Bewusstsein – ein unauflösliches Rätsel? Dialektisch-materialistische Perspektiven auf das psychophysische Problem

Veröffentlicht in: Marxistische Blätter (2014), Ausgabe 4-14, 27-39, Thema: Bewusstsein Ein unauflösliches Rätsel?

Wolfgang Maiers

Dialektisch-materialistische Perspektiven auf das psychophysische Problem

I. Neurowissenschaft – eine neue Schlüsseldisziplin für die Humanwissenschaften?

Die Neurowissenschaft wird seit einiger Zeit als Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts gehandelt, die das Selbstverständnis des Menschen revolutioniere. Solche Verheißungen finden sich nicht nur im „brain hype“ der Massenmedien und im Feuilleton, sondern markieren auch Bedeutungsverschiebungen im akademischen Diskurs und schlagen sich (etwa durch ungleiche Zuteilung von Forschungsgeldern und Stellen) in den institutionellen Rahmenbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens nieder. Ist hier tatsächlich ein Paradigmenwechsel im Gange? Und wie tiefgreifend wird dann das wissenschaftliche Selbstverständnis der Psychologie, die sich historisch als ausgezeichnete Erfahrungswissenschaft vom menschlichen Bewusstsein etablierte, von Behauptungen berührt, dass die neurobiologische Forschung mittlerweile durch den Einsatz bildgebender Verfahren in Kombination mit anderen bewährten Technologien zeigen könne, wo und wie neuronale Prozesse Bewusstseinsphänomene produzieren?

Der Erkenntnisfortschritt der Hirnforschung ist unzweifelhaft, und unter den Prämissen eines in der materialistischen Dialektik verankerten Wissenschaftsprogramms kann es nicht darum gehen, seine Relevanz für die Psychologie herunterzuspielen. Wohl aber kommt es darauf an, die angeführten Geltungsansprüche auf mögliche Tendenzen zu einer Art „Neuro-Logik“ hin zu überprüfen. Aufgeworfen ist die Frage, ob ein Forschungsansatz, der für die gesamtgesellschaftlich-historische Praxis als Konstitutionszusammenhang menschlichen Bewusstseins unzuständig – um nicht zu sagen: blind – ist, fälschlich und mit fatalen Konsequenzen als geeignete Erkenntnisbasis der Humanwissenschaften einschließlich der Psychologie propagiert und wahrgenommen wird. Nimmt man beispielsweise die pointierten Thesen von Hirnforschern wie Gerhard Roth, Wolf Singer u.a. und vor allem ihre Resonanz in unserem Fach ernst, dann drängt sich in der Tat der Verdacht auf, dass innerhalb psychologischer Theoriebildung ein neuer Naturalismus Fuß fasst.

Roth und Kollegen präsentieren ein neurowissenschaftlich begründetes Bild vom Menschen, das „vom vorherrschenden vernunft- und ich-zentrierten Menschenbild stark abweicht“ (Roth 2001, 453). Entgegen der Überzeugung, dass das Bewusstsein „die Krone menschlichen Wesens und (…) die entscheidende Grundlage unseres Handelns“ (a.a.O., 451) ist, sei unser bewusstes Ich „nur ein virtueller Akteur in einer von unserem Gehirn konstruierten Welt“ (a.a.O., 452) und verfüge es über „nur geringe Einsicht in die eigentlichen Antriebe unseres Verhaltens“ (a.a.O., 453). Die Intuition, wir steuerten autonom unsere Handlungen, sei illusionär. „Wir tun nicht,“ so Wolfgang Prinz (1996, 87), „was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun“ – soll heißen: was in nichtbewussten Prozessen einer subpersonalen Informationsverarbeitungsmaschinerie vorfabriziert worden ist, die im Nachhinein als ich-gewollt mental repräsentiert würden.

Wenn es sich mit der neuronalen Determination unseres Verhaltens und Erlebens tatsächlich so verhielte wie behauptet, hätte dies weitreichende Folgen für die Psychologie. Intentionalistische Handlungskonzepte, darunter die kritisch-psychologische Konzeption „subjektiv begründeten Handelns“, wären erledigt, kaum dass sie ihre Erklärungsmächtigkeit gegenüber der theoretischen Subjektverleugnung im psychologischen Mainstream unter Beweis stellen konnten (vgl. hierzu Maiers 1996; 2008).

Naturalistische Gegenstandsverfehlungen in psychologischen Theoriebildungen sind nichts Neues: Naturalismus – darunter verstehe ich hier die Auffassung, dass die Welt ein rein naturhaftes Geschehen ist, infolgedessen die Verkennung der gesellschaftlichen Bestimmtheit menschlichen Handelns und Erlebens – hatte bei uns in wechselnden Erscheinungsformen immer wieder Konjunktur. In dieser Hinsicht schlösse der von mir vermutete neuronale Reduktionismus nahtlos an den Biologismus der sog. Evolutionären Psychologie aus den 90ern (die ihre Vorläufer in der Humanethologie der 60er und der Soziobiologie der 70er Jahre hatte) und den sich durchziehenden genetischen Determinismus an, indem er deren (ultimate) Erklärungen der Verhaltensphylogenese bzw. ‑ontogenese („welche Mechanismen führen dazu, dass sich bestimmte Verhaltensweisen stammesgeschichtlich bzw. individualgeschichtlich so-und-nicht-anders entwickeln?“) durch (proximate) Erklärungen der Aktualgenese des Verhaltens auf Hirnebene („welches sind die biochemisch-physiologischen kausalen Bedingungen eines aktuellen Verhaltens?“) komplettiert (vgl. Maiers 2002).

Neuartig und bemerkenswert an der „Neuro-Logik“ ist aber, dass reduktionistische Auflösungen des psychophysischen Problems wie z.B. der sog. „Eliminative Materialismus“, die bisher eher Streitpositionen innerhalb der (analytischen) Philosophie des Geistes bildeten, ohne durchgreifende Bedeutung für die konkrete Forschungsarbeit zu besitzen, nunmehr als Leitideen für die Gegenstandsbestimmung in den einschlägigen Einzelwissenschaften (Psychologie, Physiologie, Neurobiologie usw.) Einfluss erhalten.

