„Kulturhistorische Theorie“ und „Kulturhistorische Schule“: vom Mythos (zurück) zur Wirklichkeit

Artikel von Peter Keiler in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

Entgegen der gängigen Meinung ist die Etikettierung „kultur[-]historische Theorie (kul’turno-istoričeskaja teorija)“ keine authentische Bezeichnung für die von Vygotskij in den Jahren 1927/28 bis 1931/32 in Zusammenarbeit mit A.R. Lurija, A.N. Leont’ev und einer Reihe anderer Forscherinnen und Forscher entwickelten Konzeptionen. Auch die Bezeichnung „kultur[-]historische Schule (kul’turno-istoričeskaja škola)“ entspricht nicht dem genuinen Selbstverständnis der betreffenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Vielmehr handelt es sich bei beiden Bezeichnungen um Mitte der 30er Jahre von Kritikern in diffamierender Absicht eingeführte pauschalierende Etikettierungen, die zunächst in Konsequenz einer Gefahrenbewältigungsstrategie, die in der Psychoanalyse als „Identifikation mit dem Aggressor“ bezeichnet wird, übernommen wurden und sich dann, als in der Nach-Stalin-Ära die ehemals „Geschlagenen“ zu „Siegern“ avancierten, als allgemein akzeptierte, dabei jedoch in mehrfacher Hinsicht problematische Topoi etabliert haben.

Summary: “Cultural-historical theory” and “cultural-historical school”: from myth (back) to reality

Contrary to the common opinion, the label “cultural-historical theory (kul’turno-istoricheskaia teoriia)” is no authentic designation for the conceptions elaborated by L.S. Vygotsky together with A.R. Luria, A.N. Leontiev, and a number of collaborators more between 1927/28 and 1931/32. Likewise, the denomination “cultural-historical school [kul’turno-istoricheskaia shkola]” does not reflect the genuine self-concept of the respective researchers. Rather, both designations originally were introduced in the mid-30s by critics with defamatory aims and have been later accepted in consequence of a defense-mechanism, which by psychoanalysts is called “identification with the aggressor.” In the aftermath of the “thaw”-period, when the once “beaten” turned out to be the “victorious” ones, those labels became generally accepted (though in several respects quite problematic) shibboleths.

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Hält die Annahme eines dynamischen Unbewussten einer psychophylogenetischen Herleitung stand? Kritische Anmerkungen zum kritisch-psychologischen Konfliktmodell

Artikel von Katia Reinhardt in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

Der Beitrag befasst sich mit dem Konzept des Unbewussten in der Kritischen Psychologie: In Auseinandersetzung mit grundlegenden Arbeiten von Osterkamp und Holzkamp versucht die Autorin zu zeigen, dass bestimmte Phänomene, die aus Alltag und psychotherapeutischer Praxis bekannt sind, nicht mit Hilfe des Konzepts aufzuklären sind. U.a. wird in diesem Zusammenhang das Störungsbild „PTBS“ angeführt.

Summary: The concept of the dynamic unconscious and psychophylogenetic deduction. Critical remarks to the conflict model in critical psychology

The article deals with the concept of the unconscious in Critical Psychology. In examination of the fundamental works by Osterkamp and Holzkamp the author tries to show that certain phenomena known in everyday life as well as in psychotherapy cannot be explained with this concept. In this context “PTSD” is discussed among other problems.

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Man sieht nur mit dem Herzen gut? – Zum Potenzial klientenzentrierter Prinzipien in subjektwissenschaftlichen Selbstverständigungsprozessen

Artikel von Jascha Merz in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

Es wird der Versuch angestellt, anhand praktischer Erfahrungen, die der Autor in dem subjektwissenschaftlichen Berliner Drogenhilfeprojekt „ProSD“ gemacht hat, die Grundprinzipien Klientenzentrierter Psychotherapie nach Carl Rogers auf deren Anwendbarkeit in dem Setting der angeleiteten Drogen-Selbsthilfegruppe hin zu reflektieren. Die Prinzipien der „bedingungsfreien Wertschätzung“, „Empathie“ und „Echtheit“, bzw. „Kongruenz“ werden dazu in dieser Arbeit mit der kritisch-psychologischen (Praxis-)Theorie konfrontiert, um Vorschläge für Entsprechungen dieser Prinzipien, die (v.a. zur Prämissenklärung) ggf. auch in anderen kritisch-psychologischen Kontexten als handlungsleitende Begriffe dienen könnten, zu machen.

Summary: It is only with the heart that one can see? – the potential of client centred principles in the process of subject-sientific self-understanding

By practical experience, that the author has made in the critical psychological drug assistance project „ProSD“ in Berlin, it is attempted to reflect the basic principles of Person-Centered Psychotherapy after Carl Rogers about their applicability in the setting of such a guided drug self-help group. The principles „Unconditional Positive Regard“, „Empathy“ and „Congruence“ therefore are confronted with critical-psychologic (practice-)theory in the tradition of Holzkamp, to make suggestions for counterparts of these principles that possibly might also serve as action leading terms, especially for clarifying premises, in other critical psychological contexts.

