Sozialpsychiatrie im Gegenwind. Ein Interview

Artikel von Heiner Keupp in Forum Kritische Psychologie 51 (2007).

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Zusammenfassung

Die aktuellen Veränderungen in der psychosozialen Versorgungslandschaft sind widersprüchlich: Einerseits sind heute viele Grundideen der Sozialpsychiatrie und Gemeindepsychologie – Selbstbestimmung und Partizipation der Betroffenen, Inklusion statt Ausgrenzung – im professionellen Selbstverständnis und in ‚Betreuungs’-Konzepten etabliert. Andererseits sind Praktiker zunehmend mit den Instrumenten neoliberaler Sozial- und Gesundheitspolitik konfrontiert, die mit der gleichen Begrifflichkeit auf eine Ökonomisierung der Versorgungsstrukturen zielen. Anhand von „Empowerment“, „aktivierender Sozialpolitik“ und „bürgerschaftlichem Engagement“ thematisiert Heiner Keupp im Interview diese Vereinnahmung ebenso wie den aktuellen medizinischen Roll-back und Möglichkeiten neuer Bündnisse.

Summary: Reform psychiatry – Contestations. An Interview

Contemporary changes in the systems of psycho-social care are contradictory. On the one hand basic ideas of community psychology and reform psychiatry, i.e. self-determination and participation of the patients, inclusion instead of exclusion, have been established as well in conceptions of professionality as in concepts of care. On the other hand practitioners are increasingly faced with concepts of neoliberal politics of health that use the same terms but aim at establishing a business paradigm in the systems of health care. In the interview Heiner Keupp discusses how the concepts of “empowerment”, “activation social policy” and “civic engagement” were hijacked by neoliberal policies as well as possibilities of new coalitions.

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Der marktwirtschaftliche Überfall auf die Psychiatrie. Zum Vorrücken des neoliberalen Zeit- und Sprachregimes

Artikel von Erich Wulff in Forum Kritische Psychologie 51 (2007).

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Zusammenfassung

Die Beziehungen zwischen „Kunden“ und „Anbietern“ vorspiegelnde Sprachpoli­tik in der Psychiatrie ist Teil eines neoliberalen Vorstoßes, der das psychiatrische Tätigkeitsfeld umwälzt. Forderten die Betroffenen im Zuge der Psychiatriereformbewegung Bürgerrechte ein, finden sie sich nun als Akteure eines universellen Warentauschs angesprochen. Zwar werden ihnen Kaufrechte zugesprochen, doch werden die Versorgungsleistungen im gleichen Atemzug durch den Warencharakter der ärztlich-therapeutischen Leistungen beschnitten. Durch Budgetierung und einzelfallbezogene Dokumentation von Zuwendungszeiten werden Patienten klassifiziert und Therapiezeiten rationiert. Kontrolle, Transparenz und Qualität dienen v.a. der Profitsicherung statt dem Patienten. Sich dagegen zu verweigern könnte mit der Verschwendung von Zuwendung beginnen.

Summary: Corporate Attacks on Psychiatry. On the Advancement of Neoli­beral Regulations of Time and Language

Speaking of “clients” and “providers” in psychiatry is part of a neoliberal advance­ment to revolutionize the practice of psychiatry. Whereas the movement to reform psychiatry asked for civil rights the people who seek psychiatric help today find themselves addressed as actors in a universal exchange of commodities. They are assigned the rights of customers but at the same time the benefits are cut down in the process of commodification of medical services. Personal Budgets and case-related documentation of the time required for care classify patients and ration the lengths of therapy. Control, transparency and quality after all serve to secure profits and do not serve the patient. To resist this process could mean to start wasting care/time.

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Forum Kritische Psychologie 51

Sozialpsychiatrie / Persönliche Assistenz / Empowerment / Beschäftigungsverhältnisse in der Sozialen Arbeit / Evaluationsforschung / Erinnerungsarbeit

Inhalt

Editorial

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Erich Wulff
Der marktwirtschaftliche Überfall auf die Psychiatrie. Zum Vorrücken des neoliberalen Zeit- und Sprachregimes

Heiner Keupp
Sozialpsychiatrie im Gegenwind. Ein Interview

Ulrike Eichinger
Der neoliberale Wandel (psycho-)sozialer Praxis aus der Perspektive der Beschäftigten. Zwischenergebnisse einer qualitativen Befragung

Michael Zander
Selbstbestimmung, Behinderung und Persönliche Assistenz – politische und psychologische Fragen

David Vossebrecher und Karin Jeschke
Empowerment zwischen Vision für die Praxis und theoretischer Diffusion

Gesa Köbberling und Vanessa Lux
Evaluationsforschung zwischen „Ökonomisierung des Sozialen“ und Praxisreflexion

Jochen Kalpein
Praxis – neue Phalanx subjektwissenschaftlicher Theorieentwicklung? Oder: “The greatest act can be – One little victory” (Werkstattpapier)
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Morus Markard
„Kollektive Erinnerungsarbeit“ – eine subjektwissenschaftliche Methodenkritik am Beispiel eines „Werkstattberichts“ von Carstensen, Haubenreisser und Haug (FKP 49)

Frigga Haug
Keine Erwiderung

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Michael Zander
Arbeitslosigkeit, Austromarxismus und Psychologie. Zum 100. Geburtstag Marie Jahodas

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Autorinnen und Autoren

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Macht Erfahrung klug? Subjektwissenschaftliche Überlegungen zum Verhältnis von subjektiver Erfahrung und wissenschaftlicher Verallgemeinerung

Veröffentlicht in: Journal für Psychologie Jg. 15 (2007), Ausgabe 3. Verfügbar über: Morus Markard in JfP 2007

Morus Markard

Zusammenfassung

Gegenüber dogmatischen Setzungen kommt der »Erfahrung« seit der neuzeitlichen Wissenschaft ein (ideologie-) kritisches Motiv zu. Der Bezug auf Erfahrung kann aber auch dazu dienen, Kritik an Praxis abzuwehren. Dieses Problem wird unter den Aspekten des Verhältnisses von Begriffen und Erfahrung und des Verhältnisses von Unmittelbarkeit und Vermitteltheit von Erfahrung diskutiert. Schließlich werden methodologische Aspekte eines subjektwissenschaftlichen Erfahrungsbegriffs erörtert, mit dem der Offizialdiskurs der nomothetischen Psychologie unterminiert und der Weltbezug von Leiden und Therapie unumgänglich wird.

Schüsselwörter: Erfahrung, Kritische Psychologie, Subjektwissenschaft, Praxisforschung, Methodologie, Therapie

Summary

Since modern science and when compared to dogmatic assertions »experience« inheres a (ideology-) critical motive. But the reference to experience can also serve to discourage criticism of practice. This problem is discussed with respect to the relation between concepts and experience and to the relation between immediate und socially mediated aspects of experience. Finally, methodological aspects of a subject scientific concept of experience are discussed, with which the official discourse in nomothetic psychology is undermined and the connection of suffering and therapy to life conditions is inevitable.

Keywords: Experience, critical psychology, subject science, practice research, methodology, therapy

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Volkmar Weiss: Das „Türkenproblem“ oder die Angst vor der Degeneration der Bevölkerung

Von Kritische Psychologie Marburg

Volkmar Weiss (geb. 1944 in Zwickau) beschäftigt sich vorwiegend mit Demographieprognosen und der Vererbung von Intelligenz und entwickelte ein Modell, wonach sich die Intelligenz nach einem intermediären Erbgang vererbt (wie bei den roten, rosa und weißen Blüten bei Mendel). Aus dem Modell ergeben sich drei Genotypen und drei sich überlappende Normalverteilungen, anhand derer er u.a. die biologische Basis der Dreiklassengesellschaft erläutert.

1969 begann Weiss als Diplombiologe mit der Erforschung von Mathematik-Hochbegabten in der DDR. Ab 1977 war er auch in der Bildungssoziologie und ab 1984 in der Forschung für Regionalgeschichte tätig. 1990 wurde er Leiter der Deutschen Zentralstelle für Genealogie (Ahnenforschung) in Leipzig, seit 1995 lehrt er als Privatdozent.

Weiss war einer der Gründungsmitglieder der im Januar 1990 gegründeten Deutschen Sozialen Union (DSU). Im Juni 1990 trat er der CDU bei, die er jedoch 1993 verließ. Im März 2005 wurde er von der Landtagsfraktion der NPD als externer Experte für die Enquete-Kommission Demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen für die Lebensbereiche der Menschen im Freistaat Sachsen sowie ihrer Folgen für die politischen Handlungsfelder vorgeschlagen. Diesen Posten hatte er bis Januar 2006 inne. Außerdem hat er in der Vergangenheit in zahlreichen rechtextremen Zeitungen und Zeitschriften publiziert.

IQ-Falle und Pisa Studie

Mit Die IQ-Falle (2000) hat Weiss das deutsche Äquivalent zu The Bell Curve von Richard Hernstein und Charles Murray (1994; Flyer hierzu nächste Woche) verfasst. Auf seiner Homepage schreibt er: „Als ich mich mit dem Gedanken trug, die ersten drei Teile von The Bell Curve ins Deutsche zu übersetzen, war es Hans-Jürgen Eysenck, der mich 1995 bei unserer letzten persönlichen Begegnung in Warschau aufforderte, ein eigenes und originelles Buch zu dieser Thematik zu schreiben, da ich das Zeug dazu hätte.“ In dem Buch entwickelt Weiss die Idee , wenige „Hauptgene“ seien für die Intelligenz verantwortlich, da diese Annahme gut mit dem g-Faktor-Modell übereinstimmt (siehe Spearman-Flyer). Vereinfacht geht das darausfolgende Modell davon aus, dass es ein Intelligenzgen und drei mögliche Genotypen gibt, von denen die intelligente M1M1-Allelkombination die Elite der Gesellschaft darstellt (mittlerer IQ von 130), die M1M2-Kombination die Mittelschicht (mittlerer IQ um 112) und die M2M2-Kombiantion die Unterschicht und Arbeiter (mittlerer IQ von 94). In dem Abschnitt „Dreierlei Mensch braucht die Maschine“ verteilt er die einzelnen Menschen nach ihrem Genotyp auf Berufsgruppen. Weiss wiederholte hier den Fehler von Francis Galton (vgl. Galton-Fyler), auf den er sich ausdrücklich beruft und seine Ergebnisse zitiert: Er glaubt von dem Beruf und Schulnoten auf den Intelligenzquotienten schließen zu können.

Aus diesem Modell ergibt sich nicht eine Normalverteilung, sondern es ergeben sich drei überlappende Normalverteilungen, bei denen 68% der Bevölkerung den M2M2 Genotyp vorweisen, 27% den M1M2 und 5% den M1M1. Dem nach sind die Nachkommen aus M2M2 und M2M2 wieder M2M2, die Nachkommen von zwei M1M1-Genotypen wieder M1M1. Die Kinder von einem Elternpaar mit jeweils M1M2 haben nur zu 50% auch einen M1M2-Genotyp und zu je 25% einen M1M1- oder M2M2-Genotyp. Hieraus erklären sich nicht nur die Vorzüge eines dreigliedrigen Schulsystems, sondern auch die nicht abschaffbare Dreiklassengesellschaft, die sich jedoch biologisch bedingt revolutionieren kann, wenn die „Hochintelligenten“ aus der Mittelschicht aufsteigen wollen.