II. Das psychophysische Problem in der Philosophie des Geistes

Die Philosophie des Geistes befasst sich mit der Klärung der ontologischen Natur und der Erkennbarkeit geistiger Phänomene (des Bewusstseins) und ist dabei mit dem sog. „psychophysischen Problem“ konfrontiert, das traditionell unter dem Stichwort „Leib-Seele-Problem“ firmiert. Beim psychophysischen Problem handelt es sich um die Frage nach dem Zusammenhang zwischen materieller und geistiger, ideeller Welt. Dabei geht es zum einen um die Beziehung zwischen körperlichen Zuständen/Ereignissen, namentlich neurophysiologischen bzw. biochemischen Zuständen/Ereignissen des Gehirns, und Bewusstseins- oder, allgemeiner, psychischen Zuständen/Ereignissen. Diese Facette des psychophysischen Problems – das „Körper-Geist-Problem“ – wird gelegentlich auch als „psychophysiologisches“ oder „psychozerebrales Problem“ bezeichnet. Darüber hinaus geht es um die Beziehung zwischen mentalen Phänomenen und der äußeren materiellen Wirklichkeit. Das psychophysische Problem stellt eines der ältesten Probleme der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte dar. Es ist nicht nur bislang ungelöst geblieben, sondern auch sein Status als solcher ist umstritten. Das Spektrum seiner Bewertungen reicht von der Anerkennung als eines „Zentralproblems unseres Weltverständnisses“ über den Vorbehalt, dass es sich um „kein wissenschaftsfähiges Problem“ handele, da es empirischen Erkenntnismethoden nicht zugänglich sei, bis hin zur Zurückweisung als eines „metaphysischen Scheinproblems”.

Ich sprach vorhin davon, dass es innerhalb der Philosophie des Geistes verschiedene „reduktionistische Auflösungen des psychophysischen Problems“ gebe und nannte als Beispiel den sog. „eliminativen Materialismus“. Damit ist eine starke Variante einer psychophysischen Identitätstheorie gemeint, die Mentales zugunsten des Physika­lischen ausschließen will. In der schwächeren identitätstheoretischen Variante soll dieser Ausschluss nur theoriesprachlich erfolgen: In dem Maße, wie es gelinge, das gesamte (alltags-) psychologische Vokabular durch die physikalische Begrifflichkeit einer noch auszuarbeitenden Neurobiologie zu ersetzen, könne Psychologie hierauf reduziert werden. Demgegenüber bringen die Vertreter des eliminativen Materialismus, z.B. Paul und Patricia Churchland (1981; 1986), Rorty (1965/1993) oder Stich (1996), eine ontologische Lesart von materialistischer Identifikation in die Diskussion ein: Mentales, Bewusstsein existiert nicht. Aus­sagen mit mentalistischen Prädikaten beziehen sich mithin auf keine realen, abgegrenzten Gegebenheiten, sondern auf nichts anderes als physische Zustände und Ereignisse im Gehirn.

Heute nun geben einige (wenn auch längst nicht alle) Neurowissenschaftler (z.B. Francis Crick und Christoph Koch) das Ziel aus, das phänomenal beschreibbare Bewusstsein auf die Funktionsweise des Gehirns, beispielsweise einer umschriebenen Gruppe von Neuronen, vollständig kausal zurückführen zu können. An folgendem Zitat von Crick (1994, 17) wird deutlich, dass der eliminative Materalismus mindestens als Arbeitshypothese übernommen wird: „‘Sie‘, Ihre Freuden und Leiden, Ihre Erinnerungen, Ihre Ziele, Ihr Sinn für Ihre eigene Identität und Willensfreiheit – bei alledem handelt es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen“.

Demgegenüber herrschte für die letzten 150 Jahre wissenschaftlicher Forschung im Bereich der Psychologie, Biologie und Medizin als implizite erkenntnisleitende Idee eher ein „naiver“ psychophysischer Parallelismus vor, der lediglich eine Korrelation zwischen den nicht aufeinander zurückführbaren psychischen Phänomenen und neurophysiologischen Strukturen und Prozessen unterstellte. In diesem Sinne lautet beispielsweise das berühmte, vom Göttinger Psychologieprofessor Georg Elias Müller im Jahre 1896 formulierte „erste psycho‑physische Axiom“: „Jedem Zustand des Bewußtseins liegt ein materieller Vorgang, ein sog. psychophysischer Prozeß zugrunde, an dessen Stattfinden das Vorhandensein des Bewußtseinszustandes geknüpft ist.“.

Die eingeschränkte Prämisse einer bloßen, wenngleich strikten, Korrespondenz hatte wissenschaftsgeschichtlich durchaus ihre Vorzüge, da sie gewissermaßen eine „friedliche Koexistenz“ aller mit psychophysischen Zusammenhängen befassten und in ihren heterogenen Zugangsweisen und Diskursformen als komplementär verstandenen Disziplinen verbürgte und so bezüglich jeder der beiden Ereignisreihen die Möglichkeit eröffnete, spezialisiertes Fachwissen anzuhäufen. „Naiv“ nenne ich die parallelistische Arbeitshypothese, weil, anders als in der Gründungszeit der akademischen Psychologie, im Fortgange „normalwissenschaftlichen Arbeitens“ (Kuhn) das psychophysische Problem – obgleich es par excellence das philosophische Zentralproblem aller für Bewusstseins- und Hirnprozesse zuständigen Wissenschaften und damit auch der Psychologie darstellt – kaum mehr explizit reflektiert wurde. Dieses Reflexionsdefizit lässt es zu, dass im Konkreten dann ganz unbefangen Positionen sowohl eines „psychophysischen Dualismus“ als auch eines „Interaktionismus“ vertreten werden, wie sie uns aus der Alltagspsychologie geläufig sind:  Mit intuitiver Gewissheit unterscheiden wir ja zwischen körpereigenen Vorgängen des zentralen und peripheren Nervensystems, des Stoffwechsels, der Herz- und Kreislauftätigkeit, des Bewegungsapparats einerseits und Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen, Bedürfnissen, Absichten etc. ande­rerseits. Zugleich sind wir davon überzeugt, dass das Psychische und das Körperliche nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern aufeinander einwirken: „Er verlässt Türen schlagend den Raum, weil er wütend ist.“ Und umgekehrt: „Sie ist froh, an den Pullover gedacht zu haben, weil es ihr kühl wird.“ Diese Wechselwirkungsthese der gegenseitigen kausalen Beeinflussung scheint uns im Alltag ebenso evident zu sein wie die Dualismusthese der wesensmäßigen Andersartigkeit von psychischen und materiellen Phänomenen (vgl. Goller 2002, 2f.).

