Sir Francis Galton: Begründer der Differenziellen Psychologie – Begründer der Eugenik

Rassen- und Klassenunterschiede in der Intelligenz

Von Kritische Psychologie Marburg

Sir Francis Galton (1822–1911), ein Cousin von Charles Darwin, machte sich durch seine Vielseitigkeit in verschiedenen Disziplinen einen Namen. Obwohl er Medizin studiert hatte, betätigte er sich auf Feldern wie Meteorologie, Statistik, Anthropologie, Psychologie und schrieb Berichte über seine ausgiebigen Afrikareisen. Heute ist er für seine Erblichkeitstheorie von psychischen Eigenschaften und der Begründung der Eugenik bekannt. Manchmal wird er auch als Begründer der Zwillingsforschung genannt, was aber nicht der Wahrheit entspricht, da er nicht monozygote (eineiige) und dizygote (zweieiige) Zwillinge oder getrennt aufgewachsene Zwillinge verglich, sondern nur allgemein auf die Ähnlichkeit von Zwillingen und die Notwenigkeit „nature and nurture“ zu unterscheiden, verwies (vgl. Joseph, 2003, S.11-14). Galtons Lehre vom „guten Erbe“ (Eugenik, gr. wohlgeboren) baut auf der Vorstellung auf, dass Intelligenz und Persönlichkeit vorwiegend erblich sind und die englische Bevölkerung nur mit eugenischen Maßnahmen verbessert werden kann. Die Erblichkeitstheorie und die Idee der Eugenik sind also auf das Engste miteinander verbunden.

Schon in seinem ersten psychologischen Artikel Hereditary Talent and Character von 1865 äußerte er den Wunsch, psychische Eigenschaften wie physische Merkmale bei Tieren zu züchten und zeichnet die „Utopie“ einer Gesellschaft, in der Heirat nach eugenischen Gesichtspunkten erfolgt. „Wenn nur ein Zwanzigstel der Mittel, die heute für die Verbesserungen in der Pferde- und Viehzucht ausgegeben werden, in die Verbesserung der menschlichen Rasse investiert würden, was für ein Universum an Genies würden wir dabei zutage fördern!“ (Galton, 1865, S.165).

Aus der Analyse von Biographien bedeutender Persönlichkeiten und gewinnt er die Erkenntnis, dass viele berühmte Männer, Verwandte haben, die ebenfalls berühmt sind. So sieht seine Analyse beispielsweise aus: „J. Adams, Pres. U.S.A.; son Samuel also patriot; nephew J. Quincey president” (ebd., S.159)

Die Verwandtschaft zwischen zwei Präsidenten in den USA wird wohl niemand als Beweis für erbliche Intelligenzunterschiede nehmen, sondern eher auf die stark ausgeprägte Politikerelite zurückführen, was Galton sogar in Betracht zieht, aber nicht davon abhält, seine Überzeugung „Ich glaube, dass Talent in einem sehr bemerkenswerten Maße durch Vererbung weitergegeben wird“ (ebd., S.157) zu revidieren. Um zu erklären, warum die meisten Söhne bekannter Väter aber nicht ebenfalls Ruhm erlangen, verweist er auf den Einfluss beider Eltern (vgl. ebd., S.158). Es ist also die Mutter, die den „genetischen Wert“ der Kinder verringert.

Ein Thema im zweiten Teil des Artikels ist der Vergleich zwischen „Rassen“, ohne dass dabei in irgendeiner Form statistisches Datenmaterial erhoben oder angeführt wird. Stattdessen verlässt sich der Autor auf Erzählungen und seine eigenen Erfahrungen als Forschungsreisender. Er behauptet beispielsweise, dass „der Neger [im Gegensatz zum amerikanischen Ureinwohner] starke impulsive Leidenschaften besitzt, aber weder Geduld noch Schweigsamkeit oder Würde … Er ist ausgesprochen gesellig, denn stets plappert er, zankt, schlägt das Tom-Tom oder tanzt“ (Galton, 1965, S.321). Auch von Weißen aufgezogene Angehörige „niederer Rassen“ behielten eine „wilde, unzähmbare Ruhelosigkeit“, die den „Wilden“ angeboren sei.

