Erster kritisch-psychologischer Salon

Steuert Sprache unser Denken und Handeln? Politik, Linguistik und Psychologie im Leitfaden „Was tun? Sprachhandeln – aber wie?“

Plakat_Werkstatt_KP_A4Referent: Dr. Michael Zander

Zeit: Freitag, 13. März 2015, 19:30 bis 21:30 Uhr
Ort: Laika, Emser Straße 131, S+U Neukölln

Die Thesen von Lann Hornscheidt (HU Berlin) zur Schaffung einer geschlechtergerechten Sprache wurden 2014 in der Presse – abgesehen von Diffamierungen seitens der radikalen Rechten – kontrovers, aber sachlich diskutiert. Im Mittelpunkt stand die Genderung per „X“. Übersehen wurde, dass derartige Vorschläge eingebettet sind in eine umfassende Theorie sprachlicher Diskriminierung, nicht nur in Bezug auf Gender, sondern z.B. auch auf Behinderung. Der Vortrag analysiert die Prämissen des z.T. psychologisch argumentierenden Sprachleitfadens „Was tun?“. Hinterfragt wird die Annahme eines deterministischen Zusammenhangs zwischen Sprache, Denken und Handeln. Ein in der linken Szene zunehmender Gebrauch quasi-psychologischer Begriffe (aktives Zuhören, Trigger-Warnung, awareness etc.) scheint auf ähnlichen Voraussetzungen zu beruhen wie die genannte Theorie.

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Bericht: „Den Gegenstrom schwimmen“ – Ferienuniversität Kritische Psychologie 2014

Veröffentlicht in: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis (VPP), Jg. 47 (2015), Heft 1, Schwerpunkt: Gesundheit und therapeutische Versorgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*Personen und ihren Familien, 191-193.

Leonie Knebel, Christian Küpper, Grete Erckmann & Michael Zander

Download: Leonie Knebel et al Bericht Ferienuni 2014

Vom 16.-20. September 2014 fand die 9. Ferienuniversität Kritische Psychologie unter dem Titel den „Den Gegenstrom schwimmen“ an der Freien Universität Berlin statt. Über 80 Veranstaltungen gruppierten sich um die Themen „Praxisforschung, Psychotherapie und Beratung“, „Das Rätsel des Unbewussten“, „Wissenschaftsgeschichte und Erkenntnistheorie“ und „Politische Kämpfe und Emanzipation“. Organisiert wurde die Ferienuniversität, wie bereits 2010 und 2012 (vgl. VPP 1/2013), von einem autonomen Arbeitskreis, bestehend aus Studierenden, PraktikerInnen und WissenschaftlerInnen der Psychologie und anderer Disziplinen.

Auf der Agenda der Ferienuniversität stand, Kritische Psychologie kennenzulernen bzw. weiterzuentwickeln sowie in Anbetracht des allgemeinen Trends der Verdrängung kritischer Ansätze aus Theorie und Praxis eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Der Titel „Den Gegenstrom schwimmen“ spielte auf ein Zitat von Klaus Holzkamp (1927-1995) an. Holzkamp wandte sich darin gegen einen „verkürzten Begriff von Wissenschaftlichkeit, der der grundwissenschaftlichen Psychologie in ihrer Hauptrichtung zu eigen“ ist und der im Kern darin besteht, lediglich „irgendwelche fixierten Verfahrensvorschriften“ anzuwenden. Wirkliche Wissenschaft, so Holzkamp, ist „als ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen, dabei vor allem auch gegen den Strom der eigenen Vorurteile, und in der bürgerlichen Gesellschaft zudem gegen die eigene Tendenz zum Sich-Korrumpieren-Lassen und Klein-Beigeben gegenüber den herrschenden Kräften, denen die Erkenntnisse gegen den Strich gehen, die ihren Herrschaftsanspruch gefährden könnten.“