Und so hält sich auch die wissenschaftlich-psychologische Theoriebildung nicht streng an den psychophysischen Parallelismus, der nur jeweils innerhalb der Bereiche mentaler und physischer Phänomene, nicht aber zwischen ihnen kausale Beziehungen annimmt. Diese parallelistische Annahme ist ja auch insofern nicht plausibel, als der Bereich des Mentalen offenkundig kein geschlossenes kausales System ist: Wahrnehmungseindrücke z.B. werden im allgemeinen durch die wahrgenommenen Objekte selbst bzw. die damit verbundenen proximalen Stimuli (d.h. Nahreize: die Gesamtheit der vom Objekt – dem sog. distalen Reiz – ausgehenden messbaren physikalischen oder chemischen Einwirkungen auf die jeweiligen Sinneszellen eines Sinnesorgans) hervorgerufen, und wir können auch nicht alle unsere Gefühlsregungen durch Rückgriff auf andere Gefühlserlebnisse oder sonstige (inner-) psychische Phänomene erklären. Generell gilt: „Zu vieles, was nicht selber mental ist, affiziert das Mentale“ (Bieri 1997, 7). Im stillschweigenden Rückgriff auf den dualistischen Interaktionismus wird daher angenommen, dass „mentale Zustände auf physikali­sche einwirken können und umgekehrt. Psychophysiologie, Psychosomatik und Psychopharmakologie setzen diese Wechselwirkung in der Praxis de facto voraus“ (Goller 2002, 10). Ich erwähne als Beispiel nur EEG-Biofeedback-Verfahren, bei denen Personen ihre eigene hirnelektrische Aktivität durch die Steuerung des damit aktuell einhergehenden eigenen Erlebens zu beeinflussen lernen.

Durch die Tatsache der absoluten Hirnabhängigkeit mentaler Phänomene gerät die Wechselwir­kungstheorie freilich in logische Schwierigkeiten (vgl. Goller, ebd.): Von einem Einfluss des bewussten Erlebens als solchen auf neuronale Prozesse zu sprechen, wäre nur statthaft, wenn das Erleben wenigstens teilweise vom Hirngeschehen unabhängig wäre. Ein weiterer Einwand bezieht sich auf die Wesensverschiedenheit physischer und psychischer Vorgänge: Wie sollen so grundverschiedene Gegebenheiten wie beispielsweise Gefühle und Muster neuronalen Feuerns kausal aufeinander einwirken, und wie kann es überhaupt Kausalbeziehungen zwischen raum-zeitlich strukturierten elektrochemischen Gehirnvorgängen mit etwas nicht raum-zeitlich Bestimmbarem, Unausgedehntem geben? Einwänden ist der interaktionistische Dualismus also auch deshalb ausgesetzt, „weil er mit der Annahme, physische Prozesse stünden unter dem Einfluss nicht-physischer, bewusster Prozesse, gegen grundlegende naturwissenschaftliche Grundsätze zu verstoßen scheint, insbesondere gegen die Energieerhaltungssätze sowie gegen das Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt, demzufolge es keine nicht-physischen Ursachen gibt“ (Pauen 2006, 41).

Ich kann auf die in der analytischen Philosophie des Geistes erörterten komplexen Lösungsansätze für das psychophysische Problem hier nicht näher eingehen (für einen kurzen Überblick vgl. Goller 2002, für eine umfassende Einführung etwa Beckermann 2008; vgl. ferner die Textsammlungen von Bieri 1997 und Metzinger 2001), will aber exemplarisch und aspekthaft anhand eines kurzen Exkurses zum sog. „Bieri-Trilemma“ den systematischen Zusammenhang wenigstens andeuten.

Mit dieser Überschrift  wird gelegentlich eine Formulierung des Körper-Geist-Problems bezeichnet, die vom Philosophen Peter Bieri (1981/31997, 2ff.) im Hinblick auf das Problem der mentalen Verursachung ausgearbeitet wurde. Bieris Argument beinhaltet drei Annahmen (von denen bereits vorstehend die Rede war): 1. „Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene.“ 2. „Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam.“ 3. „Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.“. Auf den ersten Blick ist jede der drei Annahmen plausibel: Bewusstseinstatsachen scheinen durch ihre innere Wirklichkeit  – insbesondere das subjektive Erleben – von jedem physischen Ereignis verschieden und nicht hierauf reduzierbar. Mentale Phänomene scheinen ganz offensichtlich Ursache bzw. Grund von physischen Phänomenen zu sein (etwa wenn wir bleich vor Schreck werden oder aus innerer Überzeugung in bestimmter Weise handeln). Schließlich scheinen in der physischen Welt stets hinreichende physische Ursachen auffindbar zu sein.

