Autonomie, ein verletzliches Gut

Artikel von Sigrid Graumann in Forum Kritische Psychologie 46 (2003).

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Zusammenfassung

Die traditionelle Arzt-Patienten-Beziehung war geprägt von der paternalistischen Haltung der Ärzte, am besten zu wissen, was für ´ihre´ Patienten gut ist. Nicht zuletzt durch die Ärzteverbrechen im deutschen Faschismus wurde das Vertrauen in die ärztlichen Tugenden allerdings erschüttert. In der Folge entwickelte sich das Prinzip der Selbstbestimmung, das Patienten in die Lage versetzen soll, selbst für ihre Rechte ein zu stehen, zum neuen medizinethischen Leitprinzip von Forschung und Praxis. Die Patientenselbstbestimmung ist aber auch Voraussetzung für die marktwirtschaftliche Umgestaltung des Gesundheitswesens. Allerdings geht das damit verbundene Verständnis von Selbstbestimmung als Wahlfreiheit auf dem Markt der medizinischen Möglichkeiten an den Bedürfnissen vor allem schwer kranker Menschen ganz offensichtlich vorbei. In ihrem Interesse sollte Autonomie vielmehr als ein verletzliches Gut verstanden werden, auf dessen Bewahrung, Förderung oder Wiederherstellung der Patient einen Anspruch hat. An diesem berechtigten Anspruch sollte sich auch die politische Gestaltung des Gesundheitswesens orientieren.

Summary: Autonomy, a vulnerable good

The traditional relationship between physicians and patients was determined by the paternalistic persuasion of the doctors to know best what does ´their´ patients good. Not least owing to the criminal behaviour of medical professionals during German fascism, the trust in the medical virtues has been shaken. As a result, the principle of self-determination emerged as the new ethical guideline for medical research and practice obliging to enable the patients themselves to take responsibility. At the same time the patients´ self-determination is a prerequisite for the market economic transformation of the health system. The implied understanding of self-determination as a free choice in the market of medical offers quite obviously misses the needs especially of severely suffering people. In their interest autonomy should rather be conceived as a vulnerable good which the patient legitimately claims to be protected, cultivated or restored. The political shaping of the health system had better orient itself by this guide.

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