Forum Kritische Psychologie 54

Diskurse um Pädophilie
Kindheitssoziologie
„Integration“ und Ausgrenzung

Inhalt

Editorial

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Erich Wulff
Überlegungssplitter zum Thema Pädophilie

Michael Zander
Zur Problematik der Pädosexualität. Einspruch gegen den Beitrag Erich Wulffs

Hartmut Böhm
Väter als Täter

Diederik F. Janssen
Die Medikalisierung von Meinungen: verzerrtes Denken und der klinische gesunde Menschenverstand

Susanne Achterberg
Das sexuell kompetente Kind und Sexualität als Grenze zwischen Kindern und Erwachsenen

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Athanasios Marvakis
Integration: Versprechen, Kampffeld und Chimäre

Kurt Bader
Probleme einer wissenschaftlichen Begleitung

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Marcel Thiel
Probleme selbstbestimmten Lernens in der neoliberalen Dienstleistungshochschule am Beispiel eines autonomen Seminars zur Kritischen Psychologie. Ergebnisse eines Forschungspraktikums

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Autorinnen und Autoren

 

Rubrik: Neuerscheinungen | Tags:

Kritische Psychologie: Get ready for the floor

Wie man mit Psychologie die Verhältnisse zum Tanzen bringt

Veröffentlicht in: AStA der Freien Universität, Referentinnenrat der Humboldt-Universität & AStA der Alice Salomon Hochschule (Hrsg.). Stud_kal 2010 2011, 188-193.

Ellen Reitnauer und Christian Küpper

Die Bereiche der Gesellschaft, in die Psychologie heute hineinwirkt (und umgekehrt) sind vielfältig. Es lassen sich über die therapeutische Couch und Experimente an Ratten und Tauben hinaus viele Beispiele anführen, die größere Bekanntheit erlangt haben. Neben den Feldern, in denen Psychologie meist als irgendwie „neutrale“ Wissenschaft gedacht wird (wie z.B. bei den Forschungen zur Funktionsweise des Gehirns oder zu Evolutionsprozessen, dem intensiv betriebenen Einsatz von Fragebögen, Assessment Centern o.ä.) gibt es das Bild der Psychologie als „helfender“ Wissenschaft, die sich etwa der Behandlung von Depressionen, AD(H)S, Stress und Burnout annimmt. Andererseits prägen Negativschlagzeilen wie die Beteiligung von Psycholog_innen an der Entwicklung von Methoden psychischer Folter das Bild der heutigen Psychologie als einer Art „Geheimwissen“ zur Manipulation von Menschen, vor dessen Anwendung im alltäglichen Zusammentreffen mit Psycholog_innen sich viele zu fürchten scheinen („Du bist Psychologiestudentin? Oje – Jetzt muss ich  aufpassen, was ich sage…“).

Diese Unklarheit über die Rolle und Reichweite psychologischer Wissenschaft ist nicht neu. Ähnlich sahen sich bereits im Zuge der „Studentenbewegung“[1] viele Studierende, Praktiker_innen und Forschende vor die drängende Frage gestellt, welche Funktion die Psychologie denn gesellschaftlich bediene. Sie kamen zu dem ernüchternden Schluss, dass die Psychologie die als kapitalistisch analysierten Verhältnisse befestige und somit zur permanenten Erzeugung von Repression, Ausschluss, Armut und Leid beitrage.

Einige radikalisierten diese Vorstellung dahingehend, dass die Psychologie als Ganzes nichts anderes als Ideologie kapitalistischer Verhältnisse und lediglich „Instrument der Herrschenden“ sein könne. Diese Überzeugung mündete folgerichtig in die Forderung nach der „Zerschlagung“ der Psychologie.[2]