Erst vier Jahre später in seinem klassischen Werk Hereditary Genius(HG) über erbliche Intelligenzunterschiede analysiert er Stammbäume von 13 verschiedenen Gruppen „bedeutender“ Personen relativ systematisch und begründet damit die statistisch-empirische Persönlichkeitsforschung. Unter den Gruppen befinden sich Richter in England zwischen 1660 und 1865, Staatmänner, Heeresführer, Adlige, Schriftsteller, Wissenschaftler, Dichter, Musiker, Maler, Kirchenmänner, ausgezeichnete Cambridgeabsolventen, Ruderer und Ringer. Bei der Analyse der Gruppe von Adligen geht es ihm um den Beleg für die angeblich erbliche Unfurchtbarkeit der Frauen (als Grund für das Aussterben des Adels) und bei den Sportlern um deren Muskelkraft und weniger um deren Intelligenz. Ruhm wird als „Test“ für natürliche Begabung eingesetzt (vgl. Galton, 1962, S.77). Die Analyse ist ähnlich wie die von 1865: Die ebenfalls bedeutenden Verwandten werden aufgezählt (die nicht bedeutenden bleiben meist unerwähnt) und der Grad der Verwandtschaft wird erfasst. Die Ergebnisse für die Richter ist relativ typisch für die Ergebnisse: Von 286 Richtern haben 109 einen bedeutenden Verwandten und 49 mehr als einen. Berühmte Verwandte ersten Grades (Vater, Sohn, Bruder) waren viermal so häufig wie berühmte Verwandte zweiten Grades (Großvater, Enkel, Onkel, Neffen), 36 von 286 Richtern hatten einen Vater, Sohn oder Bruder, der ebenfalls Richter war. Galton zog daraus den Schluss, dass Verwandte von Richtern dazu tendieren, sowohl juristische Kompetenzen als auch eine allgemeine Fähigkeiten zu teilen und führt dies als Beleg für seine Erblichkeitsthese an. Eine Innovation in HG ist die Anwendung der Normalverteilung auf die Analyse von Intelligenz, die bisher nur für biologische Merkmale wie Größe und Gewicht verwandt wurde. Die glockenförmige Verteilung zeigt, dass die meisten Individuen sich um den Mittelwert gruppieren und es zu den Enden hin weniger werden. Galton teilte die Population in 16 Stufen auf von „extrem schwachsinnig“ bis „glänzend“. Auf der ersten und letzten Stufe befindet sich nur einer von eine Million Menschen, wohingegen sich auf der achten und neunten Stufe, also in der Mitte jeder vierte befindet. Sein Fokus lag ohne Zweifel auf den bedeutenden und genialen Personen innerhalb der westeuropäischen Bevölkerungen am oberen Ende der Verteilung, in dem Abschnitt „The Comparative Worth of Different Races“ vergleicht er jedoch nebenbei die „Negerrasse“ mit der angelsächsischen, indem er seine rating-Skala benutzt.

Da die „Negerrasse“ auch solche Männer wie Toussaint l´Ouverture (Unabhängigkeitskämpfer, Gouverneur der Kolonie Haiti) hervorgebracht habe, könnten nicht alle Schwarzen völlig geistesschwach sein, so Galtons Überlegung, weshalb er Toussaint l´Ouverture auf Stufe 14 der westeuropäischen Bevölkerung und schließt daraus: „Die durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten der Negerrasse liegen in etwa zwei Stufen unter den unsrigen“ (S.394).

