Psychologie an der FU Berlin: Modell für die Einsparung bzw. Entsorgung kritischer Wissenschaft?

Artikel von Barbara Fried, Christina Kaindl und Morus Markard in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Zusammenfassung

An der FU Berlin werden das Psychologische Institut und das vor 25 Jahren aus einer konservativ und gegen-kritisch inspirierten Spaltung heraus entstandene Institut für Psychologie zugunsten eines Studienganges Psychologie aufgelöst. Die damit verbundenen Versuche zur Liquidierung bzw. zur Erhaltung und Weiterentwicklung inhaltlicher und institutionellen Spezifika des Psychologischen Instituts werden dargelegt, vor dem Hintergrund der »problematischen« Wissenschaft »Psychologie« und derzeitigen wissenschaftspolitischen Tendenzen diskutiert und exemplarisch auf allgemeine institutionelle Aspekte im Umgang mit kritischen Ansätzen hin analysiert.

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Menstruationsrituale: Kulturelle Zurichtung von Weiblichkeit

Artikel von Gabriele Rabenstein in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Zusammenfassung

In traditionalen Gesellschaften bestehen — wie an einem Beispiel aus Neuguinea demonstriert wird — häufig strenge Menstruationsrituale, durch welche der Vorgang der Menstruation tabuisiert und die jungen Frauen darüber in ihrem Frausein entwertet werden, was eine positive Verarbeitung der neuen Menstruationserfahrung, damit die Herausbildung einer weiblichen Identität, behindert. In den Industrienationen gibt es zwar keine fixierten Rituale mehr, aber die Menstruation wird dennoch durch die Art, wie davon die Rede ist, als etwas Unreines und Zu-Verbergendes tabuisiert, was z.B. in der Werbung für Binden und Tampons zum Ausdruck kommt. Auch in der Familie wird die erste Menstruation der Tochter eher als unvermeidliche Belästigung denn als neue Erfahrungs- und Lebensmöglichkeit eingestuft und dabei — wie an einer Mutter-Tochter-Beziehung aufgewiesen — der homo- und autoerotische Charakter der damit verbundenen sexuellen Impulse weggeleugnet. So soll auch auf diesem Wege — durch Entwertung ihrer Körperlichkeit — das Selbstbewußtsein der Frauen gebrochen und sollen sie so auf ihre inferiore Rolle in der Gesellschaft hin zugerichtet werden.

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Psychologisierung politischen Widerstands

Artikel von Peter Tzscheetzsch in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Der Artikel entstand im Zusammenhang mit dem 13. Autonomen Studentischen Psychologiekongreß im Nov. 1994 in Berlin. Die Freilassung langjähriger Gefangener aus der RAF wird davon abhängig gemacht, ob diese bereit sind, sich einem psychiatrischen Gutachten zu unterwerfen. Der Artikel kritisiert diese Praxis als politischen Mißbrauch der Psychologie und untersucht ideologiekritisch die inhaltlichen Anknüpfungspunkts, welche die Psychologie für solche Zwecke verwendbar werden läßt.

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Kolonisierung der Kindheit. Psychologische und psychoanalytische Entwicklungserklärungen

Artikel von Klaus Holzkamp in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Die gängigen psychologischen Konzepte zur Erklärung des Erwachsenen aus seiner Kindheit (z.B. Lerntheorien, Phasenlehren, Sozialisationstheorie, Psychoanalyse) werden als eindimensional-»kausalistisch« sowie in ihren normativen Gehalt (Entwicklung als Sollwert, Orientierung am »Normallebenslauf«) und auf die darin liegende »Ursprungslogik« expliziert. Zur Kritik dieser Position werden zunächst historische und ethnologische Ansätze dargestellt, aus denen sich die historisch gewordene »Fremdheit« des Kindes sowie die »westliche« Kulturspezifik der Konstruktion von Kindheit als Vorstufe des Erwachsenseins aufweisen läßt: Eine Vereinnahmung der kindlichen Erfahrungswelt, die zugespitzt als »Kolonisierung der Kindheit« gekennzeichnet wird. Dem wird eine »doppelperspektivische« Konzeption der eigenen Kindheit gegenübergestellt, in welcher das widersprüchliche Verhältnis zwischen »wirklicher« Kindheit und Kindheit als »symbolischer« Rechtfertigungsfigur der Erwachsenenexistenz unreduziert erhalten bleibt. Die theoretischen Konsequenzen aus dieser Sicht- und Denkweise werden diskutiert.