Die Veranstaltungen zu Praxisforschung und zum Unbewussten, auf die wir uns hier weitgehend konzentrieren, zielten darauf, eine psychologische Praxis jenseits gesellschaftlicher Unterdrückung denkbar zu machen. Im Eröffnungsvortrag brachte Morus Markard diesen Anspruch folgendermaßen auf den Punkt: Wenn es die Aufgabe der Psychologie sei, Fremdbestimmung zu vermindern, so müssten Herrschaftsverhältnisse kritisiert werden. Objektivität messe sich daran, wie gut die jeweiligen Konzepte und Theorien die Widersprüche der gesellschaftlichen Verhältnisse abbilden. Solange der Mainstream sich nicht in diese Richtung bewege, müsse man sich ihm widersetzen. „Gegen den Strom schwimmen muss man in dem Maße“, so Markard, „wie die Perspektive allgemeiner Menschlichkeit nicht Allgemeingut ist.“

Ein Veranstaltungsblock konzentrierte sich auf verschiedene Settings psychologischer Praxis. Die neu belebte Theorie-Praxis-Konferenz stellte ihre ersten Arbeitsergebnisse vor. Sie bietet WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen ein Forum, um die Relevanz der Kritischen Psychologie für die psychosoziale Praxis zu erproben und weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt sind jeweils Anliegen der Teilnehmenden, die sich aus der Praxis ergeben. Marcus Beyer zufolge hat es sich bewährt, zwischen Primär- und Sekundäranalysen zu unterscheiden: In ersteren geht es vorrangig um Schwierigkeiten der PraktikerInnen selbst, in letzteren stehen die Probleme der KlientInnen im Mittelpunkt. Das Interesse an Theorie-Praxis-Konferenzen war insbesondere bei BerufseinsteigerInnen groß.

Thede Eckart und Myriam Kaiser gingen der Frage nach, wie eine subjektwissenschaftliche Therapie von Psychosen aussehen kann. Dabei setzte sich Eckart kritisch mit der eigenen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Praxis auseinander und erarbeitete unter Rückgriff auf Erich Wulffs „Wahnsinnslogik“ ein Verständnis von „schizophrener Unverständlichkeit“. Er veranschaulichte dies an den Problemen eines Wohnungslosen, der überzeugt war, dass das Haus, indem er illegal wohnte, ihm gehöre, sowie am Fall eines früheren Mobbingopfers, das sich bei einer neuen Arbeitsstelle in die Angst hineinsteigerte, wieder schikaniert zu werden. Sylvia Siegel problematisierte das in der (Gestalt-)Therapie vorherrschende „Unmittelbarkeitsdenken“, d.h. die Ausblendung des gesellschaftlichen Kontextes der KlientInnen. Sie veranschaulichte die Herausforderung, die gesellschaftliche Vermitteltheit psychischen Leidens so mitzudenken, dass die KlientInnen davon profitieren.

Das Berliner Projekt „Selbstverständigung über Drogengebrauch“ (ProSD) existiert seit 2008 als kritisch-psychologische Praxisforschungs- und Selbsthilfegruppe. Wie Nicole Bromann, Felicitas Karimi und Christoph Vandreier ausführten, begreift ProSD Drogenkonsum als subjektiv begründete Handlung, statt Konsumierende als Objekte einer Substanz („Droge“) zu sehen. Im Mittelpunkt des Workshops standen Praxisprobleme, z.B. Interessensgegensätze zwischen Forschenden und Betroffenen. Erik Meyer stellte die ehrenamtliche Trans*beratungsstelle in Hamburg vor, die als niedrigschwelliges, parteiliches Angebot an die Tradition von “Gay Counselling“ und feministischen Therapien anknüpft. Die strategisch in Kauf genommene Psychopathologisierung durch die Diagnose „Transsexualismus“ bei der Begutachtung und Psychotherapie steht allerdings, so Meyer, im Gegensatz zu diesen Beratungsansätzen.

Ein anderer Veranstaltungsblock widmete sich der interdisziplinären und politischen Vernetzung. Ulrike Eichinger ging es um den Dialog zwischen Kritischer Psychologie und Sozialer Arbeit. Kritische Psychologie wird, so Eichinger, in der Sozialer Arbeit rezipiert, um den Blick für die Subjektperspektive in ihrer gesellschaftlichen Vermitteltheit zu spezifizieren. Zudem würden mittels Kritischer Psychologie die Widersprüche der Berufspraxis Sozialer Arbeit reflektiert und der Umgang mit der neoliberalen Umstrukturierung thematisiert. Ian Parker (GB) warf in seinem Vortrag der Community Psychology vor, die Strukturlosigkeit einer harmonischen Gemeinde zu idealisieren. Das Problem besteht ihm zufolge darin, dass es zwischen akademisch ausgebildeten PsychologInnen und den radikalen politischen Bewegungen eine klare Trennung gibt. Statt psychologische Theorie auf die Projekte anzuwenden, solle man das Verhältnis umdrehen und mit den Erfahrungen der Bewegungen die Psychologie verändern.

