Artikel von Susanne Reichert Forum Kritische Psychologie 30 (1992).
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Zusammenfassung
In einem Versuch kritisch-psychologischer Praxisforschung mit direkter »forschender« Mitarbeit in einer Werkstatt für Behinderte wurde — anknüpfend an einem dort als »diagnostisch« formulierten praktischen Problem — der Frage nachgegangen, ob die Werkstatt auch für Langzeitpatienten der heiltherapeutischen Abteilung einer psychiatrischen Klinik Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Anders als von den WerkstattbetreuerInnen — aus im Forschungsprozeß erst nachzuvollziehenden Gründen — erwartet, ist diese Frage nicht mit Hilfe herkömmlicher psychodiagnostischer Verfahren zu beantworten, sondern nur vom Standpunkt der betroffenen Behinderten selbst. Mit der Ausrichtung auf eine Psychologie vom Standpunkt des Subjekts wird vorgeschlagen, Psychodiagnostik als einen gemeinsam mit den Behinderten erfolgenden Analyseprozeß von Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen zu gestalten, mit dem Ziel der »Qualifizierung« der Behinderten, selbst zu entscheiden, ob die Werkstatt ihnen eine Entwicklungsmöglichkeit bietet. Wie eine solche Qualifizierung im gemeinsamen Prozeß vor dem Hintergrund behinderungsspezifischer Möglichkeiten erfolgen kann und wodurch sie verhindert wird, stellte sich als notwendige und weiterzuverfolgende Forschungsfrage heraus. Dabei wird neben dem Bestreben, einen intersubjektiven Verständigungsrahmen mit den Behinderten aufzubauen, eine Möglichkeit auch im Aufgreifen der Erfahrung und des Wissens von den Behinderten vertrauten Personen gesehen. In der Praxisforschung »vor Ort« erwies es sich einerseits als vorteilhaft, seitens der »Wissenschaftlerin« die eigenen Schwierigkeiten und Befindlichkeit bei der praktischen Arbeit zu thematisieren und Hypothesen über typische Widersprüche in eine gemeinsame Diskussion einzubringen, andererseits waren gerade damit zahlreiche, zunächst als »Rollenkonflikte« erscheinende, Probleme verbunden. Es zeigte sich die Notwendigkeit, die Forschungskooperation so zu gestalten, daß diese Schwierigkeiten in einer nicht-personalisierenden und nicht-situationsentbundenen Weise angesprochen werden können, um Vorbehalte und Mißtrauen zwischen »wissenschaftlich« und »praktisch« Tätigen und damit einen Aspekt des Theorie-Praxis-Bruchs zu überwinden.