Weiss zufolge hängt es von dem jeweiligen Genotyp eines jeden Menschen ab, welchen Beruf und gesellschaftliche Position er einnehmen kann. Daraus folgt für ihn auch, dass die IQ-Unterschiede in verschiedenen Regionen und Staaten die Ursachen für das wirtschaftliche Wohlergehen, Arbeitslosigkeit etc. sind. Bei diesem Vorgehen setzt Weiss Korrelationen mit Kausalzusammenhängen gleich, obwohl die Korrelationen in ihrer Wirkrichtung auch umgekehrt interpretiert werden könnten.

Als große Testreihe zur Feststellung der IQ-Unterschiede zwischen verschiedenen Nationen zieht Weiss die Pisa-Studie heran: „Die PISA-Tests messen zwar auch sehr genau den IQ, die Begriffe Intelligenz und IQ tauchen aber in den Berichten kein einziges Mal auf. Menschen, die von Natur aus, wegen ihrer Gene, klüger sind als andere, gibt es nicht, darf es nicht geben. Es gibt auch keine Dummen mehr, sondern nur Bildungsarme und Bildungsferne. Die Begriffe suggerieren, daß sich dieser Zustand mit mehr Schule und Bildungsaufwand beseitigen läßt.“ ( Weiss , 2007) Daran glaubt er nicht, für ihn geben die Ergebnisse eines Schultests Auskunft über die genetische Wertigkeit einer Person oder ganzer Nationen. An anderer Stelle schlägt Weiss vor von den Schulnoten auf den IQ zu schließen, indem man die Mathematiknote vierfach gewichtet. Eine Begründung für dieses Vorgehen liefert er nicht. Die Pisaergebnisse hat jedoch der Psychologe Richard Lynn umgerechnet, der dafür plädiert, „dass man unfähigen Gesellschaften erlauben muss, auszusterben“, damit meint er wohl, Afrika verhungern zu lassen. Neben nationalen Unterschieden gibt es bei Weiss auch „rassentypischen“ Unterschiede in den IQ-Mittelwerten und im Sozialverhalten: „Wenn auch für soziale Kasten, wie für die Neger in den USA, die Zigeuner in Europa und die Buraku in Japan, ein mittlerer IQ von etwa 85 typisch zu sein scheint, so gibt es doch im Sozialverhalten sehr große Unterschiede. Sind bei den Negern der USA Mütter mit unehelichen Kindern und Väter, die sich aus dem Staub machen, häufig, so haben die Zigeuner hingegen ein eindrucksvolles, noch sehr patriarchalisch geprägtes Familienleben. Die Männer der Zigeuner sorgen für ihre kopfstarken Familie.“ ( Weiss, 2000, S.205).

Bedrohung der Deutschen durch Türken und Sozialhilfeempfänger

Volkmar Weiss diagnostiziert „eine weltweite dysgenische Entwicklung, ein weltweites Absinken des genotypischen IQ“ ( Weiss, 2007). In Bezug auf Deutschland befürchtet er vor allem eine „Überfremdung“ durch die „Türken“, die nach seiner Einschätzung genetisch bedingt weniger intelligent sind und sich jedoch stärker fortpflanzen. In Bevölkerungspolitik als Grundlage von Staat und Volk schreibt er:

„Die PISA-Studie hat zweifelsfrei belegt, daß die bei uns eingewanderten Türken nicht nur weniger qualifiziert sind, sondern auch einen durchschnittlichen IQ von nicht höher als 85 haben. An den höheren Bildungseinrichtungen sind die Einwanderer, insbesondere die aus der Türkei, nur halb so stark vertreten, wie ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Aber sie sind vertreten! Und nun rechnen Sie einmal bitte, und es ist eine ganz einfache Rechnung: Schon ab dem Jahre 2010 werden die Einwanderer in den westdeutschen Großstädten die Bevölkerungsmehrheit in der aktiven Bevölkerungsgruppe stellen, das ist die demographische Prognose. Ein Deutscher in Frankfurt am Main und in Düsseldorf wird bald Angehöriger einer nationalen Minderheit sein. Hat sich an der Bildungsbeteiligung der Einwanderer bis dahin nichts Wesentliches geändert, dann stellen sie ab dieser Zeit – also ab 2010 – bereits ein Viertel der geistigen Elite … in Deutschlands Großstädten. Und hält der seit etwa 1970 bestehende Trend von gegenüber den Deutschen bis zu doppelt so hohen Kinderzahlen bei den Einwanderern und weiterer Einwanderung an, dann sind etwa 2040 die Anteile der von den Deutschen und den Einwanderern gestellten Anteile an den Abiturienten zahlenmäßig gleich, d.h. aus den Mittelschichten der Einwanderer erwächst ihre eigene Elite. Und spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die demographische Krise der europäischen Völker in einen Kampf um ihre nationale Existenz übergehen …“ (Weiss, 2004).

Worum geht es Weiss in diesem und anderen Beiträgen? Weiss geht es vor allem darum, dass die deutschen, intelligenten Mütter zu wenig Kinder bekommen, die Türken Deutschland „überfremden“ („Ruhrgebiet ein autonomes Gebiet mit türkischer Staatssprache“ ( Weiss, 2003b), dass wie bei der „Überfremdung“ durch die Juden ein „Konfliktpotential“ (ebd.) entstehe, was quasi zwangsläufig zur Verfolgung und Vertreibung der Minderheit führt. Um das zu belegen, zitiert er den „vorausschauenden“ Antisemiten und Nationalliberalen Heinrich von Treitschke , der schon frühzeitig vom „Judenproblem“ sprach. Von Treitschke stammt der Satz „Die Juden sind unser Unglück“ (1879), der später das Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. In Bezug auf die in Deutschland lebenden Türken fragt Weiss : „Wann wird der kritische Punkt erreicht, von dem ab die Zeichen unwiderruflich auf Krieg, Bürgerkrieg und Vertreibung des einen Bevölkerungsteiles deuten, auch wenn der Ausbruch von blutigen Auseinandersetzungen noch Jahrzehnte auf sich warten lassen kann? Wie viele Jahrzehnte ist dann noch Zeit?“ (ebd.). Vertreibung und Verfolgung sind sozusagen die natürliche Reaktion eines von „Überfremdung“ bedrohten Nationalstaates und um das zu verdeutlichen schreibt Weiss weiter „Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich Niederländer, Dänen, Tschechen und Schweizer durch außereuropäische Einwanderer allmählich aus ihrer Heimat verdrängen lassen, ohne nicht von einem bestimmten Punkte an energischen Widerstand zu leisten“(2004). Zu Ende des Artikels versucht Weiss seine Türkenfeindlichkeit zu relativieren: „Wir haben nichts gegen Ausländer, aber wir haben etwas gegen Unländer. Unländer sind Personen, die nicht bereit oder nicht fähig sind, ehrlicher Arbeit nachzugehen und die nicht bereit sind, unsere Sprache zu lernen, wenn sie hier leben wollen. Unländer sind auch Deutsche, die drogensüchtig sind und die ihren Lebensunterhalt durch kriminelle Handlungen erlangen. Wir geben offen zu: Wir haben etwas gegen Unländer. Und wir wollen von ihnen möglichst wenige im Land haben.“ Was hier zum Ausdruck kommt, ist die Verurteilung aller in den Augen des Eugenikers Minderwertigen, die bei Galton und anderen Eugenikern auch schon zu finden ist. Die eigene Bevölkerung wird als bedroht wahrgenommen, sowohl vom „äußeren Feind“, den Ausländern oder fremden „Rassen“ als auch vom „inneren Feind“, den Drogensüchtigen, Kranken, Armen, Kriminellen und Behinderten im eigenen Land, die es gilt an der Fortpflanzung zu hindern, auszugrenzen, zu vertreiben oder wie unter den Nationalsozialisten zu vergasen.

Dahinter steht die Angst vor einer Degeneration (Entartung) der Bevölkerung, die in der Eugenik und biologischen Intelligenzforschung seit Galton Tradition hat, der zu seiner Zeit eugenische Maßnahmen gegen die überproportionale Vermehrung der „genetisch minderwertigen“ Arbeiterklasse einforderte (vgl. Galton-Flyer). Auch der kanadische Psychologe Philipp Rushton greift die Argumentation mit der negativen Korrelation zwischen Intelligenz und Fertilität wieder auf, indem er bei Schwarzen einen höheren Testosteronspiegel, mehr sexuelle Aktivität und längere Geschlechtsteile diagnostiziert und gleichzeitig niedrigere IQ-Werte und kleineres Hirnvolumen misst (sehr fragwürdige Datenerhebung etc., vgl. Cernovsky, 1997). Das Argument, dass die Gesellschaft degeneriere, wenn das minderwertige Erbgut nicht an der Fortpflanzung gehindert werde, ist im konservativen und rechtsradikalen Gedankengut tief verwurzelt.

Da mag es kaum verwundern, dass Weiss der Deutschen Stimme (NPD) 2004 ein Interview zum gleichen Thema gab, für die rechtskonservative Zeitung Junge Freiheit und die Zeitschriften Deutschland in Geschichte und Gegenwart, und die Deutsche Annalen schreibt und Texte in der Deutsche Studiengemeinschaft und der Gesellschaft für Freie Publizistik veröffentlicht, die alle zum rechtextremen Spektrum gehören. Des Weiteren ist Weiss Mitherausgeber der als rassistisch eingestuften pseudowissenschaftlichen Zeitschriften The Mankind Quarterly und der Nouvelle Ecole. In Marburg hielt Weiss einen Vortrag bei der Burschenschaft Rheinfranken zum Thema DieDeutschen sterben aus. In der Einleitung stellte er die Frage, was denn nach der Demokratie komme und gibt darauf die Antwort, indem er auf den „gesetzmäßigen“ Zyklus Monarchie – Aristokratie – Demokratie verweist (der Vortrag ist 2007 unter dem Titel Bevölkerungsqualität: Der demographische Übergang in den Untergang in die Deutsche Annalen erschienen). Nach der Demokratie folgt also die Monarchie, wo ein Herrscher/Diktator die Macht übernimmt. Dass Weiss gegen seine „unausweichliche“ eigene Prognose nichts einzuwenden hat, liegt nahe, denn im Interview mit der Deutschen Stimme lobt er die Nationalsozialisten für ihre eugenische Politik: „In der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 war es in Mitteleuropa erstmals zu einem Geburtenrückgang gekommen, der 1932 schon das seither niedrige Niveau von 1973 ahnen ließ. Die nationalsozialistische Regierung reagierte sofort und 1939 wurde wieder die Zahl von etwa zwei Geburten pro Frau erreicht. Politisch hatte man sich zwar viel höhere Ziele gesteckt, aber immerhin, man war nicht erfolglos“.