Das Werkstattgespräch „Trauma, Gewalt, Gesellschaft” umfasste drei Beiträge, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln dafür plädierten, über das psychiatrisch-biomedizinische Traumakonzept der „Posttraumatischen Belastungsstörung“  hinauszugehen. Ariane Bennsell und Grete Erckmann diskutierten mit Annette Guba, Catalina Körner und Anne Roth u.a. die Frage, wie eine emanzipatorische Praxis der Gewaltverarbeitung aussehen kann, die gesellschaftliche Herrschafts- und Machtverhältnisse nicht personalisiert (am Bespiel von sexualisierter Gewalt), nicht ahistorisch abbildet (am Bespiel von NS-Geschichte und dem deutschen Kriegsopferdiskurs) und nicht entkontextualisiert (am Beispiel eines Forschungsprojektes mit Betroffenen des Bürgerkriegs in Liberia).

Ein Veranstaltungsblock konzentrierte sich auf methodische Fragen subjektwissenschaftlichen Forschens. Ole Dreier (DK) stellte ein interviewbasiertes Therapieforschungsprojekt in einer ambulanten Kinderpsychiatrie vor. Entgegen der traditionellen Therapieforschung mit ihrem Fokus auf Wirkungen von Interventionen auf KlientInnen, fokussiert Dreiers Ansatz das Alltagsleben während der Therapie. KlientInnen sind Teilnehmende an vielfältigen sozialen Praxen (z.B. Familie, Schule, Peergroup) und können diese handelnd mitgestalten und verändern. Interventionen stellten laut Dreier einen Versuch dar, „zwischen vieles andere, das sowieso läuft, hinein zukommen.“ In der Forschungswerkstatt mit Ole Dreier und Morus Markard wurden drei laufende Projekte der Psychotherapieforschung zur Diskussion gestellt: Maria Hummel und Leonie Knebel berichteten ihre Ergebnisse zum sich verändernden Problemverständnis einer Klientin mit der Diagnose Depression im Verlauf einer Verhaltenstherapie. Tobias Pieper präsentierte seine Forschungsskizze zum Zusammenhang von Schemaentwicklung, sozialem Milieu und Diskriminierungserfahrungen. Jochen Kalpein ging u.a. der Frage nach, inwieweit nicht nur die Resultate gelingender, sondern auch „gescheiterter“ Kriseninterventionen zu verallgemeinern sind. Voraussetzung dafür sei, dass die gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten und –behinderungen sowohl der KlientInnen als auch der PsychologInnen abgebildet werden.

Das Projekt „Alltägliche Lebensführung“ um Ute Osterkamp stellte ausgewählte theoretische Bezugspunkte zum Thema dar und untersuchte, inwiefern eigene Abwehrmechanismen in der „sozialen Selbstverständigung“ andere darin behindern, die eigenen Interessen auf den Begriff zu bringen. Die Analyse typischer Abwehrprozesse soll die Mitverantwortung für die Schaffung menschlicher Lebensverhältnisse verdeutlichen.

Michael Zander referierte über die Operationalisierung des kritisch-psychologischen Konfliktmodells. Abgebildet werde darin nicht, wie bei Freud, der Konflikt zwischen (vermeintlich) anstößigen Triebimpulsen und den moralischen Geboten einer versagenden Gesellschaft; vielmehr gehe es um Konflikte zwischen den eigenen Ansprüchen auf Lebensqualität einerseits und dem Erhalt von Machtverhältnissen andererseits. Zu klären sei, so Zander, anhand welcher Kriterien restriktive Problemlösungsstrategien zu erkennen sind und welche Fragen an das jeweilige Fallmaterial zu stellen sind, gleichgültig, ob dieses aus eigenen Erfahrungen oder aus Berichten von KlientInnen stammt.

