch ist in der bürgerlichen Methodik eine permanente Ausnahme und d.h. diese Methodik ist prädestiniert zur Ausgrenzung von Individuen. Und sie wird ja auch dazu benutzt, man kann das zeigen, daß die Sortierung, die Ausgrenzung von Individuen die Grundlage der Anwendung dieser Methodik ist, in welchem Zusammenhang auch immer, ob nun ganz platte Ausgrenzungen in dem Sinne von Auswahl von Leuten für irgendwelche Schulzweige, die Leute werden aussortiert via Testpsychologie, oder ob so differenzierte Ausgrenzungen wie Indizierung von therapeutischen Verfahren, welche Leute sind für welche Verfahren geeignet, d.h. die Leute, die für Verfahren nicht geeignet sind, kriegen halt keine Therapie oder kriegen Therapie vom anderen Verfahren, dafür fühle ich mich dann aber nicht mehr zuständig. Man kann ganz differenziert zeigen, daß diese Methodik dieses Moment der Ausgrenzung von Ausnahmen in den Mittelpunkt stellt, das ergibt sich einfach aus dem Ansatz. Wenn man da diese Verteilungen hat, ist es doch naheliegend, man macht einen Cut-off, wie will man die Verteilung sonst machen. Man legt einen Schnitt, die gehören dazu, die gehören nicht mehr dazu. Das steckt in diesem Normalverteilungsmodell ja drin, wenn ich darüber anfange zu reden, dann komme ich ungeheuer in Wut, aber das will ich jetzt nicht mehr machen, vielleicht können wir nachher darüber diskutieren, was das etwa für die Schule bedeutet, für Lehrer, wenn die jetzt vergattert werden, Noten nach dem Normalverteilungsmodell zu geben, das sind irrsinnige Geschichten.

Entscheidend ist also, daß es von der Subjektwissenschaft aus prinzipiell keine Ausnahmen gibt, kein Mensch ist eine Ausnahme von irgendwas. In dem Moment, wo ich den Begriff der Ausnahme auf Menschen anwende, ist das zumindest latent inhuman, weil ich bestimmten Menschen nicht mehr die Qualität eines Menschen im vollen Sinne einräume.

3.4. Die Einheit von Praxis und Erkenntnisgewinn

Das heißt nun, wir müssen einen Verallgemeinerungsbegriff finden auf einer anderen Ebene als dieser Begriff der Häufigkeitsverallgemeinerung, wo Menschen im Grunde nur noch als Ausnahmen faßbar sind. Es muß also die unreduzierte Einmaligkeit von je mir da reinkommen und trotzdem eine Verallgemeinerung möglich sein. Das kommt euch zunächst vielleicht vor wie die Quadratur des Kreises, also ein unlösbares Problem, aber allmählich sind wir dahin gekommen, daß das Problem lösbar ist, wenn wir es auch noch nicht gelöst haben, aber wir haben jedenfalls die ersten Schritte in der Richtung gemacht, und das will ich versuchen noch kurz zu erklären, wie wir das machen wollen. Zunächst einmal ist es klar, daß die Forschungspraxis eine Praxis zwischen Forscher und Erforschtem ist, der Forscher also selber in dieser Forschungspraxis drinsteht. Und der Forschungsprozeß eigentlich darin besteht, auf der Basis dieses intersubjektiven Verständigungsrahmens zu einer bestimmten Art von Objektivierung der für je mich gegebenen Bedingungen und Behinderungen der Erweiterung der Verfügung über meine Lebensbedingungen zu kommen. Unsere Grundfrage auf der spezifischen Ebene ist, jeweils eine bestimmte Praxis im Forschungsprozeß zu realisieren, von der aus gleichzeitig erfaßbar wird, unter weichen Bedingungen diese praktische Verfügungserweiterung möglich ist. D.h. also, aus der Praxis selber die Bedingungen zu erfassen, unter denen sie möglich ist, unter Einbeziehung des Forschers selber für je mich. Entscheidend ist bei uns der Begriff „je ich“, der stammt aus der Phänomenologie, den benutzen