Galton zufolge wohnt die höchste Begabung jedoch keiner noch existierenden, sondern der athenische Rasse inne, die wiederum zwei Stufen über der angelsächsischen liegen soll, da er 14 Personen aus der Gesamtbevölkerung von 60.000 männlichen Erwachsenen der griechischen antiken Gesellschaft auf der höchsten Stufe verordnet.

Beim Lesen der Forschungsarbeiten von Francis Galton entsteht der starke Verdacht, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen nicht das Produkt „wertneutraler“, induktiv-empirischer Forschung sind, sondern vielmehr die schlichte Faktenuntermauerung bereits vorher geäußerter theoretisch-vorurteilsvoller Überlegungen. Was läuft hier falsch?

Petitio principii

Petitio principii ist die Bezeichnung für einen Verstoß gegen einen der vier Hauptsätze der klassischen formalen Logik: den Satz vom zureichenden Grund. Dabei wird eine Hypothese mit einer weiteren Hypothese begründet, die zwar widerspruchsfrei, aber auch nicht bewiesen ist. Das scheinbar argumentative System kann daher in Verdacht geraten, nur aus Glaubenssätzen zu bestehen.

Gemeinsam sind Galtons Arbeiten mindestens vier voreilige Schlussfolgerungen, die keineswegs aus der empirischen Wissenschaft verschwunden sind, sondern auch heute noch die scheinbar wertneutrale, empirische Wissenschaft prägen.

Erstens schließt Galton unumwunden von Berühmtheit auf natürliche Begabung. Denselben Fehler begehen auch viele andere Intelligenztestentwickler, die der Vorstellung anhängen, dass es allein Leistungen sind, die darüber entscheiden, wer welche Position in unserer Gesellschaft erreicht. Dass das Versprechen von Chancengleichheit aber in der Realität nie eingelöst wurde und andere Variablen wie soziale Stellung der Eltern, Kontakte zu einflussreichen Personen etc. ein wichtige Rolle spielen, wird ausgeblendet oder heruntergespielt. Die Intelligenzforscher identifizieren soziale Stellung mit Intelligenz, entwickeln mit diesem Konstrukt im Hinterkopf einen Test und zeigen sich begeistert, wenn dieser Test dann tatsächlich mit Schul- oder Berufserfolg korreliert. Mit diesem Zirkelschluss meinen sie dann diesen Test validiert zu haben. Da bspw. der erste Intelligenztest von Alfred Binet zu dem praktischen Zweck entwickelt wurde, die Kinder auszumachen, die dem Unterricht nicht folgen können und eine Sonderbeschulung benötigen, ist es kein Wunder, dass die beiden Variablen korrelieren. Immerhin war sich Binet aber noch im Klaren darüber, dass das Testergebnis nicht mehr als eine grobe Schätzung sein könne und der Test keine erbliche, im Sinne von unveränderliche Fähigkeit messe und verwehrte sich gegen anders lautende Auffassungen: „Gegen diesen brutalen Pessimismus müssen wir protestieren und reagieren“ (Binet, 1913, S.141; zit. nach Lewontin, Kamin & Rose, 1988, S.67). Ein Test erfüllt immer einen praktischen Zweck, wie auch der Standford-Binet-Test von Lewis M. Terman, der eingesetzt wurde, um „Schwachsinnige“ zu identifizierte und sie zu sterilisieren oder der Army-α und -β-Test von Robert M. Yerkes, der den Zweck hatte, Rekruten ihren ihrer „Intelligenz“ gemäßen Patz in der Armee zuzuweisen oder andere Intelligenztests, die Unternehmen gebrauchen, um ihre Bewerber auswählen. Wenn Tests den speziellen Anwendungszweck nicht erfüllten, würde niemand Geld dafür zahlen und der Test wäre nie entwickelt oder zumindest angewendet worden (vgl. Gould, 1983, S.157-256). Der von galton selbst entwickelte Intelligenztest fand nie Verbreitung, da Akademiker nicht besser als der Rest der Bevölkerung abschnitt.