Im Themenstrang über das „Rätsel des Unbewussten“ wurde die oft vernachlässigte kritisch-psychologische Beschäftigung mit dem Phänomenbereich des Unbewussten neu belebt. Thematisch ging es dabei um die Verinnerlichung von Herrschaft und um die Ausdrucksformen psychischen Leidens. Stefan Meretz rekonstruierte Ute Osterkamps Rezeption der Freudschen Psychoanalyse und zeichnete anschließend Verschiebungen innerhalb kritisch-psychologischer Theorienbildung nach. Christoph Bialluch und Christina Kaindl diskutierten das Verhältnis zwischen der Lacanschen Psychoanalyse und der Kritischen Psychologie. Wichtig war dabei die theoretische Fassung von Sprache im Verhältnis zu konkreten gesellschaftlich-historischen Bedingungen. Damit verbunden, so die Referierenden, ist die Konstituierung von Subjektivität und des Unbewussten. Das Verhältnis von Kritischer Psychologie und der Sozialisationstheorie des Psychoanalytikers Alfred Lorenzer war Gegenstand zweier Veranstaltungen: Christian Küpper und Tom Uhlig diskutierten darüber am Beispiel der Entstehung und den Ausdrucksformen von psychischem Leiden. Dabei verdeutlichten sie grundsätzliche Unterschiede zwischen Lorenzers Theorie und der Kritischen Psychologie bei der Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft. Ein weiterer Dissens zeigte sich bei der Diskussion über die (Un-)Möglichkeit, Aussagen über unbewusste Erfahrungsanteile Einzelner und von Gruppen zu machen. In der Veranstaltung von Tom Uhlig und Janek Niggemann ging es um die Grundlagen der Sozialisationstheorie Lorenzers. Uhlig betonte die Bedeutung von Interaktionsformen und der nachträglichen sprachlichen Vergesellschaftung frühkindlicher leiblicher Erfahrungen. Niggemann stellte heraus, dass Lorenzer eine kategoriale Entgegensetzung von Natur und Gesellschaft nahezulegen scheint. Er argumentierte für die kritisch-psychologische Bestimmung der „gesellschaftlichen Natur“ der Menschen, hielt jedoch fest, dass die Kritische Psychologie vor der Aufgabe steht, die Besonderheit nicht-sprachlicher frühkindlicher Erfahrungen theoretisch aufzuschlüsseln.

Mit über 650 Teilnehmenden und einem breiten Seminarangebot kann die Ferienuniversität als Erfolg bewertet werden. Ob es 2016 eine Fortsetzung geben wird, hängt davon ab, ob sich ein ähnlich engagierter Vorbereitungskreis bildet, aber auch davon, ob es gelingt, der eingangs erwähnten Verdrängung von Kritik aus Hochschulen und Berufspraxis wirksam entgegenzutreten.

Einige Beiträge der Ferienuniversität wurden bereits in folgenden Büchern veröffentlicht:

Ariane Brenssell & Klaus Weber (Hrsg.) (2014). „Störungen“. Hamburg: Argument.
Martin Allespach & Josef Held (Hrsg.) (2014). Handbuch Subjektwissenschaft. Frankfurt/M.: Bund-Verlag.

Weitere Informationen und Materialien zum Nachlesen und Nachhören einiger Veranstaltungen finden sich unter: http://2014.ferienuni.de

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Störungen

Reihe: texte kritische psychologie

Ariane Brenssell & Klaus Weber (Hrsg.)

störungen.brenssell.weber»Gestört sind alle und überall.« Die Begriffe der (Sozial-)Psychiatrie ebenso wie die psychiatrische Praxis basieren auf der Konstruktion von Störungen, die im Subjekt zu finden seien. So wird die Frage nach dem Zusammenhang gesellschaftlicher Entwicklungen mit subjektiven Problemen entnannt und auf die Einzelnen als Träger von »Störungen« abgewälzt. Für den Erhalt der Psy-Professionen (Sozialarbeit, Psychologie, Psychiatrie etc.) ist dieser Vorgang berufsständisch und ökonomisch funktional. Aus kritisch-psychologischer Sicht hingegen ist »gestörtes« Verhalten subjektiv sinnvoll und als Form individueller Auseinandersetzung mit dieser Welt zu verstehen.

