Artikel von Hartmut Böhm in Forum Kritische Psychologie 54 (2010).
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Zusammenfassung
In den sog. Massenbeschuldigungen der 1990er Jahre führten unsachgemäße Befragungsmethoden zu suggerierten Aussagekomplexen, obwohl die Gefahr von Suggestionsartefakten längst bekannt war. Die Diskussion über den vermeintlich ubiquitären sexuellen Missbrauch, die vielleicht aus Sorge um einen gesellschaftlichen Missstand Mitte der 1980er Jahre in der BRD entstand, wurde schnell zu einem dröhnenden Medienspektakel und zum Vehikel politischer Scheindebatten. Auf der Strecke blieben sowohl diejenigen Kinder, die nur vermeintlich Opfer waren, als auch durch juristische Verfahren zermürbte und nicht selten fehlverurteilte Beschuldigte. Die Seriosität der psychologischen Wissenschaft, v.a. die forensische Gutachtenpraxis stand auf dem Spiel. Mittlerweile sind substanzlose Beschuldigungen gerade in pädagogischen Berufsfeldern selten geworden, bestehen aber gleichwohl fort. Die bloße Behauptung sexuellen Missbrauchs lässt häufig auch ansonsten besonnene Menschen unsicher, unkritisch und leichtgläubig werden. In der jüngeren Vergangenheit haben Behauptungen, Opfer sexuellen Missbrauchs geworden zu sein, vor dem Hintergrund psychischer Störungen stärker zugenommen. Die Problematik wird aus dem Blickwinkel der forensischen Psychologie beleuchtet.
Summary: 25 Years of “Väter als Täter” (“Fathers as Offenders”).
The danger of leading questions was long known when the so called “Massenbeschuldigungen” (“mass accusations”) took place in the1990s. Nonetheless, improper interrogation techniques led to biased testimonies in these trials. The debate on the alleged ubiquity of sexual child abuse began in the mid-80s, maybe resulting from concerns over social evils. Unfortunately, it shortly became a dramatic media spectacle and a vehicle for political mock battles. Children were left behind, if they were merely alleged victims. The same goes for defendants, who were demoralized by court trials and often falsely convicted. The respectability of psychological science, most notably of forensic examination, was at stake. Meanwhile, unsubstantiated allegations have become rare in the pedagogical professions, but they still exist. Otherwise sober minds are turned into insecure, uncritical and gullible individuals by the mere assertion of sexual child abuse. Recently, claims of being sexually abused increased in connection with mental disorders. The problem is attacked from a forensic psychological perspective.