Literatur:

Cernovsky, Z. Z . (1997). Psychowissenschaftliche “Rassen”-Forschung der Gegenwart. In Mecheril & Teo (Hg). Psychologie und Rassismus (S.73-92) . Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Treitschke, H. (1879). Unsere Aussichten. Preußische Jahrbücher, 44 , 559-576. Berlin: G. Reimer Verlag.

Weiss, V.(2000). Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik. Graz : Leopold Stocker Verlag.

Weiss, V.(2003b ). Wann schlägt eine demographische Krise in eine nationale Existenzkrise um? Schriftenreihe der Deutschen Studiengemeinschaft , 3, 47-65.

Weiss , V. (2004): Bevölkerungspolitik als Grundlage von Staat und Volk. In Die neue Achse. Europas Chancen gegen Amerika (Bd. XX, S.11-29). München: Gesellschaft für Freie Publizistik.

Weiss, V. (November 2004). Bevölkerungsimplosion und Intelligenzverfall. Der Humangenetiker Dr. Volkmar Weiss über die Bevölkerungspolitik in DDR und BRD. Interview in Deutsche Stimme.

Weiss, V. (2007). Bevölkerungsqualität: Der demographische Übergang in den Untergang.Deutsche Annalen. Jahrbuch des Nationalgeschehen, 36, 7-50.

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The Bell Curve – Inequality by design

IQ und Soziales

Von Kritische Psychologie Marburg

Seit Mitte der 1970er Jahre bis mindestens in die Mitte der 1990er Jahre hinein ist in den USA folgendes Phänomen zu beobachten gewesen: Die 20 % Bestverdienenden erfreuten sich eines kontinuierlich steigenden durchschnittlichen Jahreseinkommens, während die unteren 20 % der Einkommensverteilung einem beginnenden Einbruch des Durchschnittseinkommens entgegensahen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Mittelklasse stagnierte während dieses Zeitraums.

Eine „wissenschaftliche“ Erklärung dieser zunehmenden ökonomischen Ungleichheit der Einkommensklassen wurde von Richard Herrnstein und Charles Murray in ihrem 1994 veröffentlichten und intensiv diskutierten Buch „The Bell Curve“ vorgeschlagen. Sie analysierten die Daten einer umfassenden Längsschnittstudie zu den Lebensverläufen amerikanischer Jugendlicher im Zeitraum von 1979 bis 1990 (der „National Longitudinal Survey of Youth“, kurz NLSY) und kamen zu einem interessanten Ergebnis: Kontrastierte man den soziökonomischen Status (SES) des Elternhauses der Teilnehmer mit deren allgemeiner Intelligenz, erklärte letztere den größeren Varianzanteil in verschiedenen Indices des „Lebenserfolgs“ (z. B. in der im Skript erwähnten Wahrscheinlichkeit, unterhalb der Armutsgrenze zu leben). Die Intelligenz sagte also den späteren „Lebenserfolg“ besser vorher als die familiäre Umwelt der Teilnehmer (operationalisiert durch SES).

Herrnstein & Murray argumentierten nun, dass die zunehmende Ungleichheit zwischen den sozialen Klassen in erster Linie eine Manifestation von Intelligenzunterschieden sei. In einer freien Marktwirtschaft träten diese offen zutage, da Leistung belohnt werde, welche wiederum hauptsächlich durch „a persons capacity for complex mental work“ (Herrnstein & Murray, zit. nach Fischer et al., 1996) – also ihre Intelligenz – bestimmt sei. Da nun Intelligenz aber erblich sein soll, nahmen Herrnstein & Murray an, dass sich Intelligenzunterschiede zwischen Gruppen und damit Klassenunterschiede durch sog. selektive Partnerwahl (also Partnerwahl bevorzugt auf vergleichbarem Intelligenzniveau) weiter verschärfen würden und schließlich durch die selektive Häufung „guter“ Gene eine „kognitive Elite“ entstehen müsse. Die Beobachtung, dass die Schere zwischen verschiedenen Einkommensklassen in den USA immer weiter aufklaffe, sei letztlich nichts anderes als der sichtbare Effekt der zunehmenden „kognitiven Schichtung“ der Gesellschaft und somit naturgegeben.

Über diese Erklärung hinaus entwarfen Herrnstein & Murray ein konkretes politisches Programm zum Umgang mit zunehmender Ungleichheit. Alle Versuche, die zunehmenden Klassenunterschiede durch politisches Handeln (wie z. B. Schulreformen) zu bekämpfen seien zum Scheitern verurteilt, da diesen Unterschieden eben Fähigkeitsunterschiede zugrunde lägen, die aufgrund ihrer genetischen Determiniertheit nicht zu beseitigen seien. Stattdessen schlugen die Autoren eine Politik vor, die die naturgegebenen Unterschiede nicht zu beseitigen versucht, sondern sich mit dieser „wissenschaftlich erwiesenen“ Realität abfindet. Sie forderten eine Politik, in der Förderung den Begabten zukommt und nicht an diejenigen verschwendet wird, deren genetische Ausstattung einen Erfolg von vornherein ausschließt (wobei sie stillschweigend Erblichkeit mit Unveränderbarkeit gleichsetzten, zum Denkfehler in dieser Argumentation vgl. z. B. Lewontin et al., 1988). Außerdem plädierten sie für vereinfachten Zugang zu Verhütungsmitteln, ein Strafrecht, in dem Vergehen und Strafe erkennbarer aufeinander bezogen sind, für ein Familienrecht, in dem die Ehe eine Voraussetzung für den Anspruch auf elterliche Rechte ist und dergleichen mehr.
<h2Methodisches

Fischer et al. (1996) unterzogen die Daten von Herrnstein & Murray einer Reanalyse. Hierbei bemerkten sie substantielle Fehler. Erstens wurde die Umwelt der Teilnehmer unzureichend operationalisiert: Herrnstein & Murray verwendeten lediglich das Durchschnittseinkommen der Eltern über zwei Jahre, den Beruf des „Haushaltsvorstands“ sowie das Ausbildungsniveau beider Elternteile. Letzteres wurde denkbar grob über die Ausbildungsdauer in Jahren erfasst. Diese vier Variablen wurden unnötigerweise zu einem Index des SES zusammengefasst und dabei vermeintlich gleich gewichtet. Bei separater Analyse der vier Variablen zeigte sich, dass das elterliche Einkommen (trotz der Tatsache, dass es nur über zwei Jahre erfasst worden war) einen starken Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hatte unterhalb der Armutsgrenze zu leben, während das elterliche Ausbildungsniveau kaum eine Rolle spielte. Durch die Zusammenfassung einer erklärungsmächtigen mit fast bedeutungslosen Variablen geht im Endergebnis der Beitrag der ersteren unter.

Darüber hinaus wurden die vier Variablen durch einen methodischen Fehler eben nicht gleich gewichtet. Bei vielen Teilnehmern fehlten nämlich die Angaben zum elterlichen Einkommen. Herrnstein & Murray setzten in solchen Fällen einfach den aus den vorhandenen Daten errechneten Mittelwert ein. Durch dieses Vorgehen ergibt sich jedoch eine Einschränkung der Varianz, die umso stärker ausfällt, je mehr Daten dem Mittelwert gleichgesetzt werden. Eine Variable, die kaum mehr Varianz aufweist, kann nicht mit anderen Variablen korrelieren, wie sich aus der Formel r = s xy/s x * s y ergibt. Die Angaben zum elterlichen Ausbildungsniveau wiesen deutlich weniger Lücken auf, wodurch die Varianzeinschränkung hier geringer ausfiel. Dadurch wurde das elterliche Einkommen im Index des SES geringer gewichtet als das elterliche Ausbildungsniveau, obwohl es einen deutlich stärkeren Erklärungswert besitzt.

Des Weiteren wurden wichtige Umweltvariablen nicht in die Analyse aufgenommen, obwohl sie Herrnstein & Murray vorlagen. So wurden beispielsweise Charakteristika der von den Teilnehmern besuchten Schulen außer Acht gelassen. Betrachtet man die beschriebenen methodischen Probleme, wird klar, dass ein derart schlecht operationalisiertes Umweltmaß keinen nennenswerten Erklärungswert haben kann. Folgerichtig ergab die Reanalyse nach Korrektur dieser Fehler ein ganz anderes Bild: Der berichtigte und komplettierte Umweltindex erklärte nicht weniger, sondern mehr Varianz auf als die Intelligenz der Teilnehmer (in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, unterhalb der Armutsgrenze zu leben).

Der wirklich gravierende Kritikpunkt an „The Bell Curve“ liegt jedoch in der Operationalisierung der allgemeinen Intelligenz. Den Teilnehmern der NLSY wurde der „Armed Forces Qualifying Test“ (AFQT) vorgelegt, also ein Test zur Feststellung der Eignung für die Tätigkeit in der Armee. Dieser Test sollte in erster Linie die mathematischen und Lesefertigkeiten erfassen. Aus diesem Test griffen sich Herrnstein & Murray die vier Subskalen „Mathematisches Schätzen“, „Wortkenntnis“, „Textverständnis“ und „Mathematisches Wissen“ heraus. Schon aus den Bezeichnungen dieser Skalen geht hervor, dass der AFQT Fertigkeiten erfasst, die in der Schule gelehrt werden. Dieser Eindruck verstärkt sich durch Betrachtung von Itembeispielen, die in „The Bell Curve“ selber auffälligerweise nicht zu finden sind. Des Weiteren steigert in der NLSY-Stichprobe jedes absolvierte Schuljahr den AFQT-Score um ca. 3,5 IQ-Punkte (Neal & Johnson, 1994, zit. nach Fischer et al., 1996; vgl. auch Folie 78 im Skript).

Nun kann man zwar die Ansicht vertreten, dass es eine Art „Denkfähigkeit“ gibt und dass diese neben anderen Faktoren wie der Qualität des Unterrichts eine Rolle dabei spielt, ob eine Person die ihr in der Schule vermittelten Inhalte versteht und verinnerlicht. Aber Herrnstein & Murray tun mehr, indem sie eine Abfrage von Schulwissen als Intelligenztest deklarieren: Sie behaupten, dass die vermeintliche Folge der Intelligenz (das Ausmaß der in der Schule gelernten Inhalte) identisch mit der Eigenschaft selber sei.