Andere bemühten sich demgegenüber um eine Entwicklung des Faches in psychologie- und gesellschaftskritischer Perspektive. Aus diesen Zusammenhängen bildete sich an der FU Berlin um Klaus Holzkamp und Ute Osterkamp eine Arbeitsgruppe, die den Grundstein für die Kritische Psychologie legte. In dem Bewusstsein, dass es keine neutrale Wissenschaft geben könne, da jede Wissenschaft ihre Erkenntnisse interessengeleitet produziere, machte die Kritische Psychologie bereits während ihrer Anfänge den eigenen parteilichen Anspruch deutlich: „Emanzipatorisch relevant wäre psychologische Forschung, sofern sie zur Selbstaufklärung des Menschen über seine gesellschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten beiträgt und so die Voraussetzungen dafür schaffen hilft, dass der Mensch durch Lösung von diesen Abhängigkeiten seine Lage verbessern kann“ (Holzkamp). Hinzu kam die Orientierung an der Marxschen Erkenntnis, dass Menschen nicht nur Produkte sondern auch  Produzent_innen ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse sind, in die sie stets eingebunden bleiben. Die Kritische Psychologie hat eben diese Erkenntnis sozusagen „psychologisch ausbuchstabiert“ und dabei die Frage gestellt, wie sich diese Eingebundenheit der Menschen in die Gesellschaft gestaltet und vor allem: jeweils gestalten lässt. Im Ergebnis einer langjährigen Auseinandersetzung mit den vorfindlichen psychologischen Konzepten und Methoden entstand schließlich ein begriffliches und methodologisches Instrumentarium als paradigmatische Grundlage für eine Psychologie, deren zentrales Anliegen es ist, Beiträge zur Verbesserung der gegenwärtigen Lebensverhältnisse zu liefern.

In der Kritischen Psychologie nimmt der Mensch als Subjekt dabei eine zentrale Stelle ein. Sie versteht sich deshalb auch als marxistische Subjektwissenschaft. Beforscht wird hierbei (anders als in gängigen psychologischen Ansätzen) allerdings nicht das Subjekt selbst, sondern „die Welt, wie das Subjekt sie – empfindend, denkend, handelnd – erfährt“ (Markard). Die Kritische Psychologie geht davon aus, dass die individuelle Existenz gesellschaftlich vermittelt ist und hat sich genauer damit befasst, wie die unmittelbare Erfahrung vom Standpunkt des Subjekts auf ihren gesellschaftlichen Gehalt hin durchdrungen werden kann. Um dies im Einzelfall genauer untersuchen zu können, wurde ein Analyseschema entwickelt. Darin sind mehrere Ebenen benannt, entlang derer sich diese wechselseitige Verwobenheit systematisch aufschlüsseln lässt. Im Zentrum der Betrachtung steht die Ebene der subjektiven Handlungsgründe. Indem Menschen ihr Fühlen, Denken und Handeln in ihren Lebensverhältnissen gründen, ist hier ein direktes Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft angesprochen: Die eigenen Lebensverhältnisse mit all den Gegenständen des täglichen Gebrauchs sind wiederum nur ein Ausschnitt aus der Gesamtheit gesellschaftlicher Bedingungen, die für das Subjekt die Bedeutungen von Denk- und Handlungsmöglichkeiten annehmen. Dabei stehen den Möglichkeiten gesellschaftliche Behinderungen gegenüber, d.h. Denk- und Handlungsbehinderungen aufgrund von Herrschaftsverhältnissen und gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen, die den jeweiligen Möglichkeitsraum zum Teil weit reichend einschränken. Einige der Möglichkeiten und Behinderungen bleiben jedoch zunächst unerkannt. Diese so gefassten Lebensbedingungen (Ebene der Bedingungen und Bedeutungen) macht das Subjekt zu den Prämissen des eigenen Fühlens, Denkens und Handelns. Die „Entscheidung“, worauf der Akzent bei der Prämissenwahl gelegt wird, orientiert sich an den eigenen Lebensinteressen und ist dabei oft nicht bewusst, d.h. die Gründe für das eigene Fühlen, Denken und Handeln sind nicht immer offensichtlich und müssen im Forschungsprozess erst herausgearbeitet werden (die bereits genannte Ebene der subjektiven Handlungsgründe bzw. Prämissen-Gründe-Zusammenhänge). Ziel der Forschung ist es, mit der Frage nach Handlungsfähigkeit die eventuell verloren gegangenen gesellschaftlichen Bezüge individuellen Handelns wieder sichtbar zu machen sowie die individuellen und kollektiven Handlungsspielräume auszuloten – es geht um die Erarbeitung von Handlungsmöglichkeiten, die ein Subjekt in einer bestimmten Situation nutzbar machen kann, um die Verfügungsmöglichkeiten über die je relevanten Lebensbedingungen für sich und andere zu erweitern. Da individuelle Erfahrung und gesellschaftliche Strukturen, wie angedeutet, eng verzahnt sind, bedarf es immer auch der Bezugnahme auf gesellschaftstheoretische Analysen.