wir aber ganz anders, es geht also wirklich um mich ganz konkret, wobei ich allerdings kein einzelnes Ich bin, sondern ihr seid auch alle „je ich“, und wir stehen in einer bestimmten Beziehung zueinander, und das ist der intersubjektive Rahmen, der nicht unterschritten werden darf in der Forschung. Und es kommt also darauf an, jetzt für die jeweils Betroffenen eine Begrifflichkeit und Verfahrensweise zu entwickeln, mit denen sie selber die Bedingungen verallgemeinert erfassen können, unter denen sie ein Stück an Verfügungserweiterung und Verbesserung ihrer Lebensqualität in der jeweilig konkreten Fragestellung herauskriegen. D.h. also, indem ich selber diesen Prozeß vollziehe, werden die Bedingungen reflektiert, unter denen er möglich ist, und dies in einer verallgemeinerten Form. Diese ganze Sache ist eine Art Einheit von Praxis und Erkenntnisgewinn, und daß hier die Praxis eigentlich in gewisser Weise im Dienst der Forschung steht, das allerdings nur kann, wenn sie auch wirklich Praxis ist. D.h. wenn wir eine bestimmte Untersuchung in der Entwicklungspsychologie oder sonstwo machen, meinetwegen eine Analyse über Gewalt gegen Frauen, Frauenhaus, oder irgendwas, dann ist die Praxis der Betroffenen, ein Stück mehr an Überwindung der Abhängigkeit zu gewinnen. Das ist natürlich reale Praxis für die Betroffenen und nur als diese reale Praxis gleichzeitig eine Voraussetzung für die Verallgemeinerung, d.h. man kann das kontrollierte, exemplarische Praxis nennen, also eine exemplarische Praxis, die aber nur dadurch, daß sie wirklich Praxis ist, Erkenntnisgewinn erlaubt. Wenn es also nicht gelingt, bestimmte Widerstände oder Schranken der eigenen Bedingungsverfügung zu überwinden, meinetwegen ein Stück von verallgemeinerter Handlungsfähigkeit gegenüber der restriktiver durchzusetzen, kann ich auch nicht die Bedingungen hinterfragen, unter denen das möglich war.

Publikumsfrage: Ich hätte eine Bitte, jetzt an der Stelle, ich komme jetzt nicht mehr mit, mir wird das zu abstrakt, können Sie das bitte ein bißchen allgemeiner oder …
Holzkamp: Ja, vielleicht ist das erstmal die Schwierigkeit, daß ich erst einmal versuchen möchte, im Zusammenhang die Sache darzustellen, Beispiele habe ich noch eine ganze Menge, die können wir vielleicht heute Abend in der Diskussion bringen. Das Problem ist, wenn ich dauernd Beispiele bringe, dann ist die Gefahr, daß man in das berühmte deutende Denken abrutscht: denn Beispiele sind ein Riesenproblem, weil ein Beispiel immer eine Menge anderer Momente enthält außer denen, auf die es ankommt, und für den, der das Beispiel anhört, dann gar nicht mehr klar ist, was will er eigentlich damit sagen. Also Beispiele sind was Schönes, aber erst dann, wenn man begriffen hat, worums geht, sonst ist die Gefahr, daß die Beispiele einen irreführen, wenn man nicht weiß, worauf es eigentlich dabei ankommt, relativ groß. Also ich hab‘ mir ein paar Beispiele ausgedacht, würde aber gerne die erst heute abend bringen, nachdem eure Probleme alle da sind und jetzt nur versuchen euch klarzumachen, worums geht. Denn diese Dinge sind absolut neu, die hat noch keiner bisher probiert, und für uns auch neu, wir haben die nicht glatt, daß wir die euch einfach so servieren können als schon zwanzigmal gedacht und nur didaktisch vermittelbar, wir kämpfen selber mit den Problemen und ich möchte euch gerne klarmachen, wenn ihr selber auch nachher als wissenschaftliche Forscher arbeitet, woraufs eigentlich dabei ankommt, wie man herangehen muß an eine empirische Forschung.
Publikumsfrage: Ich möchte das auf uns selber schon anwenden, auf unsere Praxis, jetzt als Student, hier und jetzt.
Holzkamp: Das können wir auch diskutieren, sicher. Gerade in Übungen etwa ist das Problem, daß man in dem Moment natürlich immer auf die eigene Lebenspraxis zunächst einmal zurückgreift, und da auch auf die Lebenspraxis der Studenten, wobei der Punkt natürlich der ist, daß man die konkret kennen muß. Wir kennen unsere Praxis auch mit den Studenten gemeinsam an unserem Institut, ich kenne aber eure Praxis hier nicht so, vielleicht kriegen wird das heute abend hin, so etwas einmal gemeinsam zu erarbeiten, was da alles für Konsequenzen erwachsen können..

Aber ich bin noch gar nicht fertig, und es wird auch gleich wieder ein bißchen faßbarer. Klar ist nur, es darf also einerseits dieses Moment der Intersubjektivität, daß der Forscher selber mit im Prozeß steckt, nicht unterschritten werden. In dem Moment, wo der Forscher draußen steht, einen Standpunkt hat außerhalb von dem Prozeß, den er erforschen will, ist es immer Kontrollwissenschaft, absolut, ganz egal, was erforscht wird. Diese Voraussetzung zu erfüllen ist so ungeheuer schwer. Jetzt haben da z.B. ein paar Kollegen so eine Untersuchung machen wollen über alte Menschen, eine sehr lobenswerte Sache, und haben sich überlegt, was sie mit denen da machen wollen und irgendwelche therapeutisch-pädagogische Geschichten, und da haben wir ihnen gesagt, na gut, wenn ihr da ranwollt, müßt ihr erstmal klären, warum wollt ihr eigentlich mit diesen Alten überhaupt arbeiten, ihr steckt mit drin in dem Prozeß, und dann kam erst mal raus, ja, weil wir Diplomarbeiten machen müssen. Und wie sie überlegt haben, wo kann man was machen, und dann, nützt das eigentlich wirklich den Betroffenen, was ihr da machen wollt, was bedeutet das für die, wenn ihr jetzt schon erstmal vordefiniert, daß ihr mit denen therapeutisch arbeiten wollt, das deswegen, weil das eine Sache ist, die ihr gelernt habt, damit definiert ihr automatisch die Alten aber als therapiebedürftig, fassen die sich selber eigentlich auch als therapiebedürftig, usw. Solche Beispiele kann man späterer genauer behandeln, aber schon der Punkt, sich selber miteinzubeziehen in den Prozeß, seine eigene Motivation für die Forschung, was soll eigentlich für die Betroffenen einschließlich des Forschers selber dabei rauskommen, und das analysiert mit den Kategorien, die ich euch hier dargestellt habe.

Und dabei ist der Moment entscheidend, daß bei diesen subjektwissenschaftlichen Forschungen unbedingt das gemeinsame Interesse der Betroffenen, nämlich sowohl des Forschers wie der Betroffenen, daß dieses gemeinsame Interesse an einem Stück Verfügungserweiterung unbedingte methodische Voraussetzung ist. Wir können keine Forschung realisieren, wenn die Betroffenen nicht voll begriffen haben, um was es für sie geht und mit dieser Forschung selber den Anspruch verbinden, ein Stück Lebensmöglichkeiten für sich zuschaffen. Es müssen also eine Unmasse von Bedingungen erfüllt sein, ehe man überhaupt an die Forschung rangehen kann. Die Bürgerlichen können alles und jedes erforschen, die gehen von außen an eine Geschichte heran, machen eine Fragebogenuntersuchung oder irgendwas. Wir müssen diesen intersubjektiven Rahmen herstellen und müssen dann den Qualifizierungsprozeß der Versuchspersonen als Mitforscher in Gang bringen, und d.h., daß die Interessen der Betroffenen in die Richtung gehen müssen, sich an diesem Prozeß zu beteiligen. Wenn sie das allerdings tun, dann haben wir einen ungeheuren Vorteil gegenüber der traditionellen empirischen Sozialforschung, wir müssen uns nämlich nicht mehr mit dem Problem auseinandersetzen, was wir machen, wenn die uns täuschen wollen Das Hauptproblem ist ja das Täuschungsproblem, also die berühmte „blackbox“, da sitzt die Versuchsperson drin und die macht und denkt irgendwas und der Forscher weiß nicht, was die denkt, möchte es aber so furchtbar gerne wissen, und daran scheitert dann in gewisser Weise die gesamte experimentelle Psychologie. Es gibt Richtungen, die heißen „Sozialpsychologie des Experiments“, die zu der Meinung kommen, weil dieses Problem der instruktionswidrigen Täuschung der Versuchsperson prinzipiell nicht lösbar ist, kann man eigentlich überhaupt gar keine Experimente machen, soweit geht das selbst innerhalb der traditionellen Psychologie. Während bei uns natürlich die Frage der Täuschung nicht ausgeschlossen ist, aber keine andere ist als die Frage der Täuschung des Wissenschaftlers auch. Unsere Probanden als Mitforscher haben nicht mehr Grund zu täuschen wie ich auch. D.h. es ist ein allgemeines Problem sozusagen der Verschleierung und Fälschung von wissenschaftlichen Daten, das besteht ja auch, aber das ist kein Problem der Psychologie, sondern ist ein allgemeines Problem der Wissenschaft. Diese Spezifik der Täuschung der Versuchsperson, also des Experimentleiters durch die Versuchsperson aufgrund abweichender Interessen, warum sollen die mitspielen, wenn sie Bedingungen ausgesetzt ist, die sie nicht durchschauen kann. Also dieses Problem, auf der einen Seite ist es eine sehr harte Bedingung, die man nur in manchen Fällen herstellen kann, aber wenn man sie hergestellt hat, ist das eine methodische Ausgangsbedingung, die entscheidend günstiger ist als die der traditionellen Psychologie.

3.5. Möglichkeitsverallgemeinerungen

Und nun zur Frage der Verallgemeinerung, und zwar Verallgemeinerung vom Einzelfall aus, kann sowas gehen? Es gibt ja bestimmte Vorläufer, die das versucht haben, z.B. Kurt Lewin hat eine Konzeption entwickelt der Verallgemeinerung vom Einzelfall zum reinen Fall usw.; es ist eine sehr spannende Konzeption, die nur weder von ihm selbst noch von anderen Leuten je realisiert worden ist. Aber der hat ja sehr interessante Dinge gemacht, und wenn ihr da also auch mit euren bürgerlichen Professoren mal diskutieren wollt, dann sucht euch die Arbeiten von Lewin heraus, der ist eine anerkannte Größe in der traditionellen Sozialpsychologie, und diskutiert das mal. Anknüpfend an diese Lewin’sche Konzeption des reinen Falles kann man nämlich sehr gut demonstrieren, wie wir an die Geschichte herangehen, und warum nach unserer Auffassung er damit nicht weiterkommen konnte und wir aber doch einen Schritt weiter mit der ganzen Sache kommen können.

Nun zunächst einmal die Frage der Verallgemeinerung von einem Fall auf die Bestimmung von allgemeinen Fällen. Ich versuche jetzt zuerst einmal ein Beispiel aus der Biologie zu bringen, weils da einfacher faßbar ist. Wenn artspezifische Voraussetzungen (die kann man ja aufweisen, und zwar in der genomischen Information aufgrund des Evolutionsprozesses), dann heißt das, daß jedes einzelne Exemplar der Spezies diese artspezifische Möglichkeit repräsentieren muß; d.h. wenn ich einziges finde, bei dem ich wirklich nachweisen kann, daß das artspezifisch ist, habe ich dann eine Aussage über die gesamte Spezies gemacht. Z.B. wenn jetzt ein Schimpanse reinkommt und sagt: Guten Tag, hat jemand die Morgenzeitung hier, ich muß mal nachgucken, was Kohl wieder für einen Kohl geredet hat, der Schimpanse wäre in der bürgerlichen Psychologie eine Ausnahme, der würde in der Verteilung ganz außen stehen. Wenn man sich die Sache von der historischen Analyse her genauer anguckt, ist klar, wenn der Schimpanse wirklich ein Schimpanse ist und nicht einer von euch, der da drinsteckt oder so, in dem Moment wirft der eine Schimpanse unser gesamtes Wissen über die Spezies der Schimpansen über den Haufen. Der eine reicht aus, unter der Voraussetzung, daß nämlich hier eine bestimmte Art von genomischer Information charakteristisch ist für diese Spezies. Da habe ich das verbindende theoretische Glied, sonst kann man so eine Aussage gar nicht machen. Aber wenn man dieses hat, dann kann man von dem Einzelfall aus verallgemeinern. Deswegen untersuchen die Biologen manchmal ungeheuer wenig Fälle. Wenn die wirklich nachweisen können, daß eine bestimmte Art von Interaktion, meinetwegen der Stichling, der da auf Rot auf der Unterseite mit Aggressionen reagiert, wenn die das wirklich analysiert haben und Störbedingungen in dem einzelnen Fall dabei ausschalten konnten, dann haben die damit Aussagen über die Population der Stichlinge im ganzen gemacht, die müssen nicht noch sechzigtausend weitere Stichlinge und auch alle anderen untersuchen. D.h. also allgemeiner gesagt, in dem Moment, wo man die Struktur begriffen hat, von der aus der Einzelfall jetzt zu beurteilen ist, kann man verallgemeinern auf alle Individuen mit der gleichen Struktur, weil man diese Strukturaussage auf eine andere Art und Weise begründen können muß als durch diese Analyse selber. Das ist dabei entscheidend, diese haste so nicht. Nun kannst du zum Beispiel auch sagen, dieser eine Schilling hier, der ist nach dem Merkmal Zahl und Wappen repräsentativ für alle vorhandenen Schillinge, und diese Aussage wird auch nicht sicherer mit jedem weiteren Schilling, also wenn man einen Schilling anguckt, weiß mans genauso, wie wenn man 10 000 Schillinge inspiziert, das ist also eine echte Idiotenbeschäftigung, wo man Irrenwitze herum konstruieren könnte; daß der sich da immer wieder einen neuen Schilling nimmt und sich immer wieder freut…Und warum ist das so? Deswegen, weil wir die Produktionsbedingungen von Schillingen kennen, Schillinge sind produziert, gepreßt auf diese Art und Weise, sonst sind sie keine Schillinge, und das Gemeinsame, Verbindende ist das Wissen über diesen Produktionsprozeß, deswegen reicht der eine Schilling aus, um diese Aussage zu machen, statistisch gesehen heißt das homogene Population. Und diese Art von Gemeinsamkeiten können halt verschiedener Art sein, im einen Fall ist es also die Produktion, im anderen Fall ist es der genetische Prozeß, der da durch diese spezifische Art von Selektion, Mutation unter bestimmten ökologischen Randbedingungen eine Spezies als Gemeinschaft geschaffen hat, und die ist das gemeinsame Moment, von dem aus man von einem Fall auf alle anderen schließen kann. Das ist eine bestimmte Art von Möglichkeitsverallgemeinerung, wenn der eine Schimpanse die Möglichkeit hat, dann heißt das, daß die Spezies die Möglichkeit haben muß. Und da muß ich nicht noch 20000 andere untersuchen, wenn ich diese Aussage begründen kann. Also, damit wollte ich euch erst mal die logische Form dieser Möglichkeitsverallgemeinerung deutlich machen, und wenn man jetzt die Sache auf Menschen überträgt, geht das nicht mehr so einfach, und zwar deswegen, weil wir ja nicht einfach nur Aussagen über die Artspezifik von Menschen machen. Das können wir auch tun, dann wirds auf unspezifische Dinge gehen. Man kann mit dieser Möglichkeitsverallgemeinerung auf der Ebene von unspezifischen Wahrnehmungsmöglichkeiten oder sonst was der Menschen ohne weiteres schon operieren. Nur in dem Moment, wo es um die gesellschaftliche Spezifik geht, kommt dann dieses Moment der konkreten Lebensbedingungen dazu, d.h. also wir verallgemeinern auf bestimmte typische Grundsituationen menschlicher Handlungsmöglichkeiten. Das ist bei uns die Möglichkeitsverallgemeinerung: ein bestimmter Bereich, in dem bestimmte Handlungsmöglichkeiten und Schranken bestehen, der sich ausgliedert aus dem gesamtgesellschaftlichen Rahmen, irgendwelche institutionellen Bedingungen, was auch immer das ist, Schule, Familie, sonstige Konstellationen in verschiedener Art. Und die Verallgemeinerung besteht jetzt darin, daß jeweils in diesem Prozeß der exemplarischen Praxis der Betroffene selber entscheiden muß, welche Möglichkeiten der Verfügungserweiterung er in diesem speziellen Fall hat, und wenn er selber diese Möglichkeiten hat, dann wird von da aus erstmal hypothetisch die Aussage formuliert, daß jeder unter diesen Bedingungen dieselben Möglichkeiten haben muß, sonst sind es keine Möglichkeiten. Allerdings kommen dann dazu jeweils die Störbedingungen, die mit reinkommen in die ganze Geschichte, also es ist jeweils ein Möglichkeitstyp wie wir das nennen. Mit Typ ist hier nicht der Mensch gemeint, sondern eine spezifische gesellschaftliche Situation. Dieser Möglichkeitstyp ist ein spezifisches Verhältnis zwischen Möglichkeiten und Behinderungen, und in der Realisierung dieses Möglichkeitstyps macht der einzelne Aussagen darüber, welche Möglichkeiten unter welchen restriktiven Bedingungen er in diesem Fall realisiert hat, und bringt dabei seine konkreten individuellen Bedingungen mit ein in diesen Prozeß. Und der nächste, der an diese Geschichte rangeht, muß jetzt entscheiden, ob dieser Möglichkeitstyp für ihn überhaupt relevant ist. Es kann sich dann etwa herausstellen, das ist nicht meine Grundsituation, die da dargestellt wird. Meinetwegen wenn wir diese Analyse über Gewalt gegen Frauen machen, eine bestimmte Familienkonstellation. Und die Frau muß aufgrund der Bestimmungen, die da angegeben sind, selber entscheiden, ob diese Konstellation zur Erklärung ihrer eigenen Konfliktsituation adäquat ist, ob sie wirklich ihren eigenen Lebensbedingungen entspricht. Sie sagt entweder ja oder nein, wenn nein, kommts darauf an, eine andere Konstellation zu finden. die für diese Form charakteristisch ist, und den Zusammenhang zwischen der ersten darzustellen. Und wenn ja, muß sie jetzt ihre speziellen Behinderungs- und Realisierungsbedingungen mit einbringen in die Darstellung dieses Möglichkeitstyps. D.h. mit jedem einzelnen Fall wird dieser Typ angereichert um spezifische Realisierungsbedingungen, d.h. er wird immer konkreter, und dann ist der zentrale Punkt der, daß es aber nicht unendlich viele Möglichkeiten zum Reagieren auf bestimmte Konfliktsituationen gibt. D.h. man stellt mit der Zeit fest, daß diese Aussagen sich annähern. Also die ersten 2,3,4 Kollegen, die bringen noch absolut neue Sachen, der 5. Findet schon eine Menge wieder, falls er sich selber diesem Möglichkeitstyp unterstellen, der 6.,7.,8. bringt nur noch Kleinigkeiten, und von einem bestimmten Punkt an gucken sich die Leute an und