Die Messung von Schulbildung und gleichzeitige Behauptung, eine genetisch determinierte Persönlichkeitseigenschaft zu erfassen, stellt den zentralen Denkfehler in der Argumentation von „The Bell Curve“ dar. Im Begehen dieses Fehlers unterscheiden sich Herrnstein & Murray nicht von anderen Vertretern der psychometrischen Intelligenzkonzeption. Während Alfred Binet, der Begründer der Intelligenztestung, davon ausging, dass seine Tests eine durch Förderung veränderbare Größe messen, die eng mit Schulbildung zusammenhängt, postulieren seine Nachfolger Intelligenz als eine genetisch determinierte und damit unveränderbare Persönlichkeitseigenschaft. Zur Messung dieser Eigenschaft verwenden sie jedoch annähernd identische Aufgaben wie Binet und schreiben diesen Aufgaben damit eine Bedeutung zu, die sie ursprünglich nicht im Geringsten besaßen. Somit definieren die Vertreter dieses Ansatzes eine Eigenschaft durch die Methode, die sie vermeintlich misst. Nirgendwo wird dieser Zirkelschluss deutlicher als in der immer noch gebräuchlichen und erstaunlich ehrlichen Intelligenzdefinition von E. G. Boring: „Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst.“ Den ernsthaften Versuch, Intelligenz unabhängig von ihrer Messung zu definieren hat bisher unseres Wissens noch kein Psychometriker gemacht.

Objektiv?

So stellt sich die Frage, warum die Vertreter der klassischen Intelligenzforschung seit über einhundert Jahren auf ein unzureichend definiertes Konstrukt zugreifen. In Test-Kriteriums-Korrelationen, die sich in einem Bereich von ca. r = 0,4 – r = 0,7 bewegen (das entspricht einer erklärten Varianz von 20 – 49 %) kann die Antwort wohl kaum zu finden sein. Dies gilt umso mehr, als eine derartige Korrelation natürlich keinerlei Aussage über den Faktor zulässt, der sie verursacht. Der immer wieder als Validitätsbeweis herangezogene Zusammenhang zwischen Intelligenztests und Schulleistung besagt lediglich, dass die Tests irgend etwas messen, das mit der Schulleistung in Verbindung steht. Ob das nun tatsächlich eine Art mentaler Kapazität ist, ob es sich um Konzentration oder auch einfach nur um Fügsamkeit handelt bleibt völlig offen, solange keine theoretisch fundierte, methodenunabhängige Intelligenzkonzeption und die entsprechenden Tests vorliegen.

Will man den entsprechenden Wissenschaftlern keine Dummheit unterstellen, muss man schließen, dass die Auswahl eines derartig windschiefen Paradigmas nicht aus rein wissenschaftlichen Gründen erfolgen kann. Bücher wie „The Bell Curve“ mit seinem expliziten politischen Bezug deuten vielmehr darauf hin, dass es in Wirklichkeit darum geht, bestimmte Ideologien mittels „objektiver“ naturwissenschaftlicher Ergebnisse zu rechtfertigen. Der Begriff „Objektivität“ bezieht sich hierbei bestenfalls auf ergebnisoffenes Arbeiten und die richtige Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden. Vor diesem technischen Umsetzen steht im Forschungsprozess jedoch eine gravierende Entscheidung, nämlich die Entscheidung darüber, welchem Paradigma man sich anschließt. Diese Entscheidung und damit die Entscheidung, welche Fragen man sich stellt, kann in einer Wissenschaft vom Menschen wie der Psychologie nicht unabhängig von bestimmten Menschenbildern getroffen werden. Damit ist eine tiefer gehende Objektivität in der Psychologie insofern unmöglich, als dass die untersuchten Inhalte es geradezu erzwingen, von bestimmten Vorannahmen auszugehen und damit die untersuchten Fragen von vornherein zu beschränken.

Wenn Forscher wie Herrnstein & Murray sich für die psychometrische Intelligenzkonzeption entscheiden, dann tun sie das wie andere Psychometriker, um ihre politischen Ansichten und Vorschläge mit „wissenschaftlichen“ und daher über jeden Zweifel erhabenen Ergebnissen unterfüttern zu können. Ihre Argumentation wäre nicht möglich, wenn sie sich für ein Modell menschlicher Denkfähigkeit entschieden hätten, in dem Flexibilität und Veränderbarkeit nicht von Anfang an ausgeschlossen sind. Da Erkenntnisgewinn in „The Bell Curve“ aber lediglich die Tarnung für einen Versuch darstellt, die öffentliche Meinung mit Hilfe „objektiver“ Ergebnisse im Sinne einer bestimmten politischen Richtung zu beeinflussen, haben Herrnstein & Murray bewusst einen Forschungsansatz ausgewählt, der die von ihnen beabsichtigten Schlussfolgerungen erst möglich macht.

Die Ideologie, die in Herrnsteins & Murrays politischen Handlungsvorschlägen zu Tage tritt, ist nicht nur extrem konservativ: Ihre Forderung nach dem vereinfachten Zugang zu Verhütungsmitteln, um die Ausbreitung „schlechter“ Gene einzudämmen, ist schlicht und einfach eine eugenische. Die Verbindungen zum rechten Rand des politischen Spektrums sind auch an den Quellen erkennbar, aus denen sich Charles Murrays Forschung speist. So wird er unter anderem vom American Enterprise Institute finanziert, das sich z. B. für eine Begrenzung der Marktregulierung und eine starke Außenpolitik (z. B. in Form einer Befürwortung des zweiten Irakkriegs) einsetzt. Kürzlich wurden vom American Enterprise Institute laut Wikipedia 10.000 Dollar Preisgeld für eine wissenschaftliche Widerlegung des UN-Klimaberichts ausgelobt. Es handelt sich also um eine Stiftung, die ganz klar neoliberale Positionen vertritt und explizit nach Wissenschaftlern sucht, die „linientreue“ Ergebnisse produzieren.

Dass Ergebnisse derartiger Forschung in einer Vorlesung völlig ohne Bezug auf ihre ideologischen Hintergründe gelehrt werden, lässt sich unseres Erachtens nicht mit dem Verweis auf ihre methodische Qualität rechtfertigen (zumal selbst diese fragwürdig ist, wie der oben dargestellte winzige Auszug aus der Menge an methodenkritischen Einwänden gegen „The Bell Curve“ deutlich machen sollte). Und die Behauptung, dass politische Einwände in der Psychologie keine Berechtigung hätten, da es sich schließlich um eine objektive Naturwissenschaft handele, ist schlicht und einfach falsch (s. o.). Psychologie findet nicht im luftleeren Raum der Empirie statt, sondern ist in ihrem Ursprung ideologisch geprägt. Diese Tatsache zu ignorieren bedeutet nichts anderes als ein indirektes Bekenntnis zu den politischen Inhalten, die hinter den harten Zahlen versteckt sind.

Links:

http://www.eugenics.net/
Eine Seite von heutigen Eugenikern mit Texten von Richard Lynn. Philipp Rushton, Charles Murray, Linda Gottfredson, Roger Pearson etc.

Literatur:

Fischer, C. S., Hout, M., Jankowski, M. S., Lucas, S. R., Swidler, A., & Voss, K. (1996). Inequality by Design. Princeton: Princeton University Press.

Herrnstein, R. J., & Murray, C. (1994). The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life. New York: The Free Press. (zit. nach: Fischer, C. S., Hout, M., Jankowski, M. S., Lucas, S. R., Swidler, A., & Voss, K. (1996). Inequality by Design. Princeton: Princeton University Press.).

Lewontin, R. C., Rose, S., & Kamin, L. J. (1988). Die Gene sind es nicht…Biologie, Ideologie und menschliche Natur. München: BeltzPVU.

Neal, D. A., & Johnson, W. R. (1994). “The Role of Pre-Market Factors in Black-White Wage Differences.” Seminar on Meritocracy and Equality, University of Chicago. (zit. nach: Fischer, C. S., Hout, M., Jankowski, M. S., Lucas, S. R., Swidler, A., & Voss, K. (1996). Inequality by Design. Princeton: Princeton University Press.).

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Charles Spearman – Erfinder der explorativen Faktorenanalyse

Von Kritische Psychologie Marburg

Charles Spearman (1863-1945) ist als hervorragender Statistiker und Psychologe bekannt. Er erfand den sog. Spearmanschen Rangkorrelationskoeffizienten, die Attenuationskorrektur und die explorative Faktorenanalyse.

Seine Zweifaktorentheorie der Intelligenz, die er 1904 in dem Aufsatz “General Intelligence“ Objectively Measured and Deterimed, vorstellte ist eine der einflussreichsten Theorien in der Geschichte der Intelligenzforschung. In diesem Aufsatz verwendete er das Verfahren der tetradischen Differenzen – ein Vorläufer der Faktorenanalyse. Die Faktorenanalyse ist ein mathematisches Verfahren zur Reduzierung eines komplexen Systems von Korrelationen auf eine geringere Zahl von Dimensionen.

Spearman übernahm von Sir Francis Galton nicht nur das Interesse an Statistik, sondern auch sein Engagement in der eugenischen Gesellschaft Englands (zeitweise gewähltes Mitglied im Beirat) und die Vorstellung Galtons, dass es eine mentale Fähigkeit gibt, die dafür sorgt, dass, wenn eine Person bei einer Aufgabe gut abschneidet, auch andere Aufgaben gut absolviert. Obwohl Galtons Vorstellung, dass senorische Tests (Wahrnehmung, Reaktionszeit etc.) mit schulischer und akademischer Leistung korrelieren, schon maßgeblich widerlegt war ( Clark Wissle, 1901), versuchte Spearman diese Annahme 1904 erneut zu untermauern: Er fand eine Korrelation von nahezu 1, die nie jemand replizieren konnten und gab der sog. mentalen Fähigkeit den Namen „g“ für General Intelligenz.

Spearmans Vorgehen

Spearman untersuchte auch die Korrelationen zwischen verschiedenen Tests, von denen er annahm, dass sie mentale Fähigkeiten maßen, und fand fast immer eine positive Korrelation. Er schloss daraus, dass jeder dieser Tests nicht eine unabhängige geistige Funktionsweise maß, sondern vielmehr eine einfachere Struktur dahinter lag. Spearman stellte sich zwei Alternativen vor. Die gefundenen Korrelationen könnten entweder auf eine kleine Reihe unabhängige geistige Attribute zurückzuführen sein oder auf einen allgemeinen Faktor (g-factor). In beiden Fällen bliebe allerdings eine gewisse Restvarianz, die bei jedem Test spezifisch sei (s-factor).

Um zwischen diesen beiden Annahmen zu einer Entscheidung zu gelangen, erfand er das Verfahren der tetradischen Differenzen. Er erfand diese Technik praktisch als Mittel zum Schlussfolgern auf Ursachen von Korrelationsmatrizen von Tests. Mittels dieser Methode fand er einen Hauptfaktor (g-factor) und sah dieses Ergebnis als Bestätigung seiner Zweifaktorentheorie der Intelligenz an.

Er fasste „g“ als eine Art Energie auf („mental energie“, siehe Spearman 1923, 1927), die wie ein Treibstoff funktioniert. Für jede spezifische Fähigkeit gäbe es einen bestimmten Hirnbereich, den „g“ mit Energie versorge. Er verglich diese mit Motoren und „g“ mit dem dafür nötigen Treibstoff. Für ihn stand es außer Frage, dass die Physiologie eine solche Hirnenergie finden würde.