Die akademische Situation der Kritischen Psychologie ist prekär. Infolge der politisch motivierten Verdrängung verschiedener Spielarten kritischer Wissenschaften und des damit einhergehenden Stellenabbaus sowie der Umstellung des Diplomstudienganges auf das Bachelor-Master-System ist von der früheren Verankerung an der FU leider nicht mehr viel geblieben. Gegenwärtig wird die Kritische Psychologie hier vom größtenteils unbezahlten Engagement von Prof. Morus Markard und Dr. Gisela Ulmann getragen. Daneben organisierten in den vergangenen Jahren interessierte Studierende autonome Seminare zu Fragen und Problemen der Kritischen Psychologie. Die Versuche, der Kritischen Psychologie eine neue (institutionelle) Heimat zu geben, führten zur Gründung der Gesellschaft für subjektwissenschaftliche Forschung und Praxis (GSFP) und neuerdings zur Assoziation Kritische Psychologie.

Einführende und vertiefende Texte zur Kritischen Psychologie finden sich auf den Seiten der GSFP: www.kritische-psychologie.de

Wichtige Werke sind neben der „Grundlegung der Psychologie“ (Klaus Holzkamp) unter anderem die „Einführung in die Kritische Psychologie“ (Morus Markard) und „Über den Umgang mit Kindern“ (Gisela Ulmann).

[1] Wir sehen das Wort „Studentenbewegung“ als historisch geprägten Begriff und verzichten daher auf die Schreibweise mit Unterstrich. Durch die Kennzeichnung als Zitat distanzieren wir uns von dem vermännlichenden Blick auf die 1968er-Bewegung.

[2] So geschehen zum Beispiel auf einem „Kongress kritischer und oppositioneller Psychologen“ in Hannover 1969.

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Vermitteltes Erkennen der Welt. Lernen nach Sergei L. Rubinstein

Artikel von Manolis Dafermos und Athanasios Marvakis in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

Download: FKP_53_Manolis_Dafermos_Athanasios_Marvakis

Zusammenfassung

Dieser Beitrag nähert sich dem Phänomen ‚Lernen’, wie es in den Arbeiten von Sergei L. Rubinstein (1889-1960) entwickelt wurde. Rubinstein war für Jahrzehnte einer der exponiertesten Figuren der sowjetischen Psychologie, dessen wissenschaftliche und organisatorische Arbeit dazu beitrug, dass sie ihre Autonomie erhielt und in den späten 1940ern nicht zu einer Abteilung der Physiologie degradiert wurde. Rubinstein wollte insgesamt zu einer Wende in den Humanwissenschaften beitragen, weg von einem unpersönlichen und subjektlosen und hin zu einem anthropologisch-subjektiven Zugang. Seit den 1920ern versucht er eine philosophisch-anthropologische Ontologie zu formulieren und hierbei der Kategorie des Subjekts Anrechte zu sichern. Sein Ansatz gründet auf der These, dass es nicht das Bewusstsein, das Psychische, die Aktivität, etc. ist, das die Welt widerspiegelt, sondern das konkrete Subjekt.

Rubinstein wollte mit seiner Lernkonzeption eine theoretische Grundlage erarbeiten, die zur Reorganisation des Erziehungs- bzw. Bildungsprozesses beitragen konnte. Es müsste sich dabei um eine solche Reorganisation handeln, die es erlauben würde, die Lerner darin nicht nur als aktive Teilnehmer aufzufassen, sondern eben auch als Subjekte des Lernens bzw. als Subjekte beim Lernen.

Summary: Mediated getting-to-know-the-world – Approaching learning with S. L. Rubinshtein

The goal of our presentation is to approach the process and activity of “learning” relying on the work of Sergei Leonidovich Rubinshtein (1889-1960) who was one of the grand old figures of psychology in the Soviet Union. His work helped Soviet Psychology to retain its autonomy, i.e. to survive the concerted efforts made (in the late 1940’s) to reduce it as a discipline to a mere branch of physiology. Rubinshtein contributed in shifting the paradigm of the human sciences from an impersonal and subjectless one to an anthropological subjective one. He worked since the 1920s on a philosophical-anthropological ontology staking claims for the category of the “subject”. His approach was founded on the thesis that it is not consciousness, the psyche, activity, etc., which reflect the world, but it is concrete subjects.

