Veröffentlicht in: Brenssell, Ariane / Weber, Klaus (Hrsg.). Störungen. texte kritische psychologie 4, Hamburg: Argument-Verlag, 90-122. Christian Küpper in Störungen (2. Aufl.)
Christian Küpper
Einleitung
Die Erfahrungen Psychiatriebetroffener und ihr sich erarbeitetes Wissen sind für die Ausgestaltung psychiatrischer Wissenschaft und Praxis seit Anbeginn der Herausbildung derselben im 19. Jh. nur von nachrangiger Bedeutung. In Forschung und in Praxis gilt eine strikte Trennung zwischen den Professionellen und den wahlweise Betroffenen, Leidenden, Hilfesuchenden, Nutzenden, Ver-rückten, Wahnsinnigen, Exkludierten, Klient_innen, psychisch Gestörten bzw. Kranken. Diese Trennung – herrschafts- und machtförmig strukturiert – weist den beteiligten Akteur_innen grundsätzlich verschiedene Gestaltungs- und Entscheidungsräume zu; sie bewertet den Erkenntnisgehalt deren Erfahrungen und bestimmt den Geltungsbereich deren Wissen verschieden. Die Professionellen sind die eigentlichen Subjekte der psychiatrischen Ordnung. In überlieferten Bildern, die auch heute noch oft und in zum Teil modifizierter Gestalt Gültigkeit beanspruchen, urteilen sie über die, die sich in ihrer Obhut befinden. Sie dokumentieren, sie beobachten, sie generieren Wissen, sie theoretisieren, sie deuten aus, sie stellen fest, sie sprechen wahr, sie entwickeln Technologien, sie diagnostizieren, sie forschen nach, sie halten fest, sie lähmen, sie sperren weg, sie behandeln, sie wissen es besser. Die, die ungewollt oder gewollt mit der psychiatrischen Ordnung in Kontakt kommen, werden darin hingegen mittels psychiatrischer Deutungsmuster Dingen angeähnelt: Sie sind psychisch krank oder gestört, ihre Handlungen und Erfahrungen anormal und determiniert, defekt und nicht selten Folge behaupteter somatischer Verursachungskomplexe. Sie werden kontrolliert und pathologisiert, sie werden in Jacken und Objektrollen gezwängt, sie werden zum Ziel psychiatrischer Interventionstechnologien. Gespräche, die diesen Namen verdienen, finden nicht statt. Von Subjekt zu Objekt spricht es sich bekanntermaßen nicht gut.
überarbeitet und übersetzt:
ins Englische von Lisa Cerami in: Annual Review of Critical Psychology, 2019, Vol. 16, pp. 353-373. Christian Küpper in ARCP (extern)
ins Türkische von Ebru Ergün & Can Önalan in: Psikoloji ve Toplum, Sayı 09 (Mart 2020). Christian Küpper in Psikoloji ve Toplum