Kritik

Gould (1988) griff dieses Vorgehen und insbesondere die Schlussfolgerungen in seinem Buch „Der falsch vermessene Mensch“ in zweierlei Hinsicht an:

  • Wie bei Korrelationsberechnungen liefert die Faktorenanalyse keine Kausalzusammenhänge. Nur weil etwas miteinander korreliert, heißt es nicht, dass die beiden gemessenen Maße in einem Zusammenhang zueinander stehen (z.B. Lebensalter und Benzinpreis). Bei dem Ergebnis einer Faktorenanalyse ist es ähnlich. Faktoren an sich sind mathematische Abstraktionen, geschaffen durch ein mathematisches Verfahren. Erst wenn überzeugende, unabhängige Angaben über die bloße Tatsache der Korrelation hinaus vorliegen, können stichhaltige Aussagen über Faktoren gemacht werden. Sie allerdings aus sich heraus als eigenständige Wesenheiten aufzufassen ohne zusätzliches Wissen über die Natur der Korrelation, ist äußert fragwürdig. Denn auch unsinnige Korrelationsmatrizen können durchaus einen starken ersten Hauptfaktor haben (z.B. eine 5×5 Korrelationsmatrix aus Lebensalter, der Bevölkerung Mexikos, der durchschnittlichen Entfernung von Galaxien, dem Benzinpreis und der Anzahl aller Bundesligaspiele in den letzten 10 Jahren (vgl. Gould, 1988)).
  • Die Faktorenanalyse ist aus ihrer Art heraus hypothesengenerierend (siehe Bortz, 1999). Die von Spearman vorgestellte Lösung ist eine von theoretisch unendlich vielen mathematisch gleichwertigen Lösungen, da die Faktoren, wie ein Koordinatensystem behandelt und beliebig im Raum gedreht werden können (siehe Abb. 1). Durch die Drehung ändern sich allerdings die Ladungen der Tests auf die einzelnen Faktoren und somit ihre inhaltliche Interpretierbarkeit. Thurstone nimmt beispielsweise sieben Faktoren der Intelligenz an (siehe Amelang & Bartussek, 2001). Die Position der Faktorenachsen ist demnach theorieabhängig und nicht mathematisch notwenig. Bei diesem Ansatz beeinflussen die Vorannahmen die Ergebnisse: aus den theoretisch unendlich vielen Lösungen der Faktorenanalyse sucht man sich das Ergebnis aus, das einem am besten in die Theorie passt – in diesem Fall einen Hauptfaktor, der aus seiner Definition heraus, maximalen Erklärungswert besitzt.

Die Faktorenanalyse kann große Datenmenge vereinfachen und uns helfen Ursachen zu verstehen, indem sie uns Hinweise auf Informationen jenseits der Mathematik liefert. Doch Faktoren als solche sind mathematische Abstraktionen, keine Ursachen oder Dinge, die irgendwo im Gehirn ansässig sind.

„Den Ausspruch des Statistikers, dass alles Vorhandene gemessen werden kann, hat der Faktorenanalytiker um die Annahme ergänzt, dass alles was „gemessen“ werden kann auch vorhanden sei, doch es kann sein, dass die Beziehung nicht umkehrbar und die Annahme falsch.“ Tuddenham (1962) zitiert in Gould (1988)

Die Behauptung, dass der gefundene Hauptfaktor Intelligenz darstelle, kann sich nie aus der Mathematik allein ergeben, sondern nur aus dem zusätzlichen Wissen über die materielle Natur der Messwerte selbst. Die Messwerte sind Werte von Tests, die behaupten „geistige Fähigkeiten“ zu messen, ohne dies unabhängig bestätigen zu können. Die operationale Definition von Boring (1923), dass Intelligenz das ist, was eine Intelligenztest misst, ist heute immer noch gebräuchlich (siehe Amelang & Bartussek, 2001, S.191) und zeigt die vollkommene Willkürlichkeit in der Definition und Messung von Intelligenz. Seit 1923 haben Intelligenzforscher zwar viele neue Intelligenzkonzepte entwickelt und unzählige Tests dazu konzipiert. Eine allgemeine Definition, die den Namen verdient, gibt es aber immer noch nicht und damit natürlich auch keinen wirklichen Fortschritt in der theoretischen Weiterentwicklung. Die Psychologen messen, ohne zu wissen, was sie messen.

Politscher Hintergrund von „g“

Das Spearmansche „g“ steht in der Tradition der Galtonschen Psychologie, Intelligenz zu einer inhärenten, erblichen und extakt meßbaren Wesenheit zu verdinglichen.. Es lieferte die theoretische Begründung, mit der man Menschen auf einer linearen Einheitsskala des geistigen Werts einreihen kann. Somit scheinen einfache „objektive“ Aussagen über die individuelle geistige Leistungsfähigkeit jedes Menschen möglich und damit einhergehend „die einzige vielversprechende theoretische Rechtfertigung, die für die Vererbungstheorien des IQ je gefunden wurde“ ( Gould, 1988).

Die starke Verteidigung des g-factors von Seiten vererbungstheoretischer Forscher wie Jensen, Eysenck, Cattell, Herrnstein, Gottfredson, Rushton, Weiss etc. können nicht allein als wissenschaftlich motiviert interpretiert werden. Spearmans „g“ ist ihre vermeintlich stärkste Waffe, um ihre politischen Forderungen wissenschaftlich zu untermauern. Durch den Wegfall des g-factors wäre es ungleich schwieriger Rassenvergleiche anzustellen und so die Minderwertigkeit bestimmter Rassen gegenüber anderen Rassen in Bezug auf ihre geistige Leistungsfähigkeit aufzuzeigen. Bei einer mehrfaktoriellen Intelligenztheorie sind solche Vergleiche absurd.

Die Möglichkeit, dass Intelligenz mehrdimensional oder numerische nicht fassbar sein könnte, würde auch die Forderung der Galtonschen Eugenik nach Menschenzüchtung extrem erschweren. Es wäre, unter der Prämisse eines schwachen oder sogar fehlenden g-factors, sehr unwahrscheinlich ein „Intelligenzgen“ zu finden. Eine eindeutig identifizierbare genetische Grundlage ist allerdings der Traum eines jeden Eugenikers. Die Intelligenztestentwicklung und die Annahme der Erblichkeit von Intelligenz ist unauflösbar mit der eugenischen Bewegung in den USA, England, Deutschland und vielen anderen Ländern verbunden. Spearman, der selbst in der eugenischen Bewegung aktiv war (s.o.), verdeutlicht diese Vorstellung in seinem biologisch-deterministischen Denken von Intelligenz als Hirnenergie und den spezifischen Fähigkeiten als identifizierbare Hirnbereiche (in seiner Analogie als „Motoren und Treibstoff“).

“Spearman recognized the importance of ´g´ to the future of eugenics. The ´eugenicist would be seriously hindered´ if intelligence was composed of numerous independent factors, the ´efforts to better the race´ would be ´dissipated in hunting after innumerable independent abilities´ (Spearman, 1914, pp. 220-21).zitiert in Mehler (1998)

Spearman gehörte auch einer Kommission der eugenischen Gesellschaft an, die zur Aufgabe hatte, Intelligenztests weltweit zu standardisieren. Der Gedanke dahinter war, dass mit einem solchen Messinstrument erblich bedingte Rassenunterschiede aufgezeigen werden können. Diese wichtige Aufgabe erfüllte aber erst der Schüler von Spearmanns Nachfolger Raymond Bernard Cattell mit der Entwicklung des „Culture-free“-Tests, heute zynischerweise „Culture-fair“-Test genannt.

Die Forschung von Wissenschaftlern kann nicht unabhängig von ihren politischen Überzeugungen betrachtet werden. Die Verteidigung des g-factors hat eine eindeutig ideologisch-politische Komponente, die nicht durch den Verweis auf die vermeintliche Objektivität der Forschung entkräftet werden kann. Die politischen Überzeugungen des Forschenden begleiten den gesamten Forschungsprozess, von der Wahl des Paradigmas bis zur Interpretation der Ergebnisse.

Es bleibt in Marburg leider den Studierenden überlassen, die ideologischen Prämissen der Forschenden zu aufzuzeigen und die Methoden, Ergebnisse und Interpretationen diesbezüglich zu reflektieren und neu zu bewerten.

Literatur:

Amelang, M. & Bartussek, D. (2001). Differentielle Psychologie & Persönlichkeitsforschung (5., aktual. & erw. Aufl.) (S. 190-223). Stuttgart: Kohlhammer.

Bortz, J (1999). Statistik für Sozialwissenschaftler (5., vollständig überarbeitete und aktualisierte Aufl.) (S. 498). Heidelberg: Springer.

Gould, S. J. (1988). Der falsch vermessene Mensch. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Mehler, B. (1998 , January). Beyondism: Raymond B. Cattell and the New Eugenics. URL: http://www.ferris.edu/HTMLS/othersrv/isar/bios/Cattell/genetica.htm. [Zugriff am 23.4.07]. Originally published 1997. In Genetica , 99, 153-163.

Spearman, C.E. (1904) . „General Intelligence“ O bjectively Determined and Measured . The American Journal of Psychology, 15, 201-292.

Spearman, C.E . (1914). The Heredity of Abilities. Eugenics Review, 6, 219-237.

Spearman, C.E. (1923) . The nature of intelligence and the principles of cognition. London: MacMillian.

Spearman, C. E. (1927) . The abilities of man: their nature an measurement. London: MacMillian.

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Sir Francis Galton: Begründer der Differenziellen Psychologie – Begründer der Eugenik

Rassen- und Klassenunterschiede in der Intelligenz

Von Kritische Psychologie Marburg

Sir Francis Galton (1822–1911), ein Cousin von Charles Darwin, machte sich durch seine Vielseitigkeit in verschiedenen Disziplinen einen Namen. Obwohl er Medizin studiert hatte, betätigte er sich auf Feldern wie Meteorologie, Statistik, Anthropologie, Psychologie und schrieb Berichte über seine ausgiebigen Afrikareisen. Heute ist er für seine Erblichkeitstheorie von psychischen Eigenschaften und der Begründung der Eugenik bekannt. Manchmal wird er auch als Begründer der Zwillingsforschung genannt, was aber nicht der Wahrheit entspricht, da er nicht monozygote (eineiige) und dizygote (zweieiige) Zwillinge oder getrennt aufgewachsene Zwillinge verglich, sondern nur allgemein auf die Ähnlichkeit von Zwillingen und die Notwenigkeit „nature and nurture“ zu unterscheiden, verwies (vgl. Joseph, 2003, S.11-14). Galtons Lehre vom „guten Erbe“ (Eugenik, gr. wohlgeboren) baut auf der Vorstellung auf, dass Intelligenz und Persönlichkeit vorwiegend erblich sind und die englische Bevölkerung nur mit eugenischen Maßnahmen verbessert werden kann. Die Erblichkeitstheorie und die Idee der Eugenik sind also auf das Engste miteinander verbunden.