Thus, Rubinshtein’s conceptualization of learning offers theoretical grounds for the reorganization of educational processes rendering learners not only as active participants, but also as subjects of/in it.

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Die passenden Studierenden für ein verschultes Studium?

Artikel von Vanessa Lux in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

Download: FKP_53_Vanessa_Lux

Zusammenfassung

Mit dem Bologna-Prozesses soll das europäische Hochschulsystem vergleichbar und konkurrenzfähig werden. Dafür werden die nationalen Bildungseinrichtungen grundlegend umgestaltet. Zu den größten Veränderungen neben Studiengebühren gehören die Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge und zusätzlicher Zulassungsbedingungen wie etwa Studierfähigkeitstests. Im Beitrag werden diese Entwicklungen für die Psychologie-Studiengänge sowie ihre diagnostischen und lerntheoretischen Grundlagen diskutiert. Denn die institutionellen Veränderungen sind keineswegs inhaltlich neutral: Emanzipatorische Ansätze und Psychologiekritik werden aus den Studieninhalten systematisch entfernt; die Einführung von Studierfähigkeitstests als weiteres Selektionsinstrumt kann als faktische Durchsetzung psychologischer Eignungsdiagnostik gewertet werden; und die Verschulung der Bachelor-Studiengänge führt zur Übernahme des „Lehr-Lern-Kurzschlusses“ (Holzkamp) für die Hochschulen wie der Schaffung eines Lernklimas, in dem die Verfolgung eigener Lerninteressen fast schon zum bildungspolitischen Widerstand wird.

Summary: Selecting Fitting Students for a Much More School Like University? Student Assessment Tests and Modularization as Implementation of the Bologna Process in Psychology

The Bologna Process is intended to create a more comparable and competitive European college system. For this, the national systems of Higher Education are to be changed fundamentally in European Countries. The most fundamental changes in Germany besides the introduction of tuition fees are the implementation of the Bachelor and the Master as well as of new admission requirements like student assessment tests. The author discusses these developments and the diagnostic and learning theories, they are based on. It is shown, that the structural changes are not neutral to the content: Progressive approaches and critiques of Psychology are systematically erased; the implementation of the student assessment test can be seen as a consolidation of diagnostics of suitability; and the more school like organization of the curriculum produces a learning atmosphere, where just following own learning interests becomes oppositional.

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Wenn sich Therapie nicht lohnt: Gesundheit als ökonomisches Optimierungsproblem?

Artikel von Joseph Kuhn in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

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Zusammenfassung

Im Gesundheitswesen ist zurzeit eine durchgreifende Ökonomisierung festzustellen. Es ist daher notwendig, einen Diskurs zur Rolle ökonomischer Kalküle bei Entscheidungen im Gesundheitswesen zu institutionalisieren. Marktradikalismus ist eine Strategie, einen solchen Diskurs zu delegitimieren. Der Artikel kommentiert einen Beitrag von Erich Wulff in FKP 51.

Summary: When therapy doesn´t pay off: Health as an object of economic optimization?

Throughout the health care system an increasing emphasis on an economic rationale in decision making can be observed. Therefore this paper argues, the discourse on the role of economic principles in decision making in health care needs to be institutionalised. The application of free market theories to the health care system undermines the legitimation of such a discourse. This paper comments on a contribution by Erich Wulff in FKP 51.

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Jugendliche „Intensivtäter/innen“ – Argumente gegen die Personalisierung mehrfacher strafrechtlicher Auffälligkeit

Artikel von Lorenz Huck in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

Download: FKP_53_Lorenz_Huck

Zusammenfassung

Der auf der Dissertation des Autors basierende Beitrag befasst sich mit Problemen, die mit kriminellen Handlungen mehrfach auffälliger Straftäter/innen, sogenannter „Intensivtäter/innen“, zusammenhängen. Politische Hintergründe werden erörtert, Theorien des kriminologischen Mainstream werden kritisiert und reinterpretiert; schließlich werden einige Ergebnisse aus Interviews mit inhaftierten, jugendlichen Straftäter/innen dargestellt. Der Autor wendet sich gegen individualistische Deutungen. Er versteht die kriminellen Handlungen von „Intensivtäter/innen“ als Versuch, sich aus einer Position gesellschaftlicher Marginalisierung zu befreien.