Die zweite, wenn nicht falsche, so doch zumindest voreilige Schlussfolgerung besteht darin, dass Galton aus der Verwandtschaft zwischen Berühmtheiten die Vererbung von Begabung ableitet. Dieselbe Tatsache könnte ebenso schlüssig als kulturelle Wissensübertragung (Milieutheorie) von den Eltern auf die Kinder interpretiert werden. Galton hätte die vorgefundenen Zusammenhänge demnach ebenso auf den selektiven Zugang zu Bildung in der stark ausgeprägten englischen Klassengesellschaft des 19 Jahrhunders zurückführen und sich wie andere vor dem Hintergrund dieser Faktenlage für allgemeine Bildung, gegen die Verelendung der Massen oder gar für die Aufhebung des Klassengegensatzes einsetzen können. Soziale Benachteiligung schloss Galton aber Zeit seines Leben wie bspw. in Hereditary Genuis im Kern aus: „Ist ein Mann mit großen intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet und besitzt er den nötigen Fleiß sowie auch die Kraft zu arbeiten, dann kann ich mir nicht vorstellen, was einen solchen Mann aufhalten sollte“ (Galton, 1962, S.79). Anzumerken ist, dass nach Galtons Vorstellung nicht nur Intelligenz, sondern auch Fleiß, Anstrengung, ja sogar Moral im Wesentlichen erblich ist. Die Mangelhaftigkeit solcher voreiligen Schlussfolgerungen ist mittlerweile in der Psychologie allgemein anerkannt. Man drückt sich allerdings in der Regel um die Frage, warum Galton ausgerechnet diese Interpretation wählte.

Der dritte Fehlschluss, den bis heute einige Vererbungstheoretiker trotz besseren Wissens nahe legen, besteht darin, Erblichkeit mit Unveränderlichkeit gleichzusetzen. Das mag auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, entspricht aber nicht der Erkenntnis, dass Erbe und Umwelt in einer komplexen Wechselwirkung zueinander stehen und Erbkrankheiten wie Phenylketonurie mit einer entsprechenden Diät direkt nach der Geburt, die eigentlich folgende geistige Retardiertheit mildern oder ganz beseitigen kann. Ein anderes Beispiel wäre die Sehschwäche, die ganz einfach mit einer Brille behoben werden kann. Zu Galtons Lebzeit waren weder die Mendelschen Gesetze (zwar schon aufgestellt, aber kaum bekannt) noch die DNA als Träger der Erbinformation bekannt, noch hatte man den komplexen Weg von der DNA über die RNA zur Aminosäure zum Protein etc. erforscht, der natürlich vielfältigen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist. On the Origin of Species By Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (1959) von Darwin war gerade erst erschienen, sodass es ziemlich voreilig war, ohne viele Belege solch weitreichende Schlüsse zu ziehen. Die Historikerin Ruth Schwartz Cowan (1977), die Galtons Schriften analysiert hat, kommt daher zu dem Schluss: „Es gibt in der Geschichte der Wissenschaft kaum ein anderes Beispiel für eine solch gewichtige Verallgemeinerung, die auf Grundlage einer derart dürftigen konkreten Beweislage getroffen, so schlecht entwickelt und auf so naive Weise erdacht worden ist“ (S.135).