Schon in seinem ersten psychologischen Artikel Hereditary Talent and Character von 1865 äußerte er den Wunsch, psychische Eigenschaften wie physische Merkmale bei Tieren zu züchten und zeichnet die „Utopie“ einer Gesellschaft, in der Heirat nach eugenischen Gesichtspunkten erfolgt. „Wenn nur ein Zwanzigstel der Mittel, die heute für die Verbesserungen in der Pferde- und Viehzucht ausgegeben werden, in die Verbesserung der menschlichen Rasse investiert würden, was für ein Universum an Genies würden wir dabei zutage fördern!“ (Galton, 1865, S.165).

Aus der Analyse von Biographien bedeutender Persönlichkeiten und gewinnt er die Erkenntnis, dass viele berühmte Männer, Verwandte haben, die ebenfalls berühmt sind. So sieht seine Analyse beispielsweise aus: „J. Adams, Pres. U.S.A.; son Samuel also patriot; nephew J. Quincey president” (ebd., S.159)

Die Verwandtschaft zwischen zwei Präsidenten in den USA wird wohl niemand als Beweis für erbliche Intelligenzunterschiede nehmen, sondern eher auf die stark ausgeprägte Politikerelite zurückführen, was Galton sogar in Betracht zieht, aber nicht davon abhält, seine Überzeugung „Ich glaube, dass Talent in einem sehr bemerkenswerten Maße durch Vererbung weitergegeben wird“ (ebd., S.157) zu revidieren. Um zu erklären, warum die meisten Söhne bekannter Väter aber nicht ebenfalls Ruhm erlangen, verweist er auf den Einfluss beider Eltern (vgl. ebd., S.158). Es ist also die Mutter, die den „genetischen Wert“ der Kinder verringert.

Ein Thema im zweiten Teil des Artikels ist der Vergleich zwischen „Rassen“, ohne dass dabei in irgendeiner Form statistisches Datenmaterial erhoben oder angeführt wird. Stattdessen verlässt sich der Autor auf Erzählungen und seine eigenen Erfahrungen als Forschungsreisender. Er behauptet beispielsweise, dass „der Neger [im Gegensatz zum amerikanischen Ureinwohner] starke impulsive Leidenschaften besitzt, aber weder Geduld noch Schweigsamkeit oder Würde … Er ist ausgesprochen gesellig, denn stets plappert er, zankt, schlägt das Tom-Tom oder tanzt“ (Galton, 1965, S.321). Auch von Weißen aufgezogene Angehörige „niederer Rassen“ behielten eine „wilde, unzähmbare Ruhelosigkeit“, die den „Wilden“ angeboren sei.

Erst vier Jahre später in seinem klassischen Werk Hereditary Genius(HG) über erbliche Intelligenzunterschiede analysiert er Stammbäume von 13 verschiedenen Gruppen „bedeutender“ Personen relativ systematisch und begründet damit die statistisch-empirische Persönlichkeitsforschung. Unter den Gruppen befinden sich Richter in England zwischen 1660 und 1865, Staatmänner, Heeresführer, Adlige, Schriftsteller, Wissenschaftler, Dichter, Musiker, Maler, Kirchenmänner, ausgezeichnete Cambridgeabsolventen, Ruderer und Ringer. Bei der Analyse der Gruppe von Adligen geht es ihm um den Beleg für die angeblich erbliche Unfurchtbarkeit der Frauen (als Grund für das Aussterben des Adels) und bei den Sportlern um deren Muskelkraft und weniger um deren Intelligenz. Ruhm wird als „Test“ für natürliche Begabung eingesetzt (vgl. Galton, 1962, S.77). Die Analyse ist ähnlich wie die von 1865: Die ebenfalls bedeutenden Verwandten werden aufgezählt (die nicht bedeutenden bleiben meist unerwähnt) und der Grad der Verwandtschaft wird erfasst. Die Ergebnisse für die Richter ist relativ typisch für die Ergebnisse: Von 286 Richtern haben 109 einen bedeutenden Verwandten und 49 mehr als einen. Berühmte Verwandte ersten Grades (Vater, Sohn, Bruder) waren viermal so häufig wie berühmte Verwandte zweiten Grades (Großvater, Enkel, Onkel, Neffen), 36 von 286 Richtern hatten einen Vater, Sohn oder Bruder, der ebenfalls Richter war. Galton zog daraus den Schluss, dass Verwandte von Richtern dazu tendieren, sowohl juristische Kompetenzen als auch eine allgemeine Fähigkeiten zu teilen und führt dies als Beleg für seine Erblichkeitsthese an. Eine Innovation in HG ist die Anwendung der Normalverteilung auf die Analyse von Intelligenz, die bisher nur für biologische Merkmale wie Größe und Gewicht verwandt wurde. Die glockenförmige Verteilung zeigt, dass die meisten Individuen sich um den Mittelwert gruppieren und es zu den Enden hin weniger werden. Galton teilte die Population in 16 Stufen auf von „extrem schwachsinnig“ bis „glänzend“. Auf der ersten und letzten Stufe befindet sich nur einer von eine Million Menschen, wohingegen sich auf der achten und neunten Stufe, also in der Mitte jeder vierte befindet. Sein Fokus lag ohne Zweifel auf den bedeutenden und genialen Personen innerhalb der westeuropäischen Bevölkerungen am oberen Ende der Verteilung, in dem Abschnitt „The Comparative Worth of Different Races“ vergleicht er jedoch nebenbei die „Negerrasse“ mit der angelsächsischen, indem er seine rating-Skala benutzt.

Da die „Negerrasse“ auch solche Männer wie Toussaint l´Ouverture (Unabhängigkeitskämpfer, Gouverneur der Kolonie Haiti) hervorgebracht habe, könnten nicht alle Schwarzen völlig geistesschwach sein, so Galtons Überlegung, weshalb er Toussaint l´Ouverture auf Stufe 14 der westeuropäischen Bevölkerung und schließt daraus: „Die durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten der Negerrasse liegen in etwa zwei Stufen unter den unsrigen“ (S.394).

Galton zufolge wohnt die höchste Begabung jedoch keiner noch existierenden, sondern der athenische Rasse inne, die wiederum zwei Stufen über der angelsächsischen liegen soll, da er 14 Personen aus der Gesamtbevölkerung von 60.000 männlichen Erwachsenen der griechischen antiken Gesellschaft auf der höchsten Stufe verordnet.

Beim Lesen der Forschungsarbeiten von Francis Galton entsteht der starke Verdacht, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen nicht das Produkt „wertneutraler“, induktiv-empirischer Forschung sind, sondern vielmehr die schlichte Faktenuntermauerung bereits vorher geäußerter theoretisch-vorurteilsvoller Überlegungen. Was läuft hier falsch?

Petitio principii

Petitio principii ist die Bezeichnung für einen Verstoß gegen einen der vier Hauptsätze der klassischen formalen Logik: den Satz vom zureichenden Grund. Dabei wird eine Hypothese mit einer weiteren Hypothese begründet, die zwar widerspruchsfrei, aber auch nicht bewiesen ist. Das scheinbar argumentative System kann daher in Verdacht geraten, nur aus Glaubenssätzen zu bestehen.

Gemeinsam sind Galtons Arbeiten mindestens vier voreilige Schlussfolgerungen, die keineswegs aus der empirischen Wissenschaft verschwunden sind, sondern auch heute noch die scheinbar wertneutrale, empirische Wissenschaft prägen.

Erstens schließt Galton unumwunden von Berühmtheit auf natürliche Begabung. Denselben Fehler begehen auch viele andere Intelligenztestentwickler, die der Vorstellung anhängen, dass es allein Leistungen sind, die darüber entscheiden, wer welche Position in unserer Gesellschaft erreicht. Dass das Versprechen von Chancengleichheit aber in der Realität nie eingelöst wurde und andere Variablen wie soziale Stellung der Eltern, Kontakte zu einflussreichen Personen etc. ein wichtige Rolle spielen, wird ausgeblendet oder heruntergespielt. Die Intelligenzforscher identifizieren soziale Stellung mit Intelligenz, entwickeln mit diesem Konstrukt im Hinterkopf einen Test und zeigen sich begeistert, wenn dieser Test dann tatsächlich mit Schul- oder Berufserfolg korreliert. Mit diesem Zirkelschluss meinen sie dann diesen Test validiert zu haben. Da bspw. der erste Intelligenztest von Alfred Binet zu dem praktischen Zweck entwickelt wurde, die Kinder auszumachen, die dem Unterricht nicht folgen können und eine Sonderbeschulung benötigen, ist es kein Wunder, dass die beiden Variablen korrelieren. Immerhin war sich Binet aber noch im Klaren darüber, dass das Testergebnis nicht mehr als eine grobe Schätzung sein könne und der Test keine erbliche, im Sinne von unveränderliche Fähigkeit messe und verwehrte sich gegen anders lautende Auffassungen: „Gegen diesen brutalen Pessimismus müssen wir protestieren und reagieren“ (Binet, 1913, S.141; zit. nach Lewontin, Kamin & Rose, 1988, S.67). Ein Test erfüllt immer einen praktischen Zweck, wie auch der Standford-Binet-Test von Lewis M. Terman, der eingesetzt wurde, um „Schwachsinnige“ zu identifizierte und sie zu sterilisieren oder der Army-α und -β-Test von Robert M. Yerkes, der den Zweck hatte, Rekruten ihren ihrer „Intelligenz“ gemäßen Patz in der Armee zuzuweisen oder andere Intelligenztests, die Unternehmen gebrauchen, um ihre Bewerber auswählen. Wenn Tests den speziellen Anwendungszweck nicht erfüllten, würde niemand Geld dafür zahlen und der Test wäre nie entwickelt oder zumindest angewendet worden (vgl. Gould, 1983, S.157-256). Der von galton selbst entwickelte Intelligenztest fand nie Verbreitung, da Akademiker nicht besser als der Rest der Bevölkerung abschnitt.

Die zweite, wenn nicht falsche, so doch zumindest voreilige Schlussfolgerung besteht darin, dass Galton aus der Verwandtschaft zwischen Berühmtheiten die Vererbung von Begabung ableitet. Dieselbe Tatsache könnte ebenso schlüssig als kulturelle Wissensübertragung (Milieutheorie) von den Eltern auf die Kinder interpretiert werden. Galton hätte die vorgefundenen Zusammenhänge demnach ebenso auf den selektiven Zugang zu Bildung in der stark ausgeprägten englischen Klassengesellschaft des 19 Jahrhunders zurückführen und sich wie andere vor dem Hintergrund dieser Faktenlage für allgemeine Bildung, gegen die Verelendung der Massen oder gar für die Aufhebung des Klassengegensatzes einsetzen können. Soziale Benachteiligung schloss Galton aber Zeit seines Leben wie bspw. in Hereditary Genuis im Kern aus: „Ist ein Mann mit großen intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet und besitzt er den nötigen Fleiß sowie auch die Kraft zu arbeiten, dann kann ich mir nicht vorstellen, was einen solchen Mann aufhalten sollte“ (Galton, 1962, S.79). Anzumerken ist, dass nach Galtons Vorstellung nicht nur Intelligenz, sondern auch Fleiß, Anstrengung, ja sogar Moral im Wesentlichen erblich ist. Die Mangelhaftigkeit solcher voreiligen Schlussfolgerungen ist mittlerweile in der Psychologie allgemein anerkannt. Man drückt sich allerdings in der Regel um die Frage, warum Galton ausgerechnet diese Interpretation wählte.