Das Trilemma besteht darin, dass zwei der drei Sätze jeweils die Falschheit des dritten implizieren: Wenn mentale Phänomene als nicht-physische Phänomene (Satz 1) auf die physikalische Welt einwirken können (Satz 2), kann diese nicht geschlossen, muss also Satz 3 falsch sein. Treffen dagegen Satz 1 und Satz 3 zu, kann es Satz 2 zum Trotz keine mentale Verursachung innerhalb der physikalischen Welt geben. Und schließlich muss Satz 1 falsch sein, wenn die Sätze 2 und 3 wahr sein sollen. Eine Leugnung der ersten Prämisse (nicht-physische Eigenart des Mentalen) führt zum ontologischen Physikalismus. Die Preisgabe der zweiten Prämisse (kausale Wirksamkeit des Mentalen in der physischen Welt) führt zum Epiphänomenalismus, d.h. zum Prinzip der einseitigen Kausalwirkung physischer/körperlicher Ereignisse auf das Bewusstsein, das damit zu einer folgenlosen Begleiterscheinung – einem bloßen Epiphänomen – des Physischen herabgesetzt wird. Das Bestreiten der dritten Prämisse (kausale Geschlossenheit des physikalischen Bereichs) führt zum ontologischen Dualismus als Interaktionismus von physischen/somatischen und mentalen Prozessen/Zuständen. In der Philosophie des Geistes bleiben die verschiedenen Positionen bis heute umkämpft. Sie ist zu einem wesentlichen Teil eben die Führung dieser Streitdebatte, und die ver­schiedenen monistischen und duali­stischen Positionen in der gegenwärtigen Körper-Geist-Debatte lassen sich als Auflösungsver­suche dieses Trilemmas beschreiben.

In der Hauptsache bieten die Widersprüche des psychophysischen Parallelismus immer wieder Anlass für materialistisch-monistische Eliminationsversuche. Im Gegensatz zur materialistischen Identitätstheorie, die mentale Phänomene mit ganz bestimmten Gehirnzuständen identifiziert, betrachtet der (von Putnam und Fodor begründete) sog. „Funktionalismus“ mentale Zustände als Eigenschaften, die durch ihre kausale Rolle in der Funktionsweise eines Organismus (d.h. durch ihre externen Ursachen, das durch sie hervorgerufene Verhalten und die zwischen ihnen und anderen mentalen Zuständen bestehenden Kausalrelationen) bestimmt sind. Materiell (physikalisch) könnten diese funktionalen Eigenschaften auf verschiedene Weise realisiert werden. „Durch die These, dass beim Menschen mentale Zustände faktisch als Gehirnzustände realisiert sind, wird der Funktionalismus zum funktionalen Materialismus. Es sind die Gehirnzustände, die kausal wirksam sind. Der funktionale Materialismus ist somit eine Spielart der partikularen Identitätstheorie (Tokenidentität).“ (Goller, 2002, 27)

Alle diese physikalistischen Erklärungen eines reduktiven Materalismus berufen sich auf die Fortschritte der modernen Hirnforschung und nehmen für sich in Anspruch, neurowissenschaftlich evidenzbasiert zu sein. Richtig ist, dass die Dualismus- und die Wechselwirkungsthese massiver denn je in Frage gestellt sind, wenn mit neuartigen bildgebenden Registrationsmethoden (Positronen-Emissions-Tomographie, Kernspintomographie und magnetische Kernresonanz-Spektroskopie) zunehmend präzise gezeigt werden kann, wie Erleben und Verhalten kausal an das materielle Substrat eines funktionieren­den zentralen Nervensystems gebunden sind. Einen Beweis für die Richtigkeit physikalistischer Reduktionsargumentationen bietet dies indes nicht – wohl aber einen klaren Hinweis darauf, dass die genannte philosophische Unbedarftheit in den Einzelwissenschaften nicht länger durchgehen kann und auch dort eine Reflexion des psychophysischen Problems gefordert ist.

III. Bewusstsein – aus den Perspektiven erster und dritter Person

Wie steht es nun um die Geltungsreichweite neurowissenschaftlicher Erklärungen? Was lässt sich mit neurowissenschaftlichen Methoden demonstrieren? Einschränkend wird von besonnenen Vertretern der Hirnforschung selbst (so etwa im „Manifest“ elf führender deutscher NeurowissenschaftlerInnen: 2005) angemerkt, dass bedeutende Erkenntnisfortschritte in erster Linie auf der obersten Organisationsebene und im kleinen Maßstab erzielt wurden – also erstens bei der funktionalen Differenzierung von Hirnarealen, deren Zusammenspiel bestimmte psychische Funktionen ermöglicht, und zweitens bei der Struktur- und Prozessanalyse auf dem Niveau einzelner Zellen und Moleküle. Demgegenüber stehe ein Verständnis der konkreten Realisation der psychophysischen Zusammenhänge auf der mittleren Organisationsebene, die das Geschehen innerhalb kleinerer und größerer Zellverbände beschreibt, das letztlich den Funktionen auf der obersten Ebene zu Grunde liegt, weithin noch aus. Ohne diesen „entscheidenden Zwischenschritt“ blieben alle Aussagen über den Zusammenhang zwischen beobachtbaren neuroelektrischen und –chemischen Prozessen und psychischen Leistungen „weiterhin spekulativ“. Um hierüber hinauszugelangen, wird die Hirnforschung v.a. die Untersuchung von neuronalen Prozessen der bisher noch so wenig verstandenen mittleren Ebene, wie sie beispielsweise beim Lernen, beim einsichtigen Lösen von Problemen oder beim Planen von Handlungen vorkommen, in den Mittelpunkt rücken müssen. Noch einmal die Autoren des „Manifests“: „Das ‚Wo‘ im Gehirn, über das uns heute die funktionelle Kernspintomographie Auskunft gibt, sagt uns noch nicht, ‚wie‘ kognitive Leistungen durch neuronale Mechanismen zu beschreiben sind. Für einen echten Fortschritt in diesem Bereich benötigen wir ein Verfahren, das die Registrierung beider Aspekte in einem ermöglicht.“

Voraussetzung für ihre Experimente, die „die räumliche und zeitliche Verteilung von neuronaler Erregung bis auf die Ebene aller beteiligten Neurone in einem Mikroschaltkreis mit bildgebenden Verfahren hoher zeitlicher Auflösung im intakten Nervensystem erfassen“, ist, dass die Versuchstiere bzw. menschlichen Probanden aufgrund nicht behindernder Verfahren ihr natürliches Verhalten zeigen können. Nur so ist es möglich, die „Produktivität und Spontaneität“ ihrer Hirnaktivität beim aktiven Lösen von Aufgaben zu registrieren. Technisch-apparativ ist die Gewinnung einer solchen Einsicht in die Arbeitsweise von Mikroschaltkreisen an die Möglichkeit zu einer detailreichen Modellierung mit Hochleistungsrechnern gebunden.