Der vierte Denkfehler liegt möglicherweise allen anderen zugrunde. Er besteht in der Überzeugung, dass die ganze komplexe Welt inklusive der geistigen Fähigkeiten ihrer Bevölkerungen kommensurabel gemacht, d.h. quantifiziert und verglichen werden könne, Intelligenz sich also wie Körpergröße oder Schädelumfang messen lasse. Dabei handelt es sich jedoch um eine Illusion, denn ein IQ-Test ist zum einen kein Metermaß, es handelt sich bestenfalls um eine künstlich erstellte Intervallskala, und zum anderen ist längst nicht erwiesen, dass alles intelligente Verhalten sich in eine Dimension zwängen lässt (Guilford z.B. nimmt 120 Dimensionen an) oder überhaupt numerisch erfassbar wäre. Nur weil Galton Menschen Zahlen zuordnet und sie in eine Rangordnung bringt, hat er weder real Intelligenz noch Intelligenunterschiede erfasst. Dass „Neger“ zwei Stufen unter den „Weißen“ liegen, ist vollkommen willkürlich und spiegelt deutlich seine schon vorher gefasste Meinung wider. Das Problem ist, dass von Zahlen die Magie der „Objektivität“ auszugehen schein, solange nicht danach gefragt wird, wie diese Zahlen überhaupt entstanden sind.

Warum so hartnäckig an dem Traum von der Kommensurabilisierung des Inkommensurablen, d.h. der klaren Einordnung des Menschen in eine lineare Hierarchie festgehalten wird, soll im Folgenden erörtert werden.

Politik und Wissenschaft

Kind seiner Zeit?

Nun könnte man, wie auch von Arthur Jensen vorgebracht, entschuldigend einräumen, dass Galton nun einmal ein Kind seiner Zeit gewesen sei. Richtig ist, dass Äußerungen solcher Art unter Zeitgenossen sowohl Zuspruch, als auch Ablehnung hervorriefen. Dass Galton keineswegs den common sense der Wissenschaft im viktorianischen England wiedergibt, zeigt z.B. ein Zitat von John Stuart Mill aus The Principles of Political Economy: „Von allen vulgären Formen des Ausweichens vor der Beschäftigung mit gesellschaftlichen und moralischen Einflüssen auf das menschliche Bewusstsein ist die vulgärste Form von allen diejenige, welche die Vielfältigkeit des menschlichen Verhaltens und Wesens auf vermeintlich erbliche, ursprüngliche, natürliche Wesensverschiedenheiten zurückführt.“ (Mill, 1848, zit. nach Fancher, 2003, S.62).

Unter Wissenschaft versteht Galton anscheinend, die Vorurteile gegenüber den kolonialisierten Völkern des viktorianischen Englands zusammenzutragen und sie „wissenschaftlich“ zu untermauern, genauso wie zu anderen Zeiten feudale Rassenforscher, wie Graf von Boulainvilliers, die rassische Andersartigkeit und Höherwertigkeit des Adels, Schädelforscher die Minderwertigkeit der Frau oder französische Wissenschaftler vor dem Ersten Weltkrieg die größere Giftigkeit deutschen im Verhältnis zu französischem Urin „nachwiesen“, um eine rassisch begründete Aggressivität „der Deutschen“ zu konstruieren. Galton spricht auch in den darauf folgenden Werken von der „Höherwertigkeit der weißen Rasse“ (Galton, 1907, S.211) und echauffiert sich darüber, dass „es eine größtenteils völlig unvernünftige Sentimentalität gegenüber der schrittweisen Auslöschung einer niederen Rasse gibt“ (ebd. S.200) – eine Position, die auch heute noch von einigen Denkern vertreten wird, so z.B. von den Psychologen und Eugenikern Raymond B. Cattell und Richard Lynn oder dem weltweit einflussreichsten Ökonomen der letzten dreißig Jahre, dem nobelpreisgekrönten Marktradikalen Friedrich August von Hayek. Nur weil andere auch rassistisch sind, werden diese Vorurteile weder neutralisiert noch harmloser oder entschuldbar. Jensen liegt auch gar nicht daran, Galtons Vorurteile zu entschuldigen, Jensen arbeitet eher auf eine Erneuerung des Rassenwissenschaft zu, oder warum sollt er sonst der American Renaissance und der Nation Europa Interviews geben und zusammen mit NPD-Mitgliedern wie Rolf Kosiek im wissenschaftlichen Beirat der Neuen Anthropologie, die von dem bekannten Neonazi Jürgen Rieger herausgeben wird, sitzen und für ebendiese Zeitschrift mehrere Artikel schreiben?