 

Inhalt

Ariane Brenssell & Klaus Weber: Vorwort
Erich Wulff: Sozialpsychiatrischer Krankheitsbegriff
Reinhard Lütjen: Zum Verständnis und zur Verstehbarkeit von Psychosen
Klaus Weber: Kein Ort – Machtverhältnisse und zerrissene seelische Landschaften
Christian Küpper: Erfahrung – Betroffenheit – Emanzipation
Ariane Brenssell: Traumaverstehen
Charlotte Jurk: Depression ist keine Volkskrankheit
Vanessa Lux: Auf der Suche nach dem gestörten Subjekt. Zur Diskussion in den Neurowissenschaften
Morus Markard & Christina Kaindl: Diagnostik zwischen Merkmalszuschreibungen und Begründungsdiskurs. Probleme und Möglichkeiten subjektwissenschaftlicher Diagnostik

Das Buch ist beim Argument-Verlag erschienen und kann für 9,90 Euro bestellt werden.

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Handbuch Subjektwissenschaft

Martin Allespach, Josef Held (Hrsg.)

Bei der Frage nach dem »Subjekt« handelt es sich nicht nur um eine akademisch-wissenschaftliche Frage, sondern auch um eine politische und um eine sehr praxisrelevante. Dahinter steht die grundlegende Frage, ob widerständiges Handeln (noch) möglich ist. Verzichtet man auf den Subjektbegriff vollständig, wird es schwierig, Widerstand, Protest, Verteidigung der eigenen Würde, Eigensinn, Mitbestimmung, Selbstbestimmung, Verantwortung und Solidarität überhaupt zu thematisieren. Daran wird deutlich, dass der subjektwissenschaftliche Ansatz, um den es in diesem Handbuch geht, einen emanzipatorischen Anspruch und damit auch einen politischen Anspruch hat.
Das zentrale Ziel des Handbuches ist es, den subjektwissenschaftlichen Ansatz so darzustellen, wie er von der Kritischen Psychologie in Berlin entwickelt wurde und konkret aufzuzeigen, wie er sich in Forschung und Praxis umsetzen lässt.

Die AutorInnen:
Prof. Dr. Martin Allespach, Dr. Kristine Baldauf-Bergmann, Lucie Billmann,
Johanna Bröse, Prof. Dr. Ulrike Eichinger; Grete Erckmann, Prof. Dr. Peter
Faulstich, Heiner Gutbrod, Prof. Dr. Josef Held, Samuel Huber, Leonie
Knebel, Prof. Dr. lnes Langemeyer; Prof. Joachim Ludwig, Prof. Dr. Morus
Markard, Dr. Thomas Rihm, Prof. Dr. Gerhard Zimmer

Handbuch Subjektwissenschaft (pdf)

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Jugendliche im Übergang von Schule zum Beruf

Berufsorientierung junger Menschen mit Migrationsgeschichte

Die Tübinger Forschungsgruppe für Migration I lntergration I Jugend I Verbände hat die subjektiven Berufsorientierungen von Hauptschülerlnnen untersucht, insbesondere die Probleme der Berufsorientierung gegen Ende der Schulzeit sowie die Einflüsse des räumlichen und sozialen Umfelds und der involvierten Einrichtungen.
Zusammenfassend werden die Ergebnisse zu Handlungsanleitungen verdichtet und ein Vorschlag für ein Programm zur Unterstützung der Berufsorientierung Jugendlicher mit Migrationsgeschichte vorgestellt, das in der Praxis – auch in Schulen – umgesetzt werden kann.

Die Autorlnnen:
Prof. Dr. Dr. h.c. Josef Held, Dipl. Päd. Johanna Bröse, Claudia Rigotti, Dilek Donat

Jugendliche_im_Übergang (pdf)

Tübinger Forschungsgruppe http://www.tuebinger-forschungsgruppe.de/

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Erfahrung Betroffenheit Emanzipation

Veröffentlicht in: Brenssell, Ariane / Weber, Klaus (Hrsg.). Störungen. texte kritische psychologie 4, Hamburg: Argument-Verlag, 90-122. Christian Küpper in Störungen (2. Aufl.)