Summary: Juvenile multiple recidivists (so called „Intensivtäter“) – some arguments against the personalisation of repeated offending

The article summarizes the author´s dissertation: It deals with problems related to criminal actions taken by multiple recidivists, so called „Intensivtäter“. Political backgrounds are discussed, mainstream criminological theories are reinterpreted and criticized; some results of interviews with young, imprisoned offenders are presented. The author repels individualistic interpretations. He views the „Intensivtäter“´s actions as attempts to free themselves from a position of social marginalization.

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Konzepte und Probleme kritisch-psychologischer Praxisforschung. Versuch einer Antwort auf Ute Osterkamps Kritik des „Ausbildungsprojekts Subjektwissenschaftliche Berufspraxis“

Artikel von Morus Markard in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

Download: FKP_53_Morus_Markard_1

Zusammenfassung

Kritisch-psychologische Praxisforschung wird in ihrer Ausgangsfragestellung, einigen Ergebnissen und in ihrer Entwicklung bis hin zu studentischer Praxisforschung dargestellt. Das Konzepts des gesellschaftlich-subjektives Zusammenhangs- und Widerspruchswissens, „Prämissenspekulationen“ / Prämissenklärungen, Schwierigkeiten beim Aufbrechen von Routinen, das Verhältnisses von individuellen und gesellschaftlichen Dimensionen psychologischer Probleme, Kommunikationsprobleme in der Praxis, das Verhältnisses von Daten und (vorschnellen) Deutungen, Lerninteressen und ‑probleme von Studierenden in Praktika, die Funktion subjektiver Theorien in der Praxis werden diskutiert. Mit dieser Diskussion wird Ute Osterkamps Kritik an der Arbeitsweise des „Ausbildungsprojekts subjektwissenschaftliche Berufspraxis“ (FKP 52) Punkt für Punkt zurückgewiesen. Außerdem wird je konkret aufgezeigt, dass der Stil der Kritik Ute Osterkamps inhaltlich nicht auf soziale Selbstverständigung und gemeinsames Lernen, sondern auf Abwertung aus ist und konkrete Textarbeit durch abstrakte Verlautbarungen ersetzt.

Summary: Concepts and Problems of Critical-psychological Practice Research. Reply to Ute Osterkamp’s Critique of the „Training Project ‚Subject-scientific Professional Practice'“

The development of critical-psychological practice research — its starting point, some major findings and its ramification as students‘ practice research — is followed. Concepts such as „societal-subjective knowledge of relationships and conflicts“, „speculations on“ vs. „explications of premises“, difficulties in breaking routines, relations of individual and social dimensions of psychological problems, problems of communicating about practice, relations between data and (hasty) interpretations, students‘ learning interests and problems in periods of practical training, the practical function of subjective theories etc. are being discussed. Against this background, Ute Osterkamp’s critique of the working method of the „Training project ‚Subject-scientific professional practice'“ (cf. FKP 52) is refuted step-by-step. Besides, it is demonstrated that the style of Ute Osterkamp’s critique, by substituting abstract claims for concrete text analyses, is not aimed at an intersubjective understanding and mutual learning, but rather at deprication.

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Forum Kritische Psychologie 53

Praxisforschungs-Kontroverse
„Intensivtäter“ – eine empirische Studie
Theorie: Lernen, Emanzipation, Subjektivierung der Arbeit
Analysen und Stellungnahmen: Studierfähigkeit, Gesundheitspolitik, Eigenverantwortung, Reparaturarbeiten

Inhalt

Editorial

Michael Zander
Zum Tode Detlev Klingenbergs (1934-2008)

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Morus Markard
Konzepte und Probleme kritisch-psychologischer Praxisforschung. Versuch einer Antwort auf Ute Osterkamps Kritik des „Ausbildungsprojekts Subjektwissenschaftliche Berufspraxis“

Lorenz Huck
Jugendliche „Intensivtäter/innen“ – Argumente gegen die Personalisierung mehrfacher strafrechtlicher Auffälligkeit

Joseph Kuhn
Wenn sich Therapie nicht lohnt: Gesundheit als ökonomisches Optimierungsproblem?