Der dritte Fehlschluss, den bis heute einige Vererbungstheoretiker trotz besseren Wissens nahe legen, besteht darin, Erblichkeit mit Unveränderlichkeit gleichzusetzen. Das mag auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, entspricht aber nicht der Erkenntnis, dass Erbe und Umwelt in einer komplexen Wechselwirkung zueinander stehen und Erbkrankheiten wie Phenylketonurie mit einer entsprechenden Diät direkt nach der Geburt, die eigentlich folgende geistige Retardiertheit mildern oder ganz beseitigen kann. Ein anderes Beispiel wäre die Sehschwäche, die ganz einfach mit einer Brille behoben werden kann. Zu Galtons Lebzeit waren weder die Mendelschen Gesetze (zwar schon aufgestellt, aber kaum bekannt) noch die DNA als Träger der Erbinformation bekannt, noch hatte man den komplexen Weg von der DNA über die RNA zur Aminosäure zum Protein etc. erforscht, der natürlich vielfältigen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist. On the Origin of Species By Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (1959) von Darwin war gerade erst erschienen, sodass es ziemlich voreilig war, ohne viele Belege solch weitreichende Schlüsse zu ziehen. Die Historikerin Ruth Schwartz Cowan (1977), die Galtons Schriften analysiert hat, kommt daher zu dem Schluss: „Es gibt in der Geschichte der Wissenschaft kaum ein anderes Beispiel für eine solch gewichtige Verallgemeinerung, die auf Grundlage einer derart dürftigen konkreten Beweislage getroffen, so schlecht entwickelt und auf so naive Weise erdacht worden ist“ (S.135).

Der vierte Denkfehler liegt möglicherweise allen anderen zugrunde. Er besteht in der Überzeugung, dass die ganze komplexe Welt inklusive der geistigen Fähigkeiten ihrer Bevölkerungen kommensurabel gemacht, d.h. quantifiziert und verglichen werden könne, Intelligenz sich also wie Körpergröße oder Schädelumfang messen lasse. Dabei handelt es sich jedoch um eine Illusion, denn ein IQ-Test ist zum einen kein Metermaß, es handelt sich bestenfalls um eine künstlich erstellte Intervallskala, und zum anderen ist längst nicht erwiesen, dass alles intelligente Verhalten sich in eine Dimension zwängen lässt (Guilford z.B. nimmt 120 Dimensionen an) oder überhaupt numerisch erfassbar wäre. Nur weil Galton Menschen Zahlen zuordnet und sie in eine Rangordnung bringt, hat er weder real Intelligenz noch Intelligenunterschiede erfasst. Dass „Neger“ zwei Stufen unter den „Weißen“ liegen, ist vollkommen willkürlich und spiegelt deutlich seine schon vorher gefasste Meinung wider. Das Problem ist, dass von Zahlen die Magie der „Objektivität“ auszugehen schein, solange nicht danach gefragt wird, wie diese Zahlen überhaupt entstanden sind.

Warum so hartnäckig an dem Traum von der Kommensurabilisierung des Inkommensurablen, d.h. der klaren Einordnung des Menschen in eine lineare Hierarchie festgehalten wird, soll im Folgenden erörtert werden.

Politik und Wissenschaft

Kind seiner Zeit?

Nun könnte man, wie auch von Arthur Jensen vorgebracht, entschuldigend einräumen, dass Galton nun einmal ein Kind seiner Zeit gewesen sei. Richtig ist, dass Äußerungen solcher Art unter Zeitgenossen sowohl Zuspruch, als auch Ablehnung hervorriefen. Dass Galton keineswegs den common sense der Wissenschaft im viktorianischen England wiedergibt, zeigt z.B. ein Zitat von John Stuart Mill aus The Principles of Political Economy: „Von allen vulgären Formen des Ausweichens vor der Beschäftigung mit gesellschaftlichen und moralischen Einflüssen auf das menschliche Bewusstsein ist die vulgärste Form von allen diejenige, welche die Vielfältigkeit des menschlichen Verhaltens und Wesens auf vermeintlich erbliche, ursprüngliche, natürliche Wesensverschiedenheiten zurückführt.“ (Mill, 1848, zit. nach Fancher, 2003, S.62).

Unter Wissenschaft versteht Galton anscheinend, die Vorurteile gegenüber den kolonialisierten Völkern des viktorianischen Englands zusammenzutragen und sie „wissenschaftlich“ zu untermauern, genauso wie zu anderen Zeiten feudale Rassenforscher, wie Graf von Boulainvilliers, die rassische Andersartigkeit und Höherwertigkeit des Adels, Schädelforscher die Minderwertigkeit der Frau oder französische Wissenschaftler vor dem Ersten Weltkrieg die größere Giftigkeit deutschen im Verhältnis zu französischem Urin „nachwiesen“, um eine rassisch begründete Aggressivität „der Deutschen“ zu konstruieren. Galton spricht auch in den darauf folgenden Werken von der „Höherwertigkeit der weißen Rasse“ (Galton, 1907, S.211) und echauffiert sich darüber, dass „es eine größtenteils völlig unvernünftige Sentimentalität gegenüber der schrittweisen Auslöschung einer niederen Rasse gibt“ (ebd. S.200) – eine Position, die auch heute noch von einigen Denkern vertreten wird, so z.B. von den Psychologen und Eugenikern Raymond B. Cattell und Richard Lynn oder dem weltweit einflussreichsten Ökonomen der letzten dreißig Jahre, dem nobelpreisgekrönten Marktradikalen Friedrich August von Hayek. Nur weil andere auch rassistisch sind, werden diese Vorurteile weder neutralisiert noch harmloser oder entschuldbar. Jensen liegt auch gar nicht daran, Galtons Vorurteile zu entschuldigen, Jensen arbeitet eher auf eine Erneuerung des Rassenwissenschaft zu, oder warum sollt er sonst der American Renaissance und der Nation Europa Interviews geben und zusammen mit NPD-Mitgliedern wie Rolf Kosiek im wissenschaftlichen Beirat der Neuen Anthropologie, die von dem bekannten Neonazi Jürgen Rieger herausgeben wird, sitzen und für ebendiese Zeitschrift mehrere Artikel schreiben?

Kein Rassist?

Es ließe sich auch einräumen, dass Galton ja gar nicht rassistisch sein könne, weil er eine Überlappung der Bevölkerungen im Hinblick auf ihre geistigen Fähigkeiten annimmt (mit dem gleichen Argument verbittet sich auch Hans Jürgen Eysenck den Vorwurf des Rassismus). Hier werden allerdings zwei Punkte außer Acht gelassen.

Erstens sähe sich Galton ansonsten gezwungen, bestehende Unterschiede zwischen „Negern“ wegzuerklären.

Zweitens läge in diesem Falle der Umkehrschluss aus „alle Neger sind gleich dumm“ nahe, nämlich die Aussage: „alle Weißen sind gleich intelligent“, was jedoch nicht in Galtons Interesse wäre, denn sein Hauptaugenmerk richtet sich gerade auf die vermeintliche Gefahr der Degeneration der „weißen Rasse“ oder „britischen Rasse“ durch die überproportionale Vermehrung der Arbeiterklasse. Ihm ist also hauptsächlich daran gelegen, die erbliche Minderwertigkeit der verarmten Bevölkerungsteile zu belegen, weshalb er zum Zweck der Legitimierung sozialen Ungleichheit die Behauptung aufstellt, Armut sei neben Alkoholismus, Geisteskrankheit und Gewohnheitskriminalität erblich und könne nur eugenisch gekämpft werden (vgl. Galton, 1908). „Die schwachen Nationen“ sind für Galton nicht die größte Gefahr, da sie „ganz zwangsläufig den edleren Menschentypen den Platz“ (Galton, 1865, S. 166) räumen. Die Mehrzahl der „Neger“ und die „Untauglichen“ in der englischen Bevölkerung sind arm ergo minderwertig. Dieses Denken ist sowohl rassistisch als auch elitär und demokratiefeindlich.

Eysenck könnte man entgegnen, dass auch die offen rassistische National Front in England die IQ-Überlappung der afrikanischen und weißen Bevölkerung nicht leugnet, da diese Tatsache „rassische Minderwertigkeit“ ja nicht ausschließt (vgl. Billig, 1981, S.163-165).

Sozialdarwinist?

Nun könnte man meinen, Galton habe Darwins Gesetze der natürlichen Auslese und des „Kampfes ums Dasein“ einfach auf die menschliche Gesellschaft übertragen, er wäre also ein Vertreter des Sozialdarwinismus. Das stimmt aber nur zum Teil. Obwohl zwischen der Eugenik und dem Sozialdarwinismus personelle wie inhaltliche Überschneidungen bestehen, unterscheiden sie sich doch in einigen Punkten: Während Galtons Forderungen nach eugenischer Gesellschaftsplanung Ende des 19. Jahrhunderts kaum Beachtung fanden, entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts fast zeitgleich nationale eugenische Gesellschaften in Großbritannien, Deutschland und den USA. Der bis dahin dominierende Sozialdarwinismus büßte insofern an Erklärungskraft ein, als das Selektionsprinzip (survival of the fittest) allem Anschein nach nicht im Sinne der privilegierten Klassen funktionierte: die Armen starben nicht so einfach aus, stattdessen organisierten sie sich als Arbeiterbewegung in Gewerkschaften, Bildungsvereinen und Kulturinstitutionen und entwickelten sich schließlich mit der Gründung der Labour Party 1903 auch zu einer unmittelbar politischen Bedrohung.

In den Vereinigten Staaten hatten Unternehmer wie John D. Rockefeller und Andrew Carnegie Darwins Theorie vom „Kampf ums Dasein“ noch zur Rechtfertigung des Laisser-faire-Kapitalismus und der Schattenseiten der Industriellen Revolution (Verarmung der Stadtbevölkerung, katastrophale Wohn- und Arbeitsbedingungen sowie mangelhafte Hygiene, etc.) benutzt.