Vielleicht wird so in den nächsten Jahrzehnten die Hirnforschung tatsächlich „den Zusammenhang zwischen neuroelektrischen und neurochemischen Prozessen einerseits und perzeptiven, kognitiven, psychischen und motorischen Leistungen andererseits soweit erklären können, dass Voraussagen über diese Zusammenhänge in beiden Richtungen mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad möglich sind“, wie es die Verfasser des Manifests prognostizieren. Aber, so räumen sie abschließend ein, ein solcher – denkbarer – Erkenntnisdurchbruch wird „nicht in einem Triumph des neuronalen Reduktionismus enden“.

Der Grund hierfür liegt in einer prinzipiellen Erkenntnisbeschränkung der naturwissenschaftlichen Bewusstseins- bzw. Hirnforschung. Denn selbst wenn irgendwann einmal sämtliche neuronalen Vorgänge aufgeklärt sein sollten, die beispielsweise menschlichem Mitleid oder dem Verliebtsein von Menschen zugrunde liegen, so bleibt die eigenständige Qualität dieser mentalen Zustände dennoch erhalten. Ihre Besonderheit liegt nämlich darin, dass es sich, mit dem Philosophen Thomas Nagel (1974) zu sprechen, „auf eine bestimmte Weise anfühlt“, sie zu haben: Mitleid fühlt sich anders an als Schadenfreude, Verliebtsein anders als Abneigung. Und, um zwei Beispiele für sehr viel subtilere Unterscheidungen verwandter Emotionen anzufügen: Neid erleben wir anders als Eifersucht, Scham anders als Schuld usw. Sich in solchen Bewusstseinszuständen oder ‑lagen aktuell zu befinden, ist etwas anderes als über sie nachzudenken, sich ihrer zu erinnern oder zu glauben, in ihnen zu sein (vgl. Bieri 1997, 173). Und für jeden von uns haben solche Zustände einen je spezifischen Erlebnisgehalt. Diese „Qualia“, so der von Lewis (1929) geprägte philosophische Terminus, bilden das eigentliche Rätsel des Bewusstseins. Das Qualia-Problem verschärft sich noch, bedenkt man das Erleben personaler Einheit und Kontinuität im Strom des Bewusstseins. Die episodischen Zustände unseres Aktualbewusstseins wie Sinnesempfindungen, Vorstellungen, Gefühlsregungen, Bedürfnisspannungen oder volitive Erlebnisse wie Handlungsvorsätze werden ja zusammengebunden durch und sind gebunden an Zustände eines näher als „Ich- oder Selbstbewusstsein“ zu charakterisierenden Hintergrundbewusstseins, zu dem das Erleben der „Meinigkeit“ des eigenen Körpers, der Urheberschaft und Kontrolle der eigenen Handlungen und Bewusstseinsakte sowie der persönlichen Identität und lebensgeschichtlichen Kontinuität gehört.

„Die Neurowissenschaften“, so ist mit Goller (2001) zu schließen, „erforschen die neuronalen Grundlagen des Erlebens, jedoch nicht das Erleben selbst. Wenn die Hirnforschung z.B. heute schon angeben könnte, mit welchen neuronalen Aktivitätsmustern das Erleben von Freude einhergeht, wüssten wir ohne eigene Freudeerlebnisse immer noch nicht, wie es ist, sich zu freuen.“ Und jemand, der ein vollständiges Wissen über die Neuro­biologie beispielsweise des Schmerzerlebens besäße, wüsste immer noch nicht, was ein Schmerz ist, falls er nicht leidvoll erfahren hätte, wie sich Schmerzempfindungen anfühlen. Eine Theorie über Schmerzen, die im Sinne einer ontologi­schen Reduktion sagte, Schmerz „ist“ in Wirklich­keit „nichts als“ ein neuronales Erregungsmuster, würde genau das auslassen, was uns tangiert: den im phänomenalen Bewusstsein oder subjektiven Erleben gegebenen qualitativen Charakter des Schmerzes (vgl. Searle 1994, 117). „Ein Schmerz ist, so scheint es, nicht deshalb ein Schmerz, weil er durch Gewebeverletzungen verursacht wird und seinerseits ein bestimmtes Schmerzverhalten hervorruft [das wäre die Sicht des Funktionalismus, WM], sondern deshalb, weil er auf eine bestimmte Weise – nämlich als schmerzhaft – erlebt wird.“ (Beckermann 1999, 772)  Erlebnisqualitäten lassen sich, wie Searle (a.a.O.) zu recht betont, nicht dadurch erfassen, dass man sie „naturalisiert“, d.h. auf körperliche Phänomene zurückführt: Keine Beschreibung der objektiven, physiologischen Tatsachen kann den subjektiven Charakter des Schmerzes wiedergeben, weil es differente Merkmale sind.

