Vergesellschaftung als Bewußtseinsakt

Artikel von Erich Wulff in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Vergesellschaftung ist nicht nur ein – bei Erwachsenen – schon abgeschlossener gattungs-, gesellschafts- und individualhistorischer Vorgang. Gesellschaftsbezogenes Handeln bedarf zudem eines Bewußtseinsaktes, der die Gesellschaftsbezogenheit des menschlichen Erfahrungsfeldes erst eröffnet und dann ständig offenhält. Dieser Bewußtseinsakt wird als Akt des anerkennenden Sein-Lassens der dimensionalen Aufeinanderbezogenheit von persönlichem Sinn und verallgemeinerbarer Bedeutung, von subjektiven Handlungsgründen und verallgemeinerten Handlungsmöglichkeiten („Prämissen“) – in anderer Terminologie: der Teilhaftigkeit des für-mich- und für-andere-Seins alles Begegnenden – beschrieben. Dieser vergesellschaftende Bewußtseinsakt wird vom Wahnsinnigen nicht vollzogen.

Summary: Socialsation / Societalisation as an act of consciousness

Socialisation (or societalisation) is not just an evolutionary, social-historical and ontogenetic process that is completed once and for all (in the adult). Action relating to society requires, moreover, an act of consciousness that first creates and then maintains the societal nature of the human field of experience. This act of consciousness is described as an act of acknowledging and accepting (Seinlassen) the interconnectedness of personal sense and objective meaning, of subjective grounds for action and generalised possibilities („premisses“) for action – or, in other words, it is participation in the being-for-self and the being-for-other of all that is encountered. This socialising act of consciousness is never consummated by those who are insane.

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Erklären, Verstehen und die Kritische Psychologie

Artikel von Charles W. Tolman in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Das Problem der Erklärung, obgleich für wissenschaftliche Praxis zentral, wird von der nordamerikanischen Psychologie weithin vernachlässigt. Die Untauglichkeit der in statistischen Methoden implizierten Kausalerklärung für intentionales Handeln läßt sich leicht demonstrieren. Der „praktische Syllogismus“ bietet eine tragfähigere Basis für Erklärungen, erfordert aber eine Aufschlüsselung des Kontextes, aus dem seine Prämissen bezogen werden. Die gesellschaftlich-historische Analyse der Kritischen Psychologie erfüllt diese Funktion und liefert so befriedigendere Erklärungen als der psychologische Hauptstrom.

Summary: Explaining, Understanding and Critical Psychology

The problem of explanation, though central to the scientific endeavour, is much neglected by North American psychology. The inadequacy of the causal explanation implied in statistical methods is easily demonstrated for intentional action. The „practical inference“ provides a sounder basis for explanation but requires an elaboration of the context from which its premises are drawn. The social-historical analysis of Critical Psychology serves this function, thus providing more satisfactory explanation than mainstream psychology.

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Psychology, subjectivity and resistance

Artikel von Ian Parker in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Summary

The work of Foucault draws attention to two complementary processes in modern society – discipline and confession – that make our discipline of psychology fit so well with it. This paper describes the way in which Foucault’s account may be useful for a critical psychology, and it focuses on two possible consequences for the future of critical work: (i) the development of information technology may not have brought us to the end of the modern age Foucault described and into a ,postmodern‘ condition, but it has created, in cyberspace, new places for new psychologies; (ii) whatever happens with new technology, there will always be the problem that psychologists pretend to be experts on other peoples‘ minds, and that they use scientific language to categorise pathology. Many varieties of ‚pathology‘ look very different, however, from the point of view of those who are so labelled, and there are self-help movements, of those who ,hear voices‘ for example, which provide an empowering alternative to psychological models. The group ,Psychology Politics Resistance‘ aims to link these self-help movements and critical psychologists against discipline.