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Apartheid und die Psychologie Südafrikas

Artikel von Katrin Seifert in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Die Psychologie Südafrikas konnte aufgrund ihres überkommenen Theorie- und Methodenverständnisses dem Phänomen der Apartheid in der südafrikanischen Gesellschaft nicht mit analytischen Mitteln begegnen, sondern blieb in ihrer Forschung der binären Unterteilung in die sogenannte »schwarze« und »weiße« Rasse unterworfen: Sowohl das nationalistische als auch das liberale Modell verfingen sich daher in einem tautologischen Vorgehen, welches in der Grundannahme bereits voraussetzte, was es zu erklären vorgab. Da eine so verstandene Psychologie ihre eigenen begrifflichen Grundlagen nicht problematisieren kann, sondern ihre Wissenschaftlichkeit allein aus der — als anonym, unpolitisch und objektiv erachteten — experimentellen Methode beziehen will, konnte sich der Begriff »Rasse« Eingang in das wissenschaftliches Vokabular der südafrikanischen Psychologie verschaffen. Die Einbeziehung der Psychologie Südafrikas in ein Paradigma, welches die Problematisierung ihrer grundlegenden Kategorien vermied, sollte als ein spezifischer Fall die Notwendigkeit der Erarbeitung einer Psychologie demonstrieren, die über eine Vermittlung zwischen kontextueller Relevanz, Gegenstand und Wahrheitsanspruch von Wissenschaft die »rücksichtslose«, d.h. nicht durch herrschende Machtverhältnisse korrumpierbare Durchsetzung wissenschaftlicher Erkenntnis ermöglicht.

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Der weiße Elefant und andere nationale Tiere. Zu einigen entwicklungspsychologischen Voraussetzungen nationaler Orientierungen

Artikel von Athanasios Marvakis in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Es können zwei Richtungen der Erforschung der Entwicklung nationaler/politischer Orientierungen ausgemacht werden. Die erste Arbeitsrichtung arbeitet mit Dichotomien wie z.B. (normales) »Nationalbewußtsein« und (abweichender) »Nationalismus«; ihre Aufgabe sehen die Sozialwissenschaftler darin, die Demarkationslinie zwischen Normalität und Abweichung auszuweisen. Die zweite Arbeitsrichtung beschäftigt sich mit der Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses (bei Kindern). Im vorliegenden Text wird in drei Schritten auf die Fragestellung eingegangen. Zuerst werden die Untersuchungen von Piaget & Weil rezipiert. Der darin erreichte Kenntnisstand wird in weiteren Schritten ergänzt. Meacham & Riegel sehen eine Erweiterungsnotwendigkeit und schlagen vor, zu den von Piaget & Weil beschriebenen Prozessen der Dezentrierung auch komplementäre Vorgänge der Rezentrierung anzunehmen. Aus den Analysen der Kritischen Psychologie wird der weiterführende Vorschlag übernommen, das gesellschaftliche Denken und Handeln nicht auf eine »kooperativ-gesellschaftliche Vermitteltheit« zu beschränken. Perspektivenverschränkung kann nur ein notwendiger, nicht jedoch hinreichender Entwicklungsstand sein, um Interessenszusammenhänge und Verantwortlichkeiten, die sich aus der Zugehörigkeit zu historisch besonderen Formen von »Einzel-Gesellschaft« ergeben, »denkbar« zu machen.

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Das Konzept der „Kulturellen Differenz/Identität“: Eine andere Form der Rechtfertigung rassistischer Ausgrenzungspraxis?