Vanessa Lux
Die passenden Studierenden für ein verschultes Studium?

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Manolis Dafermos und Athanasios Marvakis
Vermitteltes Erkennen der Welt. Lernen nach Sergei L. Rubinstein

Jost Vogelsang
Neue Subjektivierung der Arbeit? Neue Formen der Arbeitsorganisation in subjektwissenschaftlicher Perspektive

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Christian Küpper
‚Psychologie reicht ans Grauen nicht heran’ – Adorno zu Individuum und Gesellschaft (Werkstattpapier)

Einwürfe

Frigga Haug
Woher kommen all diese Reparaturarbeiten? Eine Theorie der Sozialarbeit braucht eine Sozialtheorie von Gesellschaft

Morus Markard
Eigenverantwortung und Privatisierung

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Autorinnen und Autoren

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Eigenverantwortung und Privatisierung

Artikel von Morus Markard in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

Download: FKP_53_Morus_Markard_2

Zusammenfassung

Während „Privatisierung“ einen realen gesellschaftlichen Prozess bezeichnet, ist „Eigenverantwortung“ eine rhetorische Figur, deren ideologische und psychologisierende Funktion im Zuge der Privatisierung an Beispielen (Sozialgesetzbuch, Berliner Schulgesetz, Hartz-IV, Hochschule) untersucht wird. Es wird gezeigt, dass der Appell zur Eigenverantwortung Selbstbestimmung in umfassender Fremdbestimmung impliziert, Verantwortung von Handlungsfähigkeit trennt, die Fiktion des autonomen Individuums bedient und eine aktuelle Variante der Zumutung bedeutet, objektive Beschränkung in subjektive Beschränktheit umzudeuten.

Summary: Personal Responsibility and Privatization

While „privatisation“ refers to a real societal process, „personal responsibility“ denotes a figure of rhetoric. Drawing on a number of examples (from the code of social law, the Berlin school legislation, Hartz IV, universities), this rhetoric is analysed with regard to its ideological and psychologizing function in the context of privatisation. It is shown that the appeal to personal responsibility (a) suggests the possibility of self-determination under circumstances of general external control, (b) isolates responsibility from the individual’s capacity to act, (c) serves the fiction of an autonomous individual, and (d) expresses a current variant of misrepresenting objective limitations as subjective limitedness.

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Woher kommen all diese Reparaturarbeiten? Eine Theorie der Sozialarbeit braucht eine Sozialtheorie von Gesellschaft

Artikel von Frigga Haug in Forum Kritische Psychologie 53 (2009).

Download: FKP_53_Frigga_Haug

Zusammenfassung

Frigga Haug positioniert die neuen Aufgaben von Sozialarbeit in den Kontext der Umbrüche im neoliberalen High-tech-Kapitalismus. Dafür stellt sie einen Roman über Arbeitslosigkeit vor und skizziert die allgemeine Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften, um eine grundlegende Verkehrung aufzuzeigen: nämlich die Herrschaft der Produktion der Lebensmittel und ihre profitbringende Organisation über die Produktion des Lebens selbst. Sie zeigt, dass diese Entwicklung den Sektor der sozialen Arbeit ungeheuer anschwellen lässt ebenso wie das Elend der Vielen. Dies macht es nötig, eine Utopie zu entwerfen – die Vier-in-einem-Perspektive – welche die allgemeine Arbeitsteilung, das politische Engagement, das Zeitregime, das die Entwicklung der einzelnen behindert, zu ändern. Dies wird auch die Sozialarbeit anders ausrichten.

Summary: Where do all these repairworks come from? A Theory of Social Work needs a Social Theory of Society

Frigga Haug positions the new tasks of social labour within the ruptures of neoliberal hightech-capitalism. For this she rereads a novel on unemployment, and summarizes the general development of capitalist societies to show a fundamental reversal: the domination of the production of the means of life and their organisation for pofit`s sake over the production of life itself. She shows that the development ends in an enormous increase of social work, and a growing misery of many. This leads to the consequence to draw a utopy – the Four-in-one-perspective – which is formulated to change the division of labour, the engagement in politics, the spending of time the development of each – this is meant to also determine social work.

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