Zwei zentrale Merkmale des bewussten Erlebens wurden vorstehend geltend gemacht: Erstens ist es subjektiv und privat. Sage ich etwa: „Ich freue mich“, dann beziehe ich mich auf mein Erleben der Freude und nicht auf die mit dieser Erlebnisqualität einhergehenden neuro­nalen Gegebenheiten. Während Verhalten, Körper- und Hirnprozesse öffentlich, d.h. objektiv erfassbar und intersubjektiv verifizierbar sind, ist das eigene Erleben direkt nur jeweils mir zugänglich. Nur die betreffende Person selbst kann sagen, was sie erlebt und wie, auf welche Weise und mit welchem nur von ihr selbst empfundenen persönlichen Sinn, sie es erlebt. Zum Erleben anderer Menschen haben wir keinen direkten Zugang, wir können es nicht beobachten (vgl. Searle 1994, 99). Wir gewinnen allerdings indirekt einen Einblick in die Subjektivität der anderen, indem wir auf Grund ihrer Verhaltensweisen, sprachlichen Äußerungen und Ausdruckserschei­nungen auf ihr Befinden schließen. Zudem sind wir anhand des eigenen Erlebens in ähnlichen Situationen und vermittels einer Theorie des Geistes (Bewusstseinstheorie, theory of mind) fähig, uns vorzustellen, was im anderen vorgeht, wenn er sich in einer bestimmten Situation befindet. Sicheres Wissen indes haben wir hierüber nicht: „Die epistemologische Autorität liegt [ungeachtet möglicher Selbstmissverständnisse, W.M.] bei dem, der von seinem Erleben in der ersten Person berichtet.“ (Goller 2002, 7)
Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Die Privatheit und Subjektivität von Bewusstseinsphänomenen im Sinne eines privilegierten epistemischen Zugangs zu unseren je eigenen Erfahrungen anzuerkennen, ist kein Zugeständnis an die Position, Bewusstsein sei reine Innerlichkeit und jeglicher intersubjektiven Zugangsmöglichkeit entzogen. Ein solch idealistischer Solipsismus folgt nur, wenn man die phänomenale Gegebenheitsweise des menschlichen Psychischen überhöht und zur Konzeption eines außerweltlichen (extramundanen) ich-eingeschlossenen Bewusstseins verabsolutiert. Dies verkennt indes sowohl die in der materiellen gesellschaftlichen Praxis der Menschen liegenden Ermöglichungsbedingungen des Bewusstseins als auch die darin geschaffenen gegenständlichen Inhalte, auf die Bewusstseinsphänomene gerichtet sind (die Phänomenologie spricht diesbezüglich von der „Intentionalität“ des Bewusstseins).

Zweitens ist Erleben an eine Perspektive gebunden: Wir erlangen ein Wissen über Bewusstsein durch zwei grundverschiedene Zugangsweisen: aus der Innenperspektive des subjektiven Erlebens, introspektiv oder vom Außenstandpunkt, aus der Beobachterperspektive, z.B. mittels Verhaltensbeobachtung oder Messverfahren der Hirnforschung. Erste-Person- und Dritte-Person-Perspektive lassen sich weder zusammen- noch aufeinander zurückführen. Erlebnisqualitäten sind essentiell mit der subjektiven Perspektive verbunden, die vom Beobachtungsstand­punkt dritter Person aus nicht eingenommen wer­den kann. Erlebnisse sind immer jemandes Erlebnisse. Unser Bewusstsein ist zentriert, sein Mittelpunkt bin je ich selbst als „Intentionalitätszentrum“ (Holzkamp 1983). „Bewusstsein“, so Gollers (2001) Fazit, „hat eine perspektivische Natur, und das müsste Gegenstand jeder überzeugenden wissenschaftlichen Theorie des Bewusstseins sein.“
Kein noch so vollständiges naturwissenschaftliches Wissen über die neurophysiologischen Tatsachen kann jemals ein Wissen vom bewussten Erleben der Person begründen, ihre Erfahrungsperspektive erschließen. Die Hirnforschung ist mit Bezug auf die offensichtlich existierenden nicht-physikalischen Tatsachen epistemologisch doppelt beschränkt: Erstens durch die Unvereinbarkeit der Erste-Person-Perspektive, aus der wir Denken, Fühlen und Wollen phänomenal beschreiben, und der Dritte-Person-Perspektive der naturwissenschaftlichen Beschreibung, in der diese Phänomene gar nicht vorkommen. Und zweitens, weil der geschichtliche Kontext gesellschaftlicher Praxis, in dem die nur scheinbar ich-eingeschlossenen privaten Phänomene „unmittelbarer Erfahrung“ sowohl kommuniziert (und damit intersubjektiver Verständigung zugänglich) als auch überhaupt erst konstituiert werden, sich rein naturwissenschaftlicher Erkenntnis entzieht.

IV. Bewusstsein – ein unauflösliches Rätsel?

Bezüglich zentraler theoretischer Fragen scheinen die Wissenschaften vom Bewusstsein praktisch auf der Stelle zu treten: Wie geht Bewusstsein aus Gehirnprozessen hervor? Bisher ist ungeklärt, wie die Vielfalt der Hirnereignisse so synthetisiert wird, dass sich eine einheitliche bewusste Erfahrung ergibt. Und warum existiert Bewusstsein überhaupt? Was macht es notwendig, dass nicht nur über Hirnprozesse Verhalten reguliert wird, sondern der Mensch, anders als ein Zombie, etwas erlebt und sich als Subjekt seines Handelns er­fährt? Erst wenn wir eine Antwort auf die Frage hätten, wie und warum Hirnprozesse bewusstes Erleben hervorbringen, könnten wir die Erklärungslücke zwischen mentalen Zuständen und ihrem materiellen Korrelat überwinden.