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Verordnete Sprachlosigkeit. Multiloog über das Alltagsleben und die Psychiatrie mit Betroffenen, Angehörigen, Professionellen und anderen

Artikel von Heinz Mölders in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

Das Multiloog-Projekt ist ein niedrigschwelliges Angebot für Psychiatriebetroffene, Angehörige, Professionelle und andere, sich über (problematische) Alltagserfahrungen zu verständigen. Zentrale Fragestellung ist dabei, wie sich ein ‹sicherer Raum› zur sozialen Selbstverständigung herstellen lässt und welche Faktoren in diesem Prozess förderlich sind bzw. welche sie behindern. Eine wichtige Barriere im Verständigungsprozess ist z.B. der Krankheitsdiskurs. Perspektiven bzw. Handlungsspielräume kritisch-psychologischer Praxis (trotz unzureichender finanzieller Ausstattung) werden gezeigt. Der Artikel ist ein Beitrag zur „sozialen Selbstverständigung“ über die Gefahr, die Probleme in einer Weise zu fassen, die die produktive Auseinandersetzung über ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen und subjektiven Implikationen von vornherein verhindert.

Summary: Speechless – as directed. Multiloog on everyday life and psychiatry with users and survivors of psychiatry, relatives, professionals and others

The Multiloog project is a low-threshhold service for users and survivors of psychiatry, relatives, professionals and others. Its aim is to promote communication about (problematic) everyday experiences. In this context, an important question is, how to create a “safe space” for social self-understanding and which are promotive and preventive circumstances in this process. For example, the discourse on illness interferes with a process of understanding. Perspectives of critical psychological practice (in spite of limited financial ressources) are discussed. The article aims to contribute to social-self understanding about the dangers of conceptualizing problems in a way that prevents productive discussion about their social prerequesites and subjective implications.

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„Rasse“ – „Verabschiedung“ eines Begriffs?

Artikel von Christian Wille in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

Ausgehend von den bei Schurig dargelegten unterschiedlichen biologischen Rassenbegriffen wird skizziert, an welchen Bedeutungselementen soziale Rassendiskurse (historisch) ansetzen (konnten). Die innerbiologische Kritik am Rassenbegriff wird auf die Funktionen dieser Diskurse im Rahmen eines ‚kulturalistischen Rassismus‘ bezogen, und es wird nach Kontinuitäten des (sozialen) Rassendenkens und neuen Biologismen gefragt.

Summary: “Race” – “dismissal” of a concept?

Drawing on Schurig’s description of various biological concepts of race the author shows which of their elements have enabled social discourses on race in the past or still enable such discourses. Biological critique of the concept of race is related to the functions of these social discourses in the context of “cultural racism”. Further, continuities of (social) racial thinking and new biologisms are discussed.

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Ein „unentbehrlicher Begriff“? Anmerkungen zu Volker Schurigs Ausführungen zum Thema „Menschenrassen“

Artikel von Michael Zander in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

Der Beitrag macht darauf aufmerksam, dass der Erkenntnisfortschritt in der Biologie dem Begriff der „Menschenrassen“ zunehmend den Boden entzogen hat. Gegenstand der Analyse sind außerdem die Ungereimtheiten im Text von Volker Schurig. Zurückgewiesen werden sowohl Schurigs Polemik gegen sozialwissenschaftliche Kritiken am Rassebegriff als auch seine provozierende Klage über „Rassengesetze“ gegen Kampfhunde.

Summary: An “essential concept”? Remarks to Volker Schurig’s statements on the issue of “human races”

The article shows that progress in the field of biology has undermined the concept of “human races”. Further, some incongruities in Schurig’s text are analysed. The author rejects Schurig’s polemic against social scientific critique of the concept of race, and his provocating complaint against “Race Laws” on attack dogs.

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Varianz und Kritik. Kommentar zum Beitrag von Volker Schurig

Artikel von Tino Plümecke in Forum Kritische Psychologie 56 (2012).

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Zusammenfassung

In Auseinandersetzung mit Schurigs Beitrag in diesem Heft werden anhand zweier Punkte Argumente gegen biologische Rassekonzepte unterstützt. Hierfür wird erstens eine Klärung des biologischen Varianz-Begriffs vorgenommen, um nachzuvollziehen, wie ‚Rasse‘ innerhalb der Populations- und Molekulargenetik zu einer nichtbiologischen Frage wurde. Zweitens wird die innerbiologische Kritik an biologischen Rassekonzepten weiter ausgeführt, um damit eine selbstbewusste Revision kritisch psychologischen Denkens zu ermöglichen.

Summary: Commentary on Volker Schurig’s article

This commentary on Schurig’s article in this issue aims to provide arguments against biological race concepts. It begins by clarifying the biological meaning of variation, in order to show how race became a nonbiological question within the logic of population and molecular genetics. Secondly, a range of critiques of race concepts from within the biosciences are discussed, with the goal of opening up a reflexive revision of critical psychological perspectives.