Zusammenfassung: Psychologie, Subjektivität und Widerstand

Foucaults Werk lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei komplementäre Prozesse in der modernen Gesellschaft – Disziplin und Beichte -, die unsere psychologische Wissenschaft für sie so geeignet sein lassen. Der Artikel beschreibt, wie Foucaults Erklärungsansatz für eine kritische Psychologie fruchtbar gemacht werden kann, und er konzentriert sich auf zwei denkbare Konsequenzen für die Zukunft kritischen Arbeitens: (i) die Entwicklung der Informationstechnologie muß uns nicht, wie von Foucault beschrieben, ans Ende der Moderne und in eine „postmoderne“ Situation geführt haben, sondern sie hat womöglich im „Cyberspace“ neue Räume für neue Psychologien eröffnet; (ii) was auch immer mit der neuen Technologie geschieht, es wird stets das Problem bestehen, daß Psychologen vorgeben, Experten für das Bewußtsein anderer Menschen zu sein, und daß sie Wissenschaftssprache gebrauchen, um Pathologie zu kategorisieren. Viele Arten von „Pathologie“ nehmen sich jedoch vom Standpunkt derer, die so etikettiert werden, ganz anders aus, und es gibt Selbsthilfebewegungen (beispielsweise von solchen, die „Stimmen hören“), die eine selbst-ermächtigende Alternative zu psychologischen Modellen bieten. Die Gruppe „Psychologie-Politik-Widerstand“ zielt darauf ab, diese Selbsthilfebewegungen und kritische Psycholog/-innen gegen die Disziplin zu verbünden.

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On Learning

Artikel von Jean Lave in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Summary

„Learning“ could be considered a complex, transformational facet of everyday life. „Apprenticeship“ might be an apt term for this. The paper is about the learning-apprenticeships of everyday life in two ways: lt is an account of one long transformational process, the process by which my understanding of learning has changed over 20 years. I try to show how this has occurred in participation in the overlapping communities of practice that affect my work. It is also an account of major theoretical questions and issues in debates on the social character of learning, leading to suggestions about next steps and new issues.

Zusammenfassung: Lernen

„Lernen“ sollte als komplexes Moment der Veränderung im Alltagsleben betrachtet werden. „In die Lehre gehen“ mag ein hierfür ein angemessener Begriff sein. Der Text behandelt Verhältnisse des Lernens/ Lehrling-Seins auf zweifache Weise: Er berichtet über den langwierigen Veränderungsprozeß, in dessen Verlauf von 20 Jahren sich mein Verständnis von Lernen gewandelt hat. Ich versuche zu zeigen, wie dies durch die Teilhabe an sich überlagernden Praxisgemeinschaften, die meine Arbeit beeinflußten, bewerkstelligt wurde. Der Text legt zum anderen zentrale theoretische Problemstellungen und Streitfragen in den Debatten über den gesellschaftlichen Charakter des Lernens dar und führt so zu Vorschlägen für neue Fragestellungen und Schritte.

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Über die Einübung politischer Praxis

Artikel von Michael Zander in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Daß das Eintreten für politische Veränderungen nach wie vor nötig und nur in organisierter Form wirksam ist, dürfte innerhalb der Linken unstrittig sein. In diesem Text geht es mir darum aufzuzeigen, worin die – oft recht widersprüchliche – „Praxis“ innerhalb politischer Organisationen besteht. Zunächst schildere ich den Anteil dieser Praxis, der sich auf Kooperation mit den jeweils anderen Mitgliedern richtet. Dazu gehören u.a. die oft wiederkehrenden Konflikte zwischen langjährigen und neuen Mitgliedern, die Problematik einer sich herausbildenden „political correctness“‚ sowie die Frage, wie die gestellten Aufgaben unter den einzelnen aufgeteilt werden. Anschließend weise ich auf die problematischen „Muster“ hin, auf die man verfallen kann, wenn man sich bemüht, andere für ein politisches Anliegen zu gewinnen. Das zentrale Problem dieser „Muster“ scheint mir zu sein, daß mit ihnen ein taktisches Verhalten gegenüber den Angesprochenen in Kauf genommen wird. Ein Ansatzpunkt zur Überwindung solcher Muster besteht, so meine These, darin, daß man sich und anderen die Motive für das eigene Handeln verdeutlicht. Insoweit dieses Handeln den eigenen Interessen, Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht wird, kann politisches Eingreifen eine reale Option zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse werden.

Summary: Training political praxis

It should be undisputed on the Left that, now as before, it is necessary to advocate political change and that it is only effective in an organised form. In this paper I intend to show what the – offen rