Über den Widerspruch zwischen Förderung individueller Subjektivität als Forschungsziel und Fremdkontrolle als Forschungsparadigma

Artikel von Klaus Holzkamp in Forum Kritische Psychologie 26 (1990).

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Zusammenfassung

Eine der nach der »Wende« wichtigsten Aufgaben der Psychologie in der ehemaligen DDR ist die Analyse der Entwicklungsvoraussetzungen von Kreativität, Selbstverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit. Bei dem Versuch, diese Forschungsziele mit den Mitteln der überkommenen »Variablenpsychologie« zu erreichen, sieht man sich aber vor dem Widerspruch, daß hier die »Bedingtheit« menschlichen Verhaltens, damit Außengesteuertheit und Fremdbestimmtheit, schon auf der methodologischen Ebene, und von da aus auch auf der theoretischen Ebene, hypostasiert sind. Subjektwissenschaftliche Alternativen, in denen das subjekthaft-Aktive Handeln der Individuen nicht aus methodischen Gründen zu eliminieren ist, werden dargestellt.

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Vortrag, gehalten auf dem Symposium »Gesellschaft und Psychologie im Widerspruch« (zum Gedenken an Manfred Vorwerg) in Leipzig, 28. und 29. März 1990.

Wenn man gegenwärtig darüber diskutiert, was bei der Umgestaltung der DDR verändert werden muß, so einigt man sich wohl meistens schnell darauf, daß es gilt, Verhältnisse zu überwinden, unter welchen gesellschaftliche Planung mit der administrativen Verfügung über Menschen gleichgesetzt und so deren aktive Beteiligung an der Gestaltung ihrer eigenen Lebensverhältnisse behindert wird. Die neuen Anforderungen, die sich daraus gerade für die Psychologie ergeben, lassen sich unter dem Stichwort: Forderung der individuellen Subjektivität, d.h. der Möglichkeit der Individuen zu subjekthaft-aktiver Lebensgestaltung, zusammenfassen. In diesem Kontext liegen gemäß dem heute verbreiteten fachpsychologischen Selbstverständnis Forschungsfragen etwa der folgenden Art nahe: Analyse der Bedingungen, unter denen Individuen, die sich bisher ihre Aufgabenstellungen weitgehend von übergeordneten Instanzen vorgeben ließen, individuelle Initiative und Kreativität entwickeln können. Oder: Klärung der Bedingungen, die Menschen dazu bringen, sich nicht ins Privatleben zurückzuziehen, sondern am gesellschaftlichen Demokratisierungsprozeß teilzunehmen und politische Verantwortung zu übernehmen. Oder auch: Aufweis derjenigen familialen Entwicklungsbedingungen, institutionell-pädagogischen Voraussetzungen etc., unter denen sich Persönlichkeiten herausbilden können, die nicht von Leitbildern abhängig sind und nicht Problemen in opportunistischen Anpassungsbewegungen aus dem Wege zu gehen pflegen, sondern selbstbestimmt ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand nehmen können und dabei auch Konflikte mit den Herrschenden zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen nicht scheuen, etc.

In Fragestellungen wie diesen sind sicherlich aktuelle und gesellschaftlich Inhalte angesprochen. Dennoch sind von unserer Position aus gegen die Form solcher Forschungsfragen, nämlich ihre Verhaftetheit im traditionellen Bedingungsmodell, prinzipielle Einwände zu erheben. Dadurch werden nämlich die Abhängigkeit und Fremdbestimmtheit der Betroffenen, um deren Überwindung es doch gerade gehen soll, durch Trennung zwischen denjenigen, die bestimmte Bedingungen schaffen und denjenigen, die diesen Bedingungen auszusetzen sind, festgeschrieben. Der Umstand, daß Initiative, Selbstbestimmtheit, Verantwortlichkeit ihrem Wesen nach nur von den Subjekten selbst ausgehen können, also nicht durch fremdgesetzte Bedingungen herzustellen sind, wird hier also ignoriert, das Ziel der Förderung individueller Subjektivität mithin durch die Art seiner Übersetzung in Forschungsfragen weitgehend wieder zurückgenommen.

Man mag gegen diese Kritik einwenden, es sei doch nun einmal nötig, die Bedingungen zu formulieren und herzustellen, unter denen bestimmte menschliche Handlungen, Entwicklungsfortschritte o.ä. auftreten sollen, um dann empirisch prüfen zu können, wieweit solche Handlungen oder Entwicklungen unter den benannten Bedingungen tatsächlich auftreten. Anders seien wissenschaftlich gesicherte Aussagen in der Psychologie nicht zu gewinnen. Dem wäre aber entgegenzuhalten, daß das Bedingungsmodell sich ja mittlerweile als forschungsstrategisch ziemlich erfolglos erwiesen hat: Die Sicherung empirischer Befunde ist nämlich selbst bei strenger experimentell-statistischer Fassung dieses Modells so wenig möglich, daß nach dem Urteil prominenter Fachvertreter (wie etwa Hilgard, 1970/71, S. 693ff, mit Bezug auf die SR-Psychologie und Tulving 1979, mit Bezug auf die Kognitive Psychologie) ein ausweisbarer Wissenschaftsfortschritt durch die psychologische Forschung auf dieser Basis kaum erreichbar ist. Besonders spektakulär ist etwa das Eingeständnis von Anderson (1978), das psychologische Experiment sei offenbar kein sonderlich geeignetes Mittel, Hypothesen zu prüfen, sodaß sich die formalen Modelle der Informationsverarbeitung immer deutlicher unabhängig von den Resultaten derartiger Prüfungen entwickelt hätten. Die Konsequenz aus solchen Entwicklungen war schließlich das, was Fodor (1980) als »methodologischen Solipsismus« bezeichnet hat: Der Verzicht auf jede experimentelle Prüfung kognitiver Modelle zugunsten des Geltungskriteriums der maschinellen Realisierbarkeit von Theorien als Computerprogrammen (vgl. dazu die Kapitel »Symptome der Krise« und »Die Perspektive des methododologischen Solipsismus« in dem Buch »Wissen und Handeln« von Boris Velitschkowski, der als ehemaliger Wundt-Professor hier in Leipzig ja bestens bekannt sein dürfte).

Hinweise darüber, in welcher Richtung man nach Alternativen zum Bedingungsmodell zu suchen habe, ergeben sich aus den Ansätzen und Befunden einer Forschungsrichtung, die sich die Klärung der Ursachen für die mangelnde Reproduzierbarkeit experimenteller Befunde explizit zur Aufgabe gemacht hat und als »Sozialpsychologie des Experiments« bezeichnet wird (vgl. etwa Bungard 1984, und Markard 1984, S. 142ff). Hier wurde u.a. der Umstand aufgewiesen, daß die Vpn. innerhalb der experimentellen Anordnung sich ihre eigenen Hypothesen über das Ziel des Experiments und dessen Übereinstimmung mit den eigenen Interessen bilden können, und zwar Hypothesen, die nicht nur von jenen abweichen, die der Experimentator über die Versuchsbedingungen, die Instruktion etc. als unabhängige Variable in das Experiment einführen wollte, sondern in denen häufig sogar eine Art von Widerstand des Versuchssubjekts gegen die Zumutungen der experimentellen Prozedur zum Ausdruck kommt, so etwa in allerlei für den Experimentator nicht identifizierbaren Entlastungs- und Täuschungsstrategien wie Zufallsreaktionen, Musterabzählen, Zum-Munde-Reden, bis zu bewußter Irreführung etc. Um diesen subjektiven »Störfaktor« in den Griff zu bekommen, versucht man im »Mainstream« der »Sozialpsychologie des Experiments« meist, die implizite Hypothesenbildung der Vpn und etwa daraus resultierende Widerständigkeit ihrerseits experimentell dingfest zu machen und so Konzepte für eine rigorosere Bedingungskontrolle zu gewinnen. Da die so verschärften Versuchsbedingungen aber natürlich ihrerseits wiederum Gegenstand von impliziten Hypothesen der Vpn. werden können, muß man jedoch u. E. prinzipiellere Konsequenzen aus dem Einfließen von Subjektivität als Störfaktor in die experimentellen Resultate ziehen – Konsequenzen, von denen aus die Haltbarkeit des experimentell-statistischen Bedingungsmodells grundsätzlich in Frage zu stellen ist.

Für uns ergeben sich solche Konsequenzen aus unserem Grundansatz, demzufolge die Determinationsebene des Zusammenhangs zwischen Bedingungen und Ereignissen im Hinblick auf menschliche Subjektivität zu unspezifisch ist. Diese Determination ist u.E. vielmehr spezieller als Ebene subjektiver Handlungsgründe, durch welche der Zusammenhang zwischen Handlungsbedingungen und Handlungsausführung vermittelt und gebrochen ist, zu bestimmen. Der »störende« Effekt der Subjektivität der Vpn. im Experiment rührt demzufolge daher, daß der Experimentator von der Fiktion ausgeht, die Vpn. reagierten lediglich auf die von ihm eingeführten Bedingungen, während die Vpn. tatsächlich in aus ihren Lebensinteressen, wie sie selbst sie erfahren, begründeter Weise handeln und sich dabei zu den Versuchsbedingungen als möglichen Prämissen ihrer Handlungsgründe bewußt verhalten, sie also akzeptieren, aber auch vernachlässigen, uminterpretieren, den darin verkörperten Intentionen des Experimentators subversiven Widerstand entgegensetzen können. Damit entsteht hier ein »verdecktes Verhältnis« zwischen Experimentator und Versuchsperson: Diese handelt im Experiment mit Gründen, die dem Experimentator verborgen bleiben, und die so ihre nach außen sichtbaren Handlungen auf eine für diesen nicht kontrollierbare Weise bestimmen können. Die mangelnde Reproduzierbarkeit experimenteller Befunde ist angesichts dieser Konstellation das mehr oder weniger zwangsläufige Ergebnis.

Wenn wir diese Darlegungen nun auf unser Ausgangsproblem zurückbeziehen, so zeigt sich: Die Voraussetzung, man könne Bedingungen herstellen, unter denen andere Individuen kreativer, risikofreudiger, selbstbestimmter o.ä. werden, enthält nicht nur einen begrifflichen Widerspruch, sondern trägt auch die Erfolglosigkeit einschlägiger Bemühungen schon aufgrund der geschilderten wissenschaftlichen Mängel des Bedingungsmodells selbst in sich. Und nicht nur dies: Was man auf diese Weise tatsächlich erzeugt, ist keineswegs die gewünschte Selbstbestimmtheit und Verantwortungsfreudigkeit, sondern vielmehr das geschilderte »verdeckte Verhältnis« zwischen Experimentator und Versuchsperson, oder – allgemeiner – Bedingungskontrolleuren und den davon Betroffenen, mit all den geschilderten Tendenzen zur Täuschung und zur Widerständigkeit gegen die Intentionen der Kontrolleure. – Wie aber sind die Eigenart und die Perspektiven eines psychologischen Forschungsparadigmas zu kennzeichnen, in welchem wissenschaftliches Vorgehen nicht mehr mit Bedingungskontrolle gleichgesetzt wird und so dem Forschungsziel der Förderung subjekthaft-aktiver Handlungsmöglichkeiten ohne dessen zwangsläufige Zurücknahme durch das Forschungsverfahren nachgegangen werden kann?

Unserer Konzeption nach (vgl. Holzkamp 1983, Kap. 9) ist dafür eine erste, methodologische Voraussetzung, daß die Sichtweise des Forschers und die Sichtweise der Versuchsperson auf den Forschungsprozeß zur Deckung gebracht werden. Dies kann nach dem früher Gesagten nur heißen, daß auf der einen Seite die psychologischen Theorien nicht mehr als Bedingungs-Ereignis-Zusammenhänge, sondern als Begründungszusammenhänge formuliert werden und daß auf der anderen Seite bei der empirischen Realisierung der so gefassten Theorien der Umstand, daß die Vpn. nicht auf Bedingungen reagieren, sondern begründet handeln, offiziell anerkannt wird. Dies bedeutet aber, daß die Kommunikation zwischen Forscher und Versuchsperson von vorn herein als ein intersubjektiver Beziehungsmodus wechselseitiger Handlungsbegründungen auf der Basis gemeinsamen Erkenntnisinteresses (»Mitforscherverhältnis«) zu realisieren ist. Auf diese Weise sind dann im für den intersubjektiven Beziehungsmodus charakteristischen Frage-Antwortspiel die Handlungsbegründungen des Forschers und der Versuchsperson in ihrem Aufeinanderbezogensein empirisch offenzulegen und das geschilderte »verdeckte Verhältnis« mindestens potentieller Widerständigkeit der Vpn. gegen die Intentionen des Forschers ist tendenziell aufhebbar.

Das damit angesprochene subjektwissenschaftliche Paradigma impliziert einen prinzipiellen wissenschaftlichen Standortwechsel: Da Gründe als solche immer »erster Person«, also »je meine« Gründe sind, werden die Forschungsfragen hier nicht mehr vom Standpunkt »dritter Person«, also als Fragen über Menschen, sondern vom Subjektstandpunkt, also als Fragen der Betroffenen selbst, gestellt. Es geht hier also – wie Ute Osterkamp dies ausgedrückt hat – nicht darum, die Menschen zum Problem zu machen, sondern die Probleme der Menschen aufzugreifen. Daraus ergibt sich eine Sequenzierung des Forschungsprozesses, die wir früher, in spezielleren Zusammenhängen, als »Entwicklungsfigur« gekennzeichnet haben (vgl. Markard 1985). Die erste Instanz einer solchen Sequenz ist immer eine Problematik oder ein Dilemma von Betroffenen in ihrer individuellen Lebenspraxis, deren Überwindung für diese einerseits von existentiellem Interesse ist, andererseits aber mit den ihnen verfügbaren- Denk- und Praxisformen nicht erreicht werden kann. Die zweite Instanz ist die theoretische Aufschlüsselung der Problematik bzw. des Dilemmas, durch den Forscher in intersubjektiver Kommunikation mit den Betroffenen. Dabei sind die Problematiken/Dilemmen als Situationen zu explizieren, in welchen die Betroffenen einerseits gute Gründe haben, die Problembewältigung in der gegebenen Weise zu versuchen, wobei sie aber andererseits aufgrund verkürzter Realitätssicht und dadurch beschränkter Begründungsprämissen faktisch ihren eigenen Intentionen und Interessen zuwiderhandeln, d.h. die Schwierigkeiten selbst erzeugen, die sie dann nicht bewältigen können. Der spezielle Beitrag des Forschers besteht hier im Einbringen bestimmter, aktuell herausanalysierter oder bereits früher aufgewiesener kurzschlüssiger Begründungs- und Praxisfiguren als Angebot an den Betroffenen, damit seine vorliegende Problematik aufzuschlüsseln. Sofern dies gelingt, eröffnen sich mit der Identifizierung der kurzschlüssigen Begründungsstruktur gleichzeitig die Perspektiven der Überwindbarkeit der Problematik/des Dilemmas durch deren Aufhebung in Denk- und Praxisformen, durch welche aufgrund erweiterten Realitätszugangs die Betroffenen nicht mehr ungewollt ihren eigenen Intentionen und Interessen zuwiderhandeln. Sofern die Betroffenen sich die jeweiligen theoretischen Konzeptualisierungen ihres Dilemmas zu eigen machen konnten, folgt dann die dritte Instanz der Entwicklungsfigur, die veränderte Lebenspraxis der Betroffenen in Realisierung der theoretisch akzeptierten neuen Begründungsstrukturen und darin gegebenen Handlungsmöglichkeiten: Dies ist das subjektwissenschaftliche Pendant zur empirischen Prüfung von Hypothesen im Rahmen des Bedingungsmodells. Die vierte Instanz besteht sodann in der retrospektiven Analyse der veränderten Lebenspraxis der Betroffenen gemeinsam mit dem Forscher, um herauszufinden, ob bzw. wieweit die Ausgangsproblematik bzw. das Ausgangsdilemma damit tatsächlich überwindbar geworden sind.