Werden wir das Verhältnis von Geist und Gehirn jemals begreifen? Oder stehen wir, wie der Physiologe Emil Du Bois-Reymond in seiner 1872 auf einer Naturforscherversammlung in Leipzig gehaltenen Rede „Über die Grenzen des Naturerkennens“ erklärte, vor einem unauflöslichen Rätsel („Ignorabimus“)? Ich sehe für den agnostizistische Schluss, dass Bewusstsein aus prinzipiellen Gründen unerkennbar bleiben muss, keine Rechtfertigung – auch wenn zuzugeben ist, dass keine der derzeit als Alternativen zu den reduktionistischen und eliminativistischen Strategien verfügbaren Paradigmen eines nicht-reduktiven Materialismus schon eine befriedigende Erklärung böte: der (systemtheoretische) „Emergentismus“ nicht und auch nicht der in der marxistisch fundierten Kritischen Psychologie zugrunde gelegte, von mir vertretene Ansatz der „Psychophylogenese“.

Die Emergenztheorie bezeichnet als „emergente“ Phänomene solche neuartigen Eigenschaften/Strukturen, die auf der Makroebene eines Systems auftauchen, von dessen Mikrostrukturen gesetzmäßig abhängen, deren einzelnen Komponenten jedoch nicht zukommen und auch nicht auf die Mikroebene der Subsyste­me zurückgeführt werden können (vgl. Bunge 1984). Der Mensch wird demgemäß als offenes, zwei Subsysteme – Soma und Psyche – umfassendes System verstanden, wobei der Körper sich aus biologischen bzw. physiologi­schen Subsystemen zusammensetzt, die ihrerseits aus biochemischen und diese wiederum aus chemischen Subsystemen bestehen. Auch das System Bewusstsein lasse sich als emergente Biofunktion begreifen, die auf den Strukturen des Ge­hirns beruhe, dadurch allein aber nicht erklärt werden könne. Eine vergleichbare Idee wird mit dem Begriff der „Supervenienz“ formuliert (vgl. Davidson 1980; Kim 1993): Mentale Zustände supervenieren über physischen Zuständen: sie sind von ihnen abhängig, d.h. können sich nicht verändern, ohne dass sich physische Gegebenheiten verändern, sind aber nicht auf sie zurückführbar. Dafür, warum eine Struktur von bestimmter Komplexität ein emergentes bzw. supervenientes Phänomen erzeuge, gebe es keine befriedigende Erklärung, die sich aus der Analyse dieser Struktur gewinnen lasse. An der Irreduzibilitäts-These des Emergentismus bleibt allerdings unklar, wie ein Sy­stem, das aus vollständig objektiv beschreibbaren Elementen besteht, essentiell subjektive Eigen­schaften entwickeln kann, die etwas so vollständig anderes sind als alles, was wir auf der Ebene der Gehirnmechanismen antreffen. Der Ausdruck „Emergenz“ dient, so gesehen, lediglich als Bezeichnung für einen nichtverstandenen Vorgang. Analog resümiert Kim (a.a.O., 167f.), dass mit der Rede von der „Supervenienz“ das Körper-Geist-Problem nicht gelöst, sondern allererst gestellt sei. (Vgl. zum Vorstehenden Goller 2002, 11f.; für eine ausführliche kritische Diskussion Beckermann 2008, 203ff.)

Das zweitgenannte Paradigma – die „Psychophylogenese“ -, in dem das Verhältnis von Physischem und Psychischem als ein Entwicklungsverhältnis angegangen wird, überwindet immerhin schon vom Ansatz her eine Grundproblematik, nämlich das psychophysische Problem qua „Körper-Geist“-Problem auf seinen psychophysiologischen (psychozerebralen) Aspekt zu verkürzen und damit den übergreifenden Bezug des Bewusstseins zur Außenwelt zu suspendieren. Wenn ich herkömmliche bewusstseinsphilosophische Erörterungen richtig verstehe, wird darin vielfach versäumt, die entscheidende Doppelfrage der Beziehung des Psychischen bzw. Bewusstseins als des Subjektiven/Ideellen zur außerpsychischen Wirklichkeit und seines Zusammenhangs mit Prozessen des organischen, v.a. nervösen, Substrats, zu stellen. Philosophisch ginge es aber darum, den Gedanken der in ihrer Materialität begründeten Einheit der Welt mit dem Prinzip der Widerspiegelung zu verbinden. Das bedeutet für die einschlägigen Einzelwissenschaften, die Erscheinungen des Psychischen im Entwicklungszusammenhang der natürlichen und gesellschaftlichen Realität zu begreifen. Diesen Kerngedanken möchte ich abschließend noch kurz ausführen.

Zunächst halte ich fest: Der unbezweifelbare phänomenale Charakter des Bewusstseins zieht nicht notwendigerweise den im philosophischen Substanzdualismus implizierten Schluss zweier disparater Wirklichkeiten nach sich. Die ontologische Aufspaltung der Welt ist von einem dialektisch-materialistischen Standpunkt aus ebenso unannehmbar wie reduktionistische Identitätstheorien des Bewusstseins mit ihrer vulgärmaterialistischen Bindung des Materiebegriffs an stoffliche Materievorstellungen. Demgegenüber käme es darauf an, die erkenntnistheoretisch absolute Unterscheidung von Materiellem und Ideellem nicht ontologisch zu hypostasieren, sondern – i.S. eines (wohl-, d.h. dialektisch verstandenen) Monismus der Materie – Psychisches bzw. Bewusstsein als spezielle Existenz- und Bewegungsformen der Materie naturhistorisch herzuleiten, deren Funktion in der Widerspiegelung der objektiven Realität und realitätsangepassten Regulation der praktischen Lebenstätigkeit liegt.

Der Gang dieser naturgeschichtlichen Entwicklung ist hier nicht nachzuzeichnen. Zusammengefasst lässt sich festhalten (vgl. Goller 2001): Zuerst gab es das Universum ohne Leben und Bewusstsein, mit der Biogenese und Evolution des Lebens ordnete sich die Materie immer komplexer an und brachte im Resultat das Bewusstsein hervor. Mit seiner Entstehung bilden sich einem mittelpunktlosen objektiven Universum subjektive Universen: Ich-Zentren mit je eigener Perspektive auf die Welt, an die individuelle Räume des inneren Erlebens gebunden sind, je eigene Erlebniswelten, die ihre eigene Geschichte besitzen.