Artikel von Roxana Mahdavi in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Zusammenfassung

In der gegenwärtigen Rassismus-Diskussion gilt es meist unbefragt als antirassistische Position, wenn man den biologistischen »Rassen«-Begriff durch das Konzept der »Kulturzugehörigkeit« ersetzt und die »kulturelle Differenz« und »kulturelle Identität« von Individuen aus verschiedenen Herkunftsländern zur Grundlage aller weiteren Überlegungen macht. In diesem Artikel wird — auf der Basis eines historisch entwickelten Konzeptes menschlicher Kultur — herausgearbeitet, daß mit solchen Denkweisen, da hier die »kulturelle Differenz/Identität« als mit der geographischen Herkunft, Sprache, Hautfarbe etc. notwendig mitgesetzt betrachtet wird, die Subjektivität der Betroffenen, ihre Möglichkeit, sich zu den vorgeprägten willkürlichen »Einteilungen« in verschiedene Kulturen bewußt zu »verhalten«, kulturdeterministisch ausgeklammert ist: Damit wird aber den Praktiken der westlichen Industrienationen, je nach ihren ökonomisch-politischen Interessen über »Ausländer« zu verfügen, sie willkürlich zu instrumentalisieren und/oder auszugrenzen, eine »wissenschaftlich« erscheinende Legitimation geliefert. Es soll deutlich werden, daß auch progressiv gemeinte Ansätze wie der des Multikulturalismus ohne Reflexion auf die potentielle Verfügungs- und Definitionsmacht der betroffenen Subjekte derartigen Vereinnahmungen durch die herrschenden Interessen nicht entgehen.

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Nationales Identitätsdenken und inzidentelle sprachliche Diskriminierung im öffentlichen Diskurs

Artikel von Mark Galliker, Franc Wagner und Brigitte Enders in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Zusammenfassung

Die Studie befaßt sich mit dem Verhältnis zwischen der Konstruktion nationaler Identität im neuen deutschen Diskurs und der Ausgrenzung von Menschen nicht-deutscher Herkunft. Anhand der Aussiedlungs- und Übersiedlungsdebatten im Deutschen Bundestag zur Zeit der Wende (1989/90) wird abgeklärt, welche Asylsuchenden und Immigranten durch die Politikerinnen und Politiker der Volksparteien sprachlich diskriminiert werden. Nachweisbar waren fast nur für die Beteiligten kaum wahrnehmbare beiläufige Diskriminierungen, die sich auf Immigranten und Asylsuchende aus der Dritten Welt beziehen, die in den untersuchten Debatten nicht eigentliches Thema waren. Diese inzidentellen Diskriminierungen werden auf dem Hintergrund der Sprechakttheorie diskutiert.

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Rassismus und das Unbewußte in psychoanalytischem und kritisch-psychologischem Verständnis

Artikel von Klaus Holzkamp in Forum Kritische Psychologie 35 (1995).

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Zusammenfassung

Angesichts der heute üblichen weitgehenden Gleichsetzung von psychologischen und psychoanalytischen Beiträgen zur Erklärung des Rassismus werden die konzeptuellen Voraussetzungen der psychoanalytischen Rassismus-Deutungen kritisch herausgearbeitet und auf die der »therapeutischen« und der ethnopsychoanalytischen Variante gemeinsamen »Selbstverständlichkeiten« zurückgeführt: Die »Infantilisierung« des Problems unter Ausklammerung intersubjektiver Verständigung, damit die Leugnung gemeinsamer gesellschaftlicher Verantwortung. Dem wird ein subjektwissenschaftliches Rassismus-Konzept gegenübergestellt, in welchem die »protorassistische« Ausgrenzung von »Rassisten«, damit Suspendierung der Wissenschaft von ihrer Mitverantwortung, aufgehoben ist. Dabei wird individueller Rassismus als Resultat eines unbewußten, selbstschädigenden Arrangements mit dem herrschenden »Staatsrassismus« (Foucault) betrachtet, werden subjektive Handlungsmöglichkeiten als Gegenstrategien gegen die staatsrassistischen Bedrohungen/Bestechungen durch Involviertsein in Mehrheits-Minderheits-Anordnungen diskutiert und von da aus Reinterpretationen der psychoanalytischen Rassismustheorien versucht.

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