Die Eugenik gewann erst zu dem Zeitpunkt an Bedeutung, als sich im Zuge des Abflauens der langen Wachstumsperiode seit 1848 und mit dem Einsetzen der Großen Depression nach 1873 die ökonomischen und politischen Instabilitäten und die sozialen Spannungen mehrten. Ausgehend von der Grundannahme, dass es in den Industriestaaten zu einer Aussetzung des Selektionsprinzips im Sinne einer verbesserten medizinische Versorgung und Sozialpolitik – Maßnahmen die von den Eugenikern als „Pseudo-Humanismus“ gegeißelt wurden -gekommen sei, was eine überproportionale Vermehrung von „minderwertigen“ Bevölkerungsgruppen und die Degeneration der menschlichen Rasse zur Folge habe, bot die Eugenik eine zeitgemäßere biologische Erklärung für die Widersprüche der gespaltenen Gesellschaft. Galton fordert in diesem Kontext gezielte Eingriffe in die menschliche Evolution (im Gegensatz zur darwinschen Theorie der natürlichen Selektion) und unterstreicht die nationale Bedeutung der Eugenik für Großbritannien. So müsse die Eugenik erst als Wissenschaft etabliert werden und dann „wie eine neue Religion“ in das „nationale Gewissen“ eingeführt werden (vgl. Galton, 1904, S.6), um die Fortpflanzung der Begabten besonders zu gefördern (positive Eugenik) und die Fortpflanzung der „Untauglichen“ zu verhindern (negative Eugenik). Gleichzeitig mit der Zunahme von Staatsinterventionen (protektionistische Abschottung der Kolonien, Militarisierung, etc.) und der Durchsetzung eines stärker regulierten Kapitalismus gegenüber dem Laisser-faire-Kapitalismus, gewann die Eugenik mit ihren Forderungen nach einer Regulierung der Fortpflanzung und Selektion an Einfluss (vgl. Kühl, 1997, S.20-21).

So entsteht 1907 die Eugenics Education Society mit Galton als Ehrenmitglied und 1912 findet der erste internationale Kongress in London statt. Die Öffentlichkeit ist sich zu diesem Zeitpunkt uneins darüber, worum es sich bei der eugenischen Bewegung tatsächlich handelt: Handelt es sich um eine neue innovative Wissenschaft, eine von Klassen- und Rassenvorurteilen geprägte politische Bewegung oder bloß um eine internationale Versammlung von Phantasten. Die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Politik – schon von Galton eingefordert – verhilft der jungen Forschungsrichtung einerseits zu großzügigen Forschungsgeldern und andererseits vermögen sie es, mit dem Verweis auf ihre Wissenschaftlichkeit ihre politischen Forderungen als scheinbar objektiv begründet darstellen. Erst als jene in Frage gestellt wird, gerät der Eugenik die enge Verknüpfung von Politik und Wissenschaft zum Verhängnis, sie wird als eine von Rassen- und Klassenvorurteilen geprägte politische Bewegung im wissenschaftlichen Gewand enttarnt und kann sich nur in neuem Gewand abermals etablieren.

Fazit

Welche Hypothesen aufgestellt, welche Methoden verwendet werden und zu welchen Ergebnissen Forschung gelangt, hängt von den Vorannahmen des Forschenden, dem wissenschaftlichen Paradigma und den dominanten Vorstellungen einer Epoche ab. Welche Forschung sich durchsetzt, hängt von der Nützlichkeit der jeweiligen Theorie ab. Legitimiert sie in Zeiten der Sklaverei die Sklaverei als naturgegeben, ist sie nützlich, postuliert sie in Zeiten der wirtschaftlichen Krise die „genetische Minderwertigkeit“ der Verlierer und Arbeitslosen, ist sie nützlich und kommt daher eher in den Genuss staatlicher oder privatwirtschaftlicher Finanzierung, findet durch Zeitungen, Politikberater etc. Einzug in die öffentliche Meinung und politische Argumentation.

So genannte Fakten können auf die unterschiedlichste ideologische Art interpretiert werden. In Galtons Falle handelt es sich eindeutig um die Ideologie der herrschenden Klasse, die ein elementares Interesse daran hat, die Ungleichheit in Status, Besitz und Macht als unveränderliche Gegebenheiten zu rechtfertigen.

Wie ein roter Faden zieht sich diese Ideologie durch die gesamte Geschichte der biologischen Intelligenz- und Persönlichkeitsforschung. Das Galtonsche Erbe trat der Statistiker Karl Pearson an, der den gestifteten Lehrstuhl für Eugenik und das Galtonsche Labor für nationale Eugenik übernimmt. Galton stand nicht nur am Anfang der politischen eugenischen Bewegung, sondern ist auch der Pionier der biologischen Persönlichkeitsforschung, der London School. In deren Tradition stehen Psychologen (Psychometriker) wie Charles Spearman, Raymond Cattell, Cyril Burt (einst bekanntester britischer Psychologe, heute der Fälschung von Zwillingsstudien überführt), Hans J. Eysenck, Richard Lynn, Arthur Jensen, J. Philippe Rushton, Linda Gottfretson etc., die die Lehren von den angeblich erblichen Rassen- und Klassenunterschieden Francis Galtons bis heute vertreten – selbstverständlich angepasst an die gegenwärtigen wirtschaftlichen, politischen und universitären Verhältnisse und die heutige Gestalt konservativer Rechtfertigungsdiskurse.

Links:

http://galton.org Alle Arbeiten von Francis Galton im Volltext

Literatur:

Binet, A. (1913). Les idees Modernes sur les Enfants. Flammarion Paris. (dt. Binet, A. (1914). Die neuen Gedanken über das Schulkind. Leipzig: Teubner.)

Billig, M. (1981). Die rassistische Internationale. Zur Renaissance der Rassenlehre in der Modernen Psychologie. Frankfurt/Main: Neue Kritik.

Cattell, R.B. (1972). A New Morality from Science: Beyondism. Pergamon Press: New York.

Candeias, M. (2004). Neoliberalismus Hochtechnologie Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise. Eine Kritik. Hamburg: Argument.

Cowan, R. S. (1977). Nature and Nurture: The interplay of biology and politices in the work of Francis Galton . In W. Coleman & C. Limoges (Hg.), Studies in the history of biology (Vol.1, 133-208). Baltimore : John Hopkins University Press.

Engels, F. (1974). Dialektik der Natur. Notizen und Fragmenten. In Marx-Engels-Werke, Bd. 20. Berlin: Dietz.

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Galton, F. (1865). Hereditary Talent and Character. Macmillan’s Magazine,12, 157-166 u. 318-327.

Galton, F. (1962). Hereditary Genius: An Inquiry into its Laws and Consequences. The World Publishing Company: Cleveland (zuerst veröffentlicht 1869).

Galton, F. (1907). Inquiries into Human Faculty and its Development. London: J. M. Dent & Sons (zuerst veröffentlicht 1883).

Galton, F. (1904). Eugenics. Its definition, scope and aims. American Journal of Sociology, 10 (1), 1-6.

Galton, F. (1908). Race improvment. In Memories of My Life. London: Methuen. Online Version. Zugriff am [09.04.2007]: http://galton.org/books/memories/chapter-XXI.html

Gould, S., J. (1983). Der falsch vermessene Mensch. Stuttgart: Birkenhäuser.

Joseph, J. (2003). The Gene Illusion. Genetic research in psychiatry and psychology under the microscope. Ross-on Wye: PCCS Books.

Kühl, S. (1997). Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Campus.

Lewontin, R. C., Kamin, L. J., Rose, S. (1988). Die Gene sind es nicht …: Biologie, Ideologie und menschliche Natur. München, Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Lynn, R. (1974). A New Morality from science: Beyondism by R.B. Cattell. Irish Journal of Psychology, 2, 205-206.

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Über einige strukturierende Faktoren der abendländischen Kultur in der Geschichte der Psychologie

Artikel von Eckart Leiser in Forum Kritische Psychologie 50 (2006).

Download: FKP_50_Eckart_Leiser

Zusammenfassung

Einigen Wesenszügen der abendländischen Kultur wird nachgegangen, als dessen übergreifendster eine durch Kontrolle gekennzeichnete Mensch-Welt-Beziehung bestimmt wird. Ihr psychologisches und philosophisches Korrelat ist die Anstrengung, das „Ich“ als den eindeutigen Mittelpunkt der Welt zu setzen, um dann über diesen „Nabel“ zu reflektieren. In der Psychologie dominierte diese philosophische Position bis ins 19. Jhd., in dem sich – angestoßen von Galton und Angell – ein Schwenk zu einer utilitarstischen Position vollzieht: von einer „philosophischen“ Kontrolle der Welt zur reinen und nackten Kontrolle des Individuums, orientiert an wirtschaftlichen und politischen Interessen. In der Psychologisierung des Alltagslebens unserer Tage ist dieses Projekt der Fremdkontrolle durch eines der Selbstkontrolle abgelöst worden. Das Funktionieren dieses „psychologischen“ Zugriffs auf das Subjekt und die Möglichkeit von Psychologie als positive Wissenschaft werden von der Strukturalen Psychoanalyse her in Frage gestellt.

Summary: On some structural factors in Occidental culture in the history of psychology

This paper examines a number of tendencies in Occidental culture that share the overarching feature of control as determining person-world relations. Such tendencies find their psychological and philosophical correlate in the efforts of an „ego“ to establish itself as the world’s distinct midpoint and then reflect on this „centre“ of the world. This philosophical position dominated psychology well into the 19th century which experienced a shift – initiated by Galton and Angell – towards a utilitarian stance: from the „philosophical“ control of the world to a sheer and naked control of the individual, a control oriented on economic and political interests. In our time, the psychologising of everyday life has replaced this project of other-control by self-control. The argument takes a structural psychoanalytical standpoint to question this „psychological“ access to the subject and investigate how far psychology can be seen as a positive science.

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Psychophylogenese und Umweltpsychologie als naturwissenschaftlicher Themenbereich der Kritischen Psychologie

Artikel von Volker Schurig in Forum Kritische Psychologie 50 (2006).

Download: FKP_50_Volker_Schurig

Zusammenfassung

In der Kritischen Psychologie erfolgt eine Neubestimmung der naturwissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie gegenüber der traditionellen physiologischen Psychologie als „Naturgeschichte des Psychischen“. Ihre evolutionsbiologische Ausrichtung führte zu einer Konzentrierung auf Themen der Ethologie, Anthropologie und Evolutionstheorie, für die in dem Aufsatz einige spezielle Fragestellungen und Schwerpunkte angeführt werden. Die Naturgeschichte des Psychischen ist aber darüber hinaus auch generell eine Programmatik, die eine naturwissenschaftliche Grundlegung der Psychologie von dem Stand der Subjektforschung und dem gesellschaftlichen Bewusstsein abhängig macht und deshalb mit Bewusstseinsveränderungen auch einer ständigen Neueinstellung bedarf. Als Beispiele einer derartigen Aktualisierung werden die Umweltpsychologie und ökologische Themen angesprochen.

Summary: Psycho-phylogenesis and environmental psychology as a scientific field for Critical Psychology

In Critical Psychology, psychology’s scientific principles are redefined against traditional physiological psychology as „the natural laws of the mind“. Its strong leaning toward evolutionary biology led to a main focus on ethnological concerns, anthropology and the theory of evolution, which this paper then highlights in some particular issues and concerns. Moreover, however, the natural history of the mind is, in general, a programmatic approach that makes the scientific principles of psychology dependent on the state of subject research and on social consciousness and, hence, requires constant readjustment to meet changes in consciousness – a readjustment illustrated by examples from environmental psychology and ecological issues.

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