Ich zitiere unseren im Januar dieses Jahres verstorbenen langjährigen Mitstreiter Volker Schurig, der als Biologe an der naturwissenschaftlichen Fundierung der Kritischen Psychologie und ihrer naturgeschichtliche Entwicklungen systematisch einbeziehenden historischen Methode maßgeblichen Anteil hatte: „Nach der Entstehung des Lebens vor zirka 3 Milliarden Jahren führt ein bestimmter Organisationsgrad lebender Systeme zu einer besonderen psychischen Informationsverarbeitung. Biogenese und Psychogenese sind damit nicht identisch, sondern letztere ist bereits selbst wieder ein besonderes Evolutionsprodukt. Für dieses psycho-physische Übergangsfeld, das ca. 1 Milliarde Jahre zurückliegt, lassen sich besondere biologische Kriterien, wie zelluläre Organisation, Ausbildung spezifischer Membransysteme, Entstehung von Receptor- und Nervenzellen und so weiter, anführen. Wesentlich ist auch, daß nicht alle mehrzelligen Organismen die Fähigkeit der psychischen Informationsverarbeitung besitzen, sondern nur Tiere. Im Evolutionsprozeß erfahren die psychischen Funktionen, die zunächst auf der Grundlage verschiedener Nervensystemtypen entstehen, durch ihre positive (arterhaltende) Anpassungsleistung eine immer weitergehende Komplizierung, die im Tier-Mensch-Übergangsfeld schließlich zur Entstehung des Bewußtseins führt. Die einzelnen Stufen der Höherentwicklung und Veränderung können in der Psychophylogenese als Theorie dieser Entwicklung zusammengefaßt werden.“ (Schurig 1977, 95 )

Eine angemessene ultimateErklärung der Bewusstseinsgenese müsste also auf den aktiven Austausch zwischen lebendigen Organismen und ihrer gegenständlichen Umwelt Bezug nehmen, der die Koevolution von Verhaltenssystemen, ihren psychischen Funktionsaspekten und den korrespondierenden körperlichen Grundlagen vorantreibt und in solchen übergreifenden psycho-physischen Einheiten in je artspezifischer Weise widergespiegelt wird. So betrachtet bilden sich Hirnorgane als morphologisch-funktionale Systeme der Widerspiegelung der äußeren Wirklichkeit heraus. Nur in Verbindung mit diesem „psycho-gnoseologischen“Blickwinkel ist die (mit dem psychophysikalischen bzw. psychophysiologischen Problem der „Transduktion“ aufgeworfene) Frage, wie von einem bedeutungsvollen Objekt ausgehende äußere physikalische Reize in ein physiologisches Signal im Organismus umgewandelt und diese wiederum als Repräsentation einer gegenständlichen Bedeutung im subjektiven Erleben entschlüsselt werden, adäquat gestellt. Und nur in dieser weiteren Perspektive auf die Welt als letzten Ursprung psychischer Phänomene lässt sich die rätselhafte Transformation aufklären.

Was speziell das menschliche Bewusstsein anbetrifft, so ist es gewiss nicht das Gehirn, das es, im strengen Sinne des Wortes, „produziert“, denn Bewusstsein ist auf objektive Bedeutungen gerichtet, die es widerspiegelt. Und die Entwicklung gegenständlicher Bedeutungen, handle es sich nun um natürliche Gegebenheiten oder um in menschlicher Arbeit hervorgebrachte Artefakte, ist ein grundlegender Bestandteil menschlicher Geschichte – für deren Begreifen die Erkenntnismittel der Natur- und im besonderen der Neurowissenschaften nicht gemacht sind.

Ich sagte vorhin, dass die Gegebenheitsweise des unmittelbaren Erlebens als „je meine“ Erfahrung und Befindlichkeit „Subjektivität“ oder „individuelles Bewusstsein“ fälschlich als etwas erscheinen lassen könnte, das objektiven methodischen Zugriffen entzogen sei. Die zentrale wissenschaftliche Aufgabe liegt damit darin, die idealistische Unmittelbarkeitsauffassung des Bewusstseins durch Aufhebung seiner „Isolation“ vom Kontext der Lebenstätigkeit zu überwinden. Das Prinzip der Einheit von Bewusstsein und Tätigkeit, der gesellschaftlichen Vermitteltheit des Bewusstseins im tätigen Lebensprozess der individuellen Subjekte, bildet eine durchgängige methodologische Maxime materialistischer Psychologie. Sie schließt als Voraussetzung eine logisch-historische Rekonstruktion der Psychophylogenese ein, in die Entwicklung des Psychischen als besonderer „subjekthaft“-aktiver Widerspiegelungsbeziehung zur gegenständlichen Realität bis hin zu ihrer „vorläufigen Endform“ als reflexiver Welt- und Selbsterfahrung der in konkreten gesellschaftlichen Lebensverhältnissen engagierten menschlichen Subjekte empirisch überprüfbar konzeptualisiert wird.

Um zum Abschluss Klaus Holzkamp (1983, 538) sprechen zu lassen: „In unseren Kategorialanalysen hat sich ja ergeben, daß ‚mein‘ Standpunkt zwar der Ausgangspunkt meiner Welt- und Selbsterfahrung, aber damit keine unhintergehbare bzw. ‚in sich‘ selbstgenügsame Letztheit“ sondern „als Ausgangspunkt meiner eigenen Erfahrung seinerseits der Endpunkt einer phylogenetischen bzw. gesellschaftlich-historischen Entwicklung ist, durch welchen er selbst als Aspekt des materiellen gesellschaftlichen Lebensgewinnungsprozesses erst notwendig und möglich wurde: als Charakteristikum der bewußten ‚Möglichkeitsbeziehung‘ von Individuen zu gesellschaftlichen Verhältnissen bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit ihrer Existenz.“

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