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Forum Kritische Psychologie 56

Problematik Rassebegriff/Rassismus
Berichte aus der Praxis

Inhalt

Editorial

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Volker Schurig
Ausgewählte biologische Grundlagen der Kritischen Psychologie (II):
die Problematik Rassenbegriff/Rassismus

Tino Plümecke
Varianz und Kritik. Kommentar zum Beitrag von Volker Schurig

Michael Zander
Ein „unentbehrlicher Begriff“? Anmerkungen zu Volker Schurigs
Ausführungen zum Thema „Menschenrassen“

Christian Wille
„Rasse“ – „Verabschiedung“ eines Begriffs?

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Heinz Mölders
Verordnete Sprachlosigkeit. Multiloog über das Alltagsleben und die
Psychiatrie mit Betroffenen, Angehörigen, Professionellen und anderen

Jascha Merz
Man sieht nur mit dem Herzen gut? – Zum Potenzial klientenzentrierter
Prinzipien in subjektwissenschaftlichen Selbstverständigungsprozessen

Katia Reinhardt
Hält die Annahme eines dynamischen Unbewussten einer psychophylogenetischen
Herleitung stand? Kritische Anmerkungen zum kritisch-psychologischen Konfliktmodell

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Peter Keiler
„Kulturhistorische Theorie“ und „Kulturhistorische Schule“: vom Mythos (zurück) zur Wirklichkeit

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Autorinnen und Autoren

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Kinder und Gesellschaft neu denken. Kritisch-psychologische Perspektiven auf Gesellschaftsverständnis und Vergesellschaftung von Kindern heute

Veröffentlicht in: Journal für Psychologie Jg. 20 (2012), Ausgabe 2: Gesellschaftliches Denken und Handeln. Entwicklungspsychologische Perspektiven. Verfügbar über: Anna Bandt in JfP 2012

Anna Bandt

Zusammenfassung

Mit Blick auf die aktuell vorherrschende Tendenz der gesellschaftlichen Vereinnahmung von Kindern lassen sich die neuen Forschungsergebnisse als Antwort auf Vergesellschaftungsprozesse von Kindern lesen, die eine andere Qualität der Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Welt erfordern. Grundlegend für eine solche Argumentation ist eine Sichtweise, die den Kind-Weltzusammenhang nicht ausblendet und Kinder als Menschen ernst nimmt, die ähnlich den Erwachsenen von der Gesellschaft betroffen sind, an ihr teilhaben und sich mit ihr auseinandersetzen müssen.
Dies eröffnet Möglichkeiten, das Thema Kinder aus bestehenden Beschränkungen zu lösen und den Blick auf die gesellschaftlichen Bedeutungskonstellationen zu richten, die das Leben für Kinder und Erwachsene erschweren. Damit verbunden ist ein Perspektivwechsel in Bezug auf die Möglichkeiten von Kindern der Teilhabe an und Selbstverfügung über ihre/n Lebensbedingungen.

Schüsselwörter: Kinder, Subjektentwicklung, Gesellschaftsverständnis, Politik, politische Sozialisation, gesellschaftliche Verhältnisse

Summary

This article is based on the question, how research findings on children’s understanding of society can be perceived and integrated with the development of children’s subjectivity against the background of social transformation processes. Scientific examination on this topic lacks most of all an examination of children’s societal being and their subjective development on different levels such as subjective experience, parental position and the constellation of societal conditions.
In view of the currently prevailing tendency to socially monopolize children, the new research results can be read as an answer to socialisation processes of children requiring a new quality of confrontation with the environment. Such an argumentation is based on a point of view that does not ignore the relation between child and world, taking children seriously as human beings affected by, participating in and having to deal with society.
This allows for possibilities to free the subject of children from existing constraints and to focus on the constellations of societal relevance causing problems for children and adults. At the same time it includes a change of perspective concerning opportunities for children to participate in and take responsibility for their living conditions.

Keywords: children, development of subjectivity, concept of society, political socialisation, politics, societal conditions

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Genetik und psychosoziale Praxis

Lux, Vanessa (2012). Genetik und psychologische Praxis. Wiesbaden: Springer VS.

vanessa lux genetik und psychosoziale praxisVon der Genomforschung wurde lange erwartet, dass sie eine der zentralen humanwissenschaftlichen Kontroversen aufklärt: die Anlage-Umwelt-Debatte. Doch die Komplexität an Interaktionen, in die unsere DNA eingebettet ist, stellt dies nun in Frage. Die psychiatrisch-genetischen Forschungsmethoden, mit denen nach Genen für psychische Prozesse und menschliches Verhalten gesucht wird, geraten an ihre epistemologischen Grenzen. Auch der psychische Krankheitsbegriff verändert sich. Dieses Buch versammelt die Ergebnisse einer interdisziplinär angelegten Literaturstudie und einer Expertenbefragung zur Bedeutung dieser Entwicklungen für die psychologische Praxis. Es werden Anforderungen an eine Weiterbildung zur Genomforschung für psychologische Praktikerinnen und Praktiker formuliert. (Klappentext)

 

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