Christian Küpper

Einleitung

Die Erfahrungen Psychiatriebetroffener und ihr sich erarbeitetes Wissen sind für die Ausgestaltung psychiatrischer Wissenschaft und Praxis seit Anbeginn der Herausbildung derselben im 19. Jh. nur von nachrangiger Bedeutung. In Forschung und in Praxis gilt eine strikte Trennung zwischen den Professionellen und den wahlweise Betroffenen, Leidenden, Hilfesuchenden, Nutzenden, Ver-rückten, Wahnsinnigen, Exkludierten, Klient_innen, psychisch Gestörten bzw. Kranken. Diese Trennung – herrschafts- und machtförmig strukturiert – weist den beteiligten Akteur_innen grundsätzlich verschiedene Gestaltungs- und Entscheidungsräume zu; sie bewertet den Erkenntnisgehalt deren Erfahrungen und bestimmt den Geltungsbereich deren Wissen verschieden. Die Professionellen sind die eigentlichen Subjekte der psychiatrischen Ordnung. In überlieferten Bildern, die auch heute noch oft und in zum Teil modifizierter Gestalt Gültigkeit beanspruchen, urteilen sie über die, die sich in ihrer Obhut befinden. Sie dokumentieren, sie beobachten, sie generieren Wissen, sie theoretisieren, sie deuten aus, sie stellen fest, sie sprechen wahr, sie entwickeln Technologien, sie diagnostizieren, sie forschen nach, sie halten fest, sie lähmen, sie sperren weg, sie behandeln, sie wissen es besser. Die, die ungewollt oder gewollt mit der psychiatrischen Ordnung in Kontakt kommen, werden darin hingegen mittels psychiatrischer Deutungsmuster Dingen angeähnelt: Sie sind psychisch krank oder gestört, ihre Handlungen und Erfahrungen anormal und determiniert, defekt und nicht selten Folge behaupteter somatischer Verursachungskomplexe. Sie werden kontrolliert und pathologisiert, sie werden in Jacken und Objektrollen gezwängt, sie werden zum Ziel psychiatrischer Interventionstechnologien. Gespräche, die diesen Namen verdienen, finden nicht statt. Von Subjekt zu Objekt spricht es sich bekanntermaßen nicht gut.

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überarbeitet und übersetzt:

ins Englische von Lisa Cerami in: Annual Review of Critical Psychology, 2019, Vol. 16, pp. 353-373. Christian Küpper in ARCP (extern)

ins Türkische von Ebru Ergün & Can Önalan in: Psikoloji ve Toplum, Sayı 09 (Mart 2020). Christian Küpper in Psikoloji ve Toplum

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Möglichkeiten und Grenzen des S-O-R-[K]-C-Schemas

Eine kritisch-psychologische Reinterpretation

Artikel von Felix Blind, Moritz Thede Eckart und Franziska Heinz in Forum Kritische Psychologie 58 (2014)

Download: FKP_58_Blind_Eckart_Heinz

Zusammenfassung

Die Problemanalyse in einem Antrag auf Kostenübernahme für eine ambulante Verhaltenstherapie (VT) durch gesetzliche Krankenkassen erfolgt in Deutschland weitgehend anhand des sogenannten S-O-R-[K]-C-Schemas. Die Handlungen von Klientinnen werden hierbei klassisch behavioristisch als Reaktionen auf vorausgehende Reize beschrieben. Außerdem werden Konsequenzen dieser Reaktionen als Einflussfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens in der Zukunft herausgearbeitet. Ausgehend von Holzkamps Buch „Lernen” (1993) werden die lerntheoretischen Grundlagen des Schemas kritisiert. Mithilfe der kritisch-psychologischen Begriffe „körperlicher Situiertheit“, „Position“ und „Lage“ werden systematisch die zunächst im S-O-R-[K]-C-Schema gefassten Verhaltensweisen eines Fallbeispiels als Prämissen-Gründe-Zusammenhänge reinterpretiert. Gezeigt wird, dass in den dem S-O-R-[K]-C-Schema zugrunde liegenden Theorien die Spezifika der menschlichen Psyche unterschritten werden. Abschließend werden die Vorteile der begründungstheoretischen Aufschlüsselung sowie die Möglichkeiten und Grenzen einer Nutzung im Rahmen von Problemanalysen zu Beginn einer Verhaltenstherapie diskutiert.