sagen, ja, das ist genau unsere Situation, da sind ein paar kleinere Abweichungen, aber die interessieren mich nicht. D.h. also, daß auf diese Weise eine Art von asymptotischer Annäherung an diese Grundsituation erreicht wird, jeder einzelne überprüft sozusagen diesen Fall auf Grund seiner eigenen Situation, immer mit der Alternative, entweder er gehört dazu oder er gehört nicht dazu. Wenn er dazugehört, aufgrund der eigenen Entscheidungen und eigenen Qualifikationen als Mitforscher, das haben wir ja vorausgesetzt, dann bringt er seine spezifischen Bestimmungen ein, bis auf einmal der Punkt erreicht ist, wo man sagen kann, jetzt können wir aufhören, viel Neues kommt nicht mehr. Wobei allerdings jede Person die Möglichkeit hat, den Forschungsprozeß wieder zu eröffnen. Wenn da einer kommt und sagt, ich hab das nochmal bei mir nachvollzogen, wir müssen die Sache nochmal aufmachen, weil ich bestimmte Dinge erfahren hab, die gar nicht drin sind, dann wird da aufgemacht und es wird mit aufgenommen. D.h. es ist ein Annäherungsprozeß wie in der empirischen Forschung überhaupt, der aber nicht endlos ist und nicht zerfleddert, und zwar deswegen nicht, weit es nur bestimmte typische Grundsituationen von Konflikten in der Gesellschaft gibt. Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, sondern aufgrund der Struktur der Gesellschaft, die man ja begründen kann, nur bestimmte Grundsituationen von Konflikten, und deswegen vereinfacht sich die Sache dann auf so einen Typ hin, und da kann jeder einzelne seine Situation verallgemeinerbar auf diese Situation oder auf solche Situationen oder auf Menschen unter einer derartigen Situation beziehen. Der Einzelfall ist eine Spezifikation solcher Fälle unter diesen Bedingungen. Und gleichzeitig sind die Störbedingungen hier nicht ausgeschaltet wie in der bürgerlichen Psychologie, die fallen in die Störvarianz, die fallen weg, sondern die besonderen Bedingungen kommen gerade mit rein, das ist also bei uns genau umgekehrt. Wenn man sagt, na gut, was hier dargestellt ist an familiärer Konfliktsituation, nach der nachher eine Mißhandlungsbeziehung mit dem Ehepartner erwächst, da sind also bestimmte Bedingungen, die treffen mich, und im Prinzip ist die Grundkonstellation dieselbe, aber die Art und Weise, wie ich sie realisiert habe, ist bei mir eine in vielen Punkten wesentlich andere, das geht mit rein in diese Resultate, bis zu dem Punkt, wo man sagen kann, jetzt haben wir diese prägnante Form, diese Art von Konfliktsituation in der subjektiven Verarbeitung, ,Handlungsfähigkeit, Motivation, Emotionalität, all das, was ich hier dargestellt habe. Ich weiß nicht, ob das ungefähr klar geworden ist, daß hier also eine Verallgemeinerung entsteht, daß man seinen Einzelfall durchdringt auf die allgemeinen Bestimmungen hin auf der einen Seite, die da drin stecken aufgrund allgemeiner gesellschaftlicher Situationen, unter denen ich stehe, vermittelt mit den spezifischen Bedingungen, unter denen ich unter dieser Konfliktsituation stehe.

Also beides: ich durchdringe meinen privaten Einzelfall auf die allgemeinen Bestimmungen aufgrund einer gesellschaftlichen Konfliktsituation, die ich verarbeite im Verhältnis zu meiner spezifischen Form von Verarbeitung, die aber wiederum auch nicht zufällig ist, sondern als individuelle Form sich asymptotisch mit anderen annähert, je mehr Inhaltsreichtum und je mehr Konkretheit an Bestimmungen in diesem Konzept des Möglichkeitstyps drin ist. Und damit kommt man auch zu Verallgemeinerungen wissenschaftlicher Art, wo ein ganz anderes Modell dahintersteckt, nämlich das Allgemeine, was in jeder individuellen Lebenstätigkeit steht aufgrund der Allgemeinheit der objektiven Bedingungen, unter denen wir leben, und nicht das Verallgemeinerte im Sinne von Durchschnittswerten von Häufigkeitsverteilungen.

