»Die Leute werden nicht einfach manipuliert«

Bei der »Ferienuni Kritische Psychologie« wird auch der Rechtsruck thematisiert. Ein Gespräch mit Daniel Schnur

Interview: Milan Nowak

Veröffentlicht in: junge Welt, Ausgabe vom 04.09.2018, Seite 8 / Inland.

Verfügbar über: https://www.jungewelt.de/artikel/339160.psychologie-die-leute-werden-nicht-einfach-manipuliert.html?sstr=ferienuni

Vom 11. bis 15. September findet in Berlin-­Hellersdorf die »Ferienuni Kritische Psychologie« statt. Was ist das, und wieso haben Sie in diesem Jahr das Motto »Ask them why«?

Die Ferienuni ist ein Kongress für interessierte Studenten, Forscher und Praktiker aus der Psychologie und ähnlichen Fächern. Sie soll in die Grundkonzepte der Kritischen Psychologie einführen und ist für Neulinge offen. Aber auch aktuelle Studien und gesellschaftliche Fragestellungen werden diskutiert. Unser Motto ist ein Appell an die Psychologie, die Gründe menschlichen Handelns zu erforschen.

Was unterscheidet die Kritische Psychologie von dem, was an den meisten Universitäten gelehrt wird?

Sie entstand in den 1970er Jahren an der Freien Universität Berlin, als durch die Studentenbewegung auch die Psychologie selbst politisiert wurde. Im Zentrum steht die marxistische Erkenntnis, dass Menschen in gesellschaftlichen Strukturen leben, diese aber auch selbst gemacht haben und verändern können. Gesellschaftliche Bedingungen werden in der Kritischen Psychologie als Handlungsmöglichkeiten bzw. -behinderungen angesehen – anstatt Handeln nur durch äußere Einflüsse bedingt zu sehen.

Sie und Ihr Kollege Till Manderbach bieten an der Ferienuni den Workshop »Handlungsfähigkeit durch Faschisierung?« an. Wurde darüber in letzter Zeit nicht schon reichlich gesagt und geschrieben?

Unsere Frage macht schon einen Unterschied: Wieso erhoffen sich Anhänger des Rechtspopulismus, mehr Kontrolle über ihre Lebensbedingungen zu bekommen? Wir gehen nicht davon aus, das sei irrationales Verhalten – sondern wir meinen, dass die Handelnden von ihrem Standpunkt aus »gute Gründe« haben, sich so zu verhalten. Das heißt nicht, dass man das politisch teilt, sondern dass wir lernen können, was linke Politik machen kann im Kampf gegen Rechtspopulismus. Dann kann man nämlich fragen, warum die Leute auf eine herrschaftskritische Politik verzichten – und auf den Versuch, gemeinsam ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.

Sie wollen sich davon abgrenzen, Anhänger des Rechtspopulismus seien einfach verblendet?

Genau. Die Leute werden nicht einfach manipuliert, sondern handeln aktiv. Wenn sie sich auf eine rechte Demo begeben oder rechte Denkfiguren zur Erklärung ihrer Lage nutzen, nehmen sie Rechtspopulismus als politisches Deutungsangebot an.

Welchen Beitrag kann die Kritische Psychologie zur Erklärung von Rassismus und Rechtspopulismus liefern, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse zu psychologisieren?

Rassismus lässt sich als eine das eigene Handeln anleitende Ideologie verstehen. Er entspringt den gesellschaftlichen Verhältnissen und erlaubt es den Individuen, innerhalb eines fremdbestimmten Rahmens eine gewisse Handlungsfähigkeit zu erlangen – auf Kosten der Aufrechterhaltung auch der eigenen Unterdrückung. Das heißt aber auch, dass es andere Handlungsalternativen geben muss, und wir können fragen, warum jemand auf solche verzichtet. Dies eröffnet andere Möglichkeiten für antirassistische Praxis.

Wieso ist es für Nichtpsychologen ein Gewinn, sich mit Kritischer Psychologie auseinanderzusetzen?

Die Analyse des Rechtspopulismus ist vielleicht ein gutes Beispiel: Hierzu gibt es viel aus der Soziologie und Politikwissenschaft. Man weiß, wie die Strukturen sind und welche Gruppen es gibt. Unklar bleibt jedoch, warum einige Leute so stark durch Kategorien wie »Volk« mobilisiert werden können. Im Gegensatz zu traditionellen psychologischen Ansätzen hat die Kritische Psychologie bei solchen Fragen mehr Kontakt zu anderen Wissenschaften.

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