Summary: Possibilities and limits of the S-O-R-[C]-K-schema. A critical-psychological reinterpretation

In Germany, the S-O-R-[K]-C-schema is widely used in applications for financing of ambulatory behavioral therapy by public health insurance. In a classical behavioristic manner the actions of clients are described as reactions to preceding stimuli. Their consequences are conceptualized as factors of influence to their probability of reappearance. Following the book „Lernen“ (1993) by Holzkamp, the theoretical concepts of learning that underlie the model are criticized. By aid of the Critical Psychology concepts of „körperliche Situiertheit“, „Position“ and „Lage“ the behaviors of an example client, initially analyzed with the S-O-R-[K]-C-model, are systematically reinterpreted as „Prämissen-Gründe-Zusammenhänge“. It is pointed out that, in theoretical respects, the S-O-R-[K]-C-model falls short of the specifics of human psyche. Finally the benefits of this critical analysis, as well as opportunities and limits of its application in the behavior analysis at the begin-ning of a behavioral therapy are discussed.

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Warum wollen Erwachsene eine AD(H)S-Diagnose?

Eine Begründungsanalyse anhand von Einträgen eines Internetforums

Artikel von Selina Diehm und Gisela Ulmann in Forum Kritische Psychologie 58 (2014)

Download: FKP_58_Diehm_Ulmann

Zusammenfassung

AD(H)S gilt in allen Diagnosemanualen als Störung im Kindes- und Jugendalter. Es gibt jedoch Erwachsene, die um diese Diagnose geradezu kämpfen. Die Gründe, die Diagnoseprozedur auf sich zu nehmen, diese Diagnose (nicht) bekommen zu wollen und dann (keine) Medikamente zu nehmen, werden mittels der Analyse von Beiträgen in einem Internetforum als Begründungsmuster (BGM) herausgearbeitet.

Summary: Why do adults want to be classifi ed as ADHD? An analysis of individual reasoning drawing on contributions to an internet forum

ADHD is seen as a disorder in childhood and adolescence by all classification manuals. There are, however, adults who literally fight to be classified as ADHD. Individual reasons for entering the diagnostic process, (not) wanting to be classified as ADHD, and then (not) taking drugs, are illuminated and expressed as “patterns of reason” (Begründungsmuster, BGM) by drawing on contributions to an internet forum.

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Hermann Ley – ein verhinderter Reformer des „realen Sozialismus“?

Artikel von Volker Schurig in Forum Kritische Psychologie 58 (2014)

Download: FKP_58_Schurig

Zusammenfassung

Die von Hermann Ley geleitete Abteilung „Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaften“ am Institut für Philosophie der Humboldt-Uni zu Berlin war Ende der 1960er Jahre ein Ort kreativen Disputs und forschenden Lernens, an dem die Auseinandersetzung mit fortgeschrittenen Wissenschaftsansätzen ‚des Westens‘ wie der Systemtheorie, Kybernetik oder Operationsforschung gesucht wurde. Die aus dieser Forschung hervorgehenden Impulse der Verwissenschaftlichung und Reformierung des Sozialismus riefen, so erinnert sich Volker Schurig, immer wieder staatliche Zensoren auf den Plan, öffneten aber auch den Blick aus den Fachwissenschaften heraus auf die Grenzen und Herausforderungen gesellschaftlicher Entwicklung – ein Maßstab, der sich auch für kritische Wissenschaft im Kapitalismus als gültig erwiesen hat.

Summary: Hermann Ley – a precluded reformer of „real socialism“?

In the late 1960s the department „Philosophical Problems of Modern Natural Sciences”, headed by Hermann Ley at the Institute of Philosophy of Berlin Humboldt-University, was a place of creative dispute and learning through research, seeking the discussion with advanced ‚Western‘ scientifi c approaches – such as systems theory, cybernetics or operation research. As Volker Schurig remembers, the venture on reforming socialism affiliated to this research was always faced with government censorship, but it also disclosed limits and challenges of social change by transcending the specialist fields of science – a criterion that has proven to be valid for critical science in capitalism, too.

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