Die Realisierung einer Entwicklungsfigur kann nun auf verschiedenen Ebenen scheitern (wir sprechen dann von einer »Stagnationsfigur«), so, wenn im Kontext der zweiten Instanz entweder keine adäquaten theoretischen Konzepte zur Aufschlüsselung des Ausgangsdilemmas gefunden werden konnten, oder wenn der Betroffene sich das theoretische Angebot nicht zu eigen machen konnte. Dabei sind sowohl die Unangemessenheit der theoretischen Konzeption wie auch Abwehrprozesse beim Betroffenen, der das Risiko des Aufgebens seines ursprünglichen restriktiven Begründungsmusters nicht aushalten kann, in Rechnung zu stellen. Zur Stagnation kann es aber auch erst in der dritten Instanz kommen, entweder dadurch, daß die Betroffenen die projektierte Veränderung ihrer Lebenspraxis nicht zustandebringen bzw. durchhalten, oder dadurch, daß trotz theoriegemäßer Lebenspraxis das Ausgangsdilemma bzw. die Ausgangsproblematik nicht überwindbar wird, was einer (mindestens vorläufigen) »Falsifikation« des jeweiligen theoretischen Konzeptes in seiner Anwendung auf den vorliegenden Fall gleichkommt etc.

Die damit skizzierte Sequenz der »Entwicklungs-« bzw. »Stagnationsfigur« ist natürlich lediglich ein grobes Schema, das in Abhängigkeit von den jeweiligen Forschungsfragen auf sehr unterschiedliche Weise zu konkretisieren ist. Das Herzstück des Modells ist dabei die zweite Instanz, die Theorienbildung bzw. -übemahme. Die hier konzipierten Begründungstheorien haben eine prinnzipiell andere Struktur als die traditionellen Theorien: Hier werden keine Annahmen über Bedingungs-Ereignis-Zusammenhänge, sondern typische Begründungsmuster formuliert, in denen bestimmte restriktive Formen der Lebenspraxis/Problembewältigung zusammen mit den Möglichkeiten ihrer Überwindbarkeit auf den Begriff gebracht sind. Ein sehr allgemeines Zentralkonzept dieser Art ist das der »Personalisierung«, mit dem verschiedene Formen der Umdeutung von gesellschaftlichen bzw. institutionellen Widersprüchen in persönliche Konflikte, wodurch versuchte Konfliktlösungen grundsätzlich erfolg- und endlos werden, konzeptualisiert sind. Ein verwandtes theoretisches Konzept ist das der »Lateralisierung«, d.h. Projektion der Ursachen erfahrener Unterdrückung auf von dieser Mitbetroffene, womit man sich, statt gemeinsam gegen die Unterdrückung anzugehen, mit gegenseitigem aggressiven Schuldzuschreibungen o.ä. lähmt. Darüberhinaus sind bei uns aber auch mannigfache speziellere begründungstheoretische Konzepte entwickelt worden (worauf ich in der Diskussion noch zurückkommen kann).