Kein Rassist?

Es ließe sich auch einräumen, dass Galton ja gar nicht rassistisch sein könne, weil er eine Überlappung der Bevölkerungen im Hinblick auf ihre geistigen Fähigkeiten annimmt (mit dem gleichen Argument verbittet sich auch Hans Jürgen Eysenck den Vorwurf des Rassismus). Hier werden allerdings zwei Punkte außer Acht gelassen.

Erstens sähe sich Galton ansonsten gezwungen, bestehende Unterschiede zwischen „Negern“ wegzuerklären.

Zweitens läge in diesem Falle der Umkehrschluss aus „alle Neger sind gleich dumm“ nahe, nämlich die Aussage: „alle Weißen sind gleich intelligent“, was jedoch nicht in Galtons Interesse wäre, denn sein Hauptaugenmerk richtet sich gerade auf die vermeintliche Gefahr der Degeneration der „weißen Rasse“ oder „britischen Rasse“ durch die überproportionale Vermehrung der Arbeiterklasse. Ihm ist also hauptsächlich daran gelegen, die erbliche Minderwertigkeit der verarmten Bevölkerungsteile zu belegen, weshalb er zum Zweck der Legitimierung sozialen Ungleichheit die Behauptung aufstellt, Armut sei neben Alkoholismus, Geisteskrankheit und Gewohnheitskriminalität erblich und könne nur eugenisch gekämpft werden (vgl. Galton, 1908). „Die schwachen Nationen“ sind für Galton nicht die größte Gefahr, da sie „ganz zwangsläufig den edleren Menschentypen den Platz“ (Galton, 1865, S. 166) räumen. Die Mehrzahl der „Neger“ und die „Untauglichen“ in der englischen Bevölkerung sind arm ergo minderwertig. Dieses Denken ist sowohl rassistisch als auch elitär und demokratiefeindlich.

Eysenck könnte man entgegnen, dass auch die offen rassistische National Front in England die IQ-Überlappung der afrikanischen und weißen Bevölkerung nicht leugnet, da diese Tatsache „rassische Minderwertigkeit“ ja nicht ausschließt (vgl. Billig, 1981, S.163-165).

Sozialdarwinist?

Nun könnte man meinen, Galton habe Darwins Gesetze der natürlichen Auslese und des „Kampfes ums Dasein“ einfach auf die menschliche Gesellschaft übertragen, er wäre also ein Vertreter des Sozialdarwinismus. Das stimmt aber nur zum Teil. Obwohl zwischen der Eugenik und dem Sozialdarwinismus personelle wie inhaltliche Überschneidungen bestehen, unterscheiden sie sich doch in einigen Punkten: Während Galtons Forderungen nach eugenischer Gesellschaftsplanung Ende des 19. Jahrhunderts kaum Beachtung fanden, entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts fast zeitgleich nationale eugenische Gesellschaften in Großbritannien, Deutschland und den USA. Der bis dahin dominierende Sozialdarwinismus büßte insofern an Erklärungskraft ein, als das Selektionsprinzip (survival of the fittest) allem Anschein nach nicht im Sinne der privilegierten Klassen funktionierte: die Armen starben nicht so einfach aus, stattdessen organisierten sie sich als Arbeiterbewegung in Gewerkschaften, Bildungsvereinen und Kulturinstitutionen und entwickelten sich schließlich mit der Gründung der Labour Party 1903 auch zu einer unmittelbar politischen Bedrohung.

In den Vereinigten Staaten hatten Unternehmer wie John D. Rockefeller und Andrew Carnegie Darwins Theorie vom „Kampf ums Dasein“ noch zur Rechtfertigung des Laisser-faire-Kapitalismus und der Schattenseiten der Industriellen Revolution (Verarmung der Stadtbevölkerung, katastrophale Wohn- und Arbeitsbedingungen sowie mangelhafte Hygiene, etc.) benutzt.