Was ich heute abend noch erzählen könnte, ist, was unter diesem Konzept auszusagen ist über die experimentell-statistische Vorgehensweise in der bürgerlichen Psychologie. Die ist nämlich damit nicht jetzt absolut disqualifiziert, sondern man kann jetzt nur die Sonderbedingungen angeben, unter denen man mit diesen Dingen auch arbeiten kann. Diese Bedingungen sind nämlich die, daß in dem Moment, wo man unter fremdbestimmten Verhältnissen lebt, diese fremdbestimmten Verhältnisse sich häufig in Form von Häufigkeiten so abbilden, daß man sie auch statistisch-experimentell abbilden kann. D.h. die fremdbestimmte Seite meiner Handlungsfähigkeit, die hat eine Form, die man statistisch abbilden kann, und die man auf diese Weise unter Umständen auch verobjektivieren kann, wobei der Zweck der ganzen Sache darin besteht, diese Bedingungen aufzuheben. Wenn wir mit statistischen Verfahren operieren, nicht wahr, meinetwegen, es geht in einer sozialen Situation darum, daß eine Frau ihrem Mann vorwirft, Du unterbrichst mich dauernd, und er sagt, wieso? Du redest doch dauernd. Diese Konfliktsituation zu klären setzt voraus ‚rauszukriegen, was da wirklich läuft. Wenn man sagt, paßt mal auf, wir baun bei euch ein Tonbandgerät ein, nach einer Weile vergeßt Ihr das, dann zählen wir aus und dann wird er damit konfrontiert, daß er wirklich bei jedem Satz die Frau unterbricht. Denn kann er sozusagen nicht mehr leugnen, daß da ein Problem besteht. Und die nächste Stufe ist jetzt die, die Bedingungen, unter denen das Problem entstanden ist, abzuschaffen. D.h., wenn es gelingt, dieses Problem zu lösen, dann sind die Anwendungsvoraussetzungen für die Statistik weg. D.h.: die hat den Zweck einer Zwischenform, um sich selber überflüssig zu machen, indem sie selber die Bedingungen mithilft zu schaffen, wo man sich selber entzogen ist. Wir nennen das immer Vorgänge dritter Person an mir selber, es läuft irgendwas an mir ab, was ich gar nicht kenne, und das ich noch nicht mal wahrhaben will. Wenn das objektiviert ist, ist ein Schritt dazu getan, um in diesem Moment der gemeinsamen Erweiterung der Bedingungsverfügung die Sache zu überwinden, und wenn das gelungen ist, ist die Anwendungsvoraussetzung für die Statistik weg.

Das ist die eine Ebene; und die zweite Ebene ist dann noch die, ich hab das schon angedeutet, wenn’s um unspezifische Fragen geht, wo also nicht die menschliche Spezifik der Handlungsfähigkeit, sondern diese mehr unspezifischen Bereiche zur Frage stehen, daß man da also u. U. experimentell arbeiten kann, und auch in manchen Fällen statistisch; nämlich dann, wenn der Gegenstand selber eine Wahrscheinlichkeitsstruktur hat. Was z.B. bei bestimmten Erinnerungsprozessen, Gedächtnisvorgängen der Fall sein kann. Das sind dann Sonderfälle, wo haarscharf die Randbedingungen angebbar sind. unter denen man das machen kann. Und die zentrale Forschungsintention, wo es darum geht, die menschliche Spezifik der Lebenstätigkeit zu erfassen, die unterliegt nicht diesen Konzepten, sondern diesem Konzept der Möglichkeitsverallgemeinerung, wie ich es dargestellt habe. Beispiele können da heute abend noch nachgeliefert werden. Vorschlag, macht erst mal Arbeitsgruppen und dann heute abend machen wir weiter.

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