Aus alldem sollte nun deutlich geworden sein, daß unter subjektwissenschaftlichen Vorzeichen das eingangs angesprochene Anliegen der Psychologie, einen Beitrag zur Förderung subjekthaft-aktiver Lebensbewältigung der Menschen zu leisten, auf andere Weise in Forschungsfragen zu übersetzen ist als im Banne des traditionellen Bedingungsmodells: Gefragt wird hier z.B. nicht nach den Bedingungen, die man herstellen muß, um Menschen etwa zur Überwindung ihres, »Privatlebens« durch aktive Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung zu bringen, sondern nach typischen Situationen, in denen die Menschen selbst ihre bloß privaten Bewältigungsformen angesichts der damit verbundenen Ausgeliefertheit an fremde Mächte und Kräfte als »problematisch« erfahren. Solche typischen Problematiken wären sodann gemeinsam mit den Betroffenen auf die kurzschlüssigen Begründungsmuster hin zu analysieren, durch welche einerseits die bloß private Lebensführung, das sich Heraushalten aus öffentlichen Angelegenheiten, als vernünftig und selbstverständlich erscheint, man damit aber andererseits den eigenen Lebensinteressen an einem erfüllten und unbeengten Dasein permanent zuwiderhandelt. Der Fortgang eines so angelegten Forschungsvorhabens wäre dabei, wie gesagt, zentral davon abhängig, wieweit die Betroffenen sich ein derartiges theoretisches Angebot tatsächlich zu eigen machen können, und von da aus ein Interesse daran haben, ihre Lebenspraxis entsprechend zu verändern (und nicht ihre private Widerständigkeit nun auch noch auf die Ansinnen des Forschers auszudehnen).

Neben vielen Fragen mag an dieser Stelle sofort das Problem benannt werden, was denn geschieht, wenn Situationen, in denen Menschen ihre Zurückgezogenheit in die Privatexistenz als problematisch erfahren, nicht gefunden werden können. Die Antwort (die vielleicht besonders scharfes Licht auf die Eigenart subjektwissenschaftlicher Forschung wirft) hätte zu lauten: Wenn die Individuen in irgendeinem Fall tatsächlich mit ihrer Privatexistenz zufrieden sind, kann subjektwissenschaftliche Forschung mit Bezug darauf nicht stattfinden. Weder in der Politik noch in der Forschung ist es gerechtfertigt, sich gegen den Willen der Betroffenen in ihr Leben einzumischen, etwa mit dem Argument, man wüßte besser, welche Probleme die Menschen in einer bestimmten Lage haben müßten als diese selbst. Allerdings ist die Gefahr, daß jemand verkürzte und verkümmerte Existenzformen tatsächlich und widerspruchsfrei als befriedigend erfährt, wohl nicht allzugroß. Eine andere Frage ist jedoch, wieweit es wirklich gelingt, im intersubjektiven Verständigungsprozeß das »verdeckte Verhältnis« zwischen Forschern und Betroffenen aufzuheben, dies zumal dann, wenn auch die Beziehung der Individuen zu den gesellschaftlichen Herrschaftsinstanzen durch ein solches »verdecktes Verhältnis« gekennzeichnet sind und es von da aus naheliegt, den Forscher diesen Herrschaftsinstanzen als deren Funktionär zuzuschlagen.

 

Literaturverzeichnis

Anderson, J. R. (1978). Arguments concering representations for mental imagery. Psychological Review, 85, 249-277

Bungard, W. (1984). Sozialpsychologische Forschung im Labor. Ergebnisse, Konzeptualisierungen und Konsequenzen der sogenannten Artefaktfbrschung. Göttingen: Hogrefe

Fodor, J. A. (1980). Methodological solipsism considered as a research strategy in cognitive psychology. The Behavioral and Brain Sciences, 3, 63-109

Hilgard, E. R., & Bower, G.H. (1970/71). Theorien des Lemens, Bd. I und H, Stuttgart: Klett

Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus (Studienausgabe 1985)

Markard, M. (1984). Einstellung -, Kritik eines sozialpsychologischen Grundkonzepts. Frankfurt/M.: Campus

Markard, M. (1985). Konzepte der methodischen Entwicklung des Projekts Subjektentwicklung in der frühen Kindheit. Forum Kritische Psychologie, 17, 101-125

Tulving, E. (1979). Memory research: What kind of progress? In L. G. Nilsson (Ed.), Perspectives in memory research. Hillsdale: Erlbaum

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