Die Eugenik gewann erst zu dem Zeitpunkt an Bedeutung, als sich im Zuge des Abflauens der langen Wachstumsperiode seit 1848 und mit dem Einsetzen der Großen Depression nach 1873 die ökonomischen und politischen Instabilitäten und die sozialen Spannungen mehrten. Ausgehend von der Grundannahme, dass es in den Industriestaaten zu einer Aussetzung des Selektionsprinzips im Sinne einer verbesserten medizinische Versorgung und Sozialpolitik – Maßnahmen die von den Eugenikern als „Pseudo-Humanismus“ gegeißelt wurden -gekommen sei, was eine überproportionale Vermehrung von „minderwertigen“ Bevölkerungsgruppen und die Degeneration der menschlichen Rasse zur Folge habe, bot die Eugenik eine zeitgemäßere biologische Erklärung für die Widersprüche der gespaltenen Gesellschaft. Galton fordert in diesem Kontext gezielte Eingriffe in die menschliche Evolution (im Gegensatz zur darwinschen Theorie der natürlichen Selektion) und unterstreicht die nationale Bedeutung der Eugenik für Großbritannien. So müsse die Eugenik erst als Wissenschaft etabliert werden und dann „wie eine neue Religion“ in das „nationale Gewissen“ eingeführt werden (vgl. Galton, 1904, S.6), um die Fortpflanzung der Begabten besonders zu gefördern (positive Eugenik) und die Fortpflanzung der „Untauglichen“ zu verhindern (negative Eugenik). Gleichzeitig mit der Zunahme von Staatsinterventionen (protektionistische Abschottung der Kolonien, Militarisierung, etc.) und der Durchsetzung eines stärker regulierten Kapitalismus gegenüber dem Laisser-faire-Kapitalismus, gewann die Eugenik mit ihren Forderungen nach einer Regulierung der Fortpflanzung und Selektion an Einfluss (vgl. Kühl, 1997, S.20-21).

So entsteht 1907 die Eugenics Education Society mit Galton als Ehrenmitglied und 1912 findet der erste internationale Kongress in London statt. Die Öffentlichkeit ist sich zu diesem Zeitpunkt uneins darüber, worum es sich bei der eugenischen Bewegung tatsächlich handelt: Handelt es sich um eine neue innovative Wissenschaft, eine von Klassen- und Rassenvorurteilen geprägte politische Bewegung oder bloß um eine internationale Versammlung von Phantasten. Die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Politik – schon von Galton eingefordert – verhilft der jungen Forschungsrichtung einerseits zu großzügigen Forschungsgeldern und andererseits vermögen sie es, mit dem Verweis auf ihre Wissenschaftlichkeit ihre politischen Forderungen als scheinbar objektiv begründet darstellen. Erst als jene in Frage gestellt wird, gerät der Eugenik die enge Verknüpfung von Politik und Wissenschaft zum Verhängnis, sie wird als eine von Rassen- und Klassenvorurteilen geprägte politische Bewegung im wissenschaftlichen Gewand enttarnt und kann sich nur in neuem Gewand abermals etablieren.

Fazit

Welche Hypothesen aufgestellt, welche Methoden verwendet werden und zu welchen Ergebnissen Forschung gelangt, hängt von den Vorannahmen des Forschenden, dem wissenschaftlichen Paradigma und den dominanten Vorstellungen einer Epoche ab. Welche Forschung sich durchsetzt, hängt von der Nützlichkeit der jeweiligen Theorie ab. Legitimiert sie in Zeiten der Sklaverei die Sklaverei als naturgegeben, ist sie nützlich, postuliert sie in Zeiten der wirtschaftlichen Krise die „genetische Minderwertigkeit“ der Verlierer und Arbeitslosen, ist sie nützlich und kommt daher eher in den Genuss staatlicher oder privatwirtschaftlicher Finanzierung, findet durch Zeitungen, Politikberater etc. Einzug in die öffentliche Meinung und politische Argumentation.

So genannte Fakten können auf die unterschiedlichste ideologische Art interpretiert werden. In Galtons Falle handelt es sich eindeutig um die Ideologie der herrschenden Klasse, die ein elementares Interesse daran hat, die Ungleichheit in Status, Besitz und Macht als unveränderliche Gegebenheiten zu rechtfertigen.

Wie ein roter Faden zieht sich diese Ideologie durch die gesamte Geschichte der biologischen Intelligenz- und Persönlichkeitsforschung. Das Galtonsche Erbe trat der Statistiker Karl Pearson an, der den gestifteten Lehrstuhl für Eugenik und das Galtonsche Labor für nationale Eugenik übernimmt. Galton stand nicht nur am Anfang der politischen eugenischen Bewegung, sondern ist auch der Pionier der biologischen Persönlichkeitsforschung, der London School. In deren Tradition stehen Psychologen (Psychometriker) wie Charles Spearman, Raymond Cattell, Cyril Burt (einst bekanntester britischer Psychologe, heute der Fälschung von Zwillingsstudien überführt), Hans J. Eysenck, Richard Lynn, Arthur Jensen, J. Philippe Rushton, Linda Gottfretson etc., die die Lehren von den angeblich erblichen Rassen- und Klassenunterschieden Francis Galtons bis heute vertreten – selbstverständlich angepasst an die gegenwärtigen wirtschaftlichen, politischen und universitären Verhältnisse und die heutige Gestalt konservativer Rechtfertigungsdiskurse.

Links:

http://galton.org Alle Arbeiten von Francis Galton im Volltext

Literatur:

Binet, A. (1913). Les idees Modernes sur les Enfants. Flammarion Paris. (dt. Binet, A. (1914). Die neuen Gedanken über das Schulkind. Leipzig: Teubner.)

Billig, M. (1981). Die rassistische Internationale. Zur Renaissance der Rassenlehre in der Modernen Psychologie. Frankfurt/Main: Neue Kritik.

Cattell, R.B. (1972). A New Morality from Science: Beyondism. Pergamon Press: New York.

Candeias, M. (2004). Neoliberalismus Hochtechnologie Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise. Eine Kritik. Hamburg: Argument.

Cowan, R. S. (1977). Nature and Nurture: The interplay of biology and politices in the work of Francis Galton . In W. Coleman & C. Limoges (Hg.), Studies in the history of biology (Vol.1, 133-208). Baltimore : John Hopkins University Press.

Engels, F. (1974). Dialektik der Natur. Notizen und Fragmenten. In Marx-Engels-Werke, Bd. 20. Berlin: Dietz.

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Galton, F. (1865). Hereditary Talent and Character. Macmillan’s Magazine,12, 157-166 u. 318-327.

Galton, F. (1962). Hereditary Genius: An Inquiry into its Laws and Consequences. The World Publishing Company: Cleveland (zuerst veröffentlicht 1869).

Galton, F. (1907). Inquiries into Human Faculty and its Development. London: J. M. Dent & Sons (zuerst veröffentlicht 1883).

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Galton, F. (1908). Race improvment. In Memories of My Life. London: Methuen. Online Version. Zugriff am [09.04.2007]: http://galton.org/books/memories/chapter-XXI.html

Gould, S., J. (1983). Der falsch vermessene Mensch. Stuttgart: Birkenhäuser.

Joseph, J. (2003). The Gene Illusion. Genetic research in psychiatry and psychology under the microscope. Ross-on Wye: PCCS Books.

Kühl, S. (1997). Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Campus.

Lewontin, R. C., Kamin, L. J., Rose, S. (1988). Die Gene sind es nicht …: Biologie, Ideologie und menschliche Natur. München, Weinheim: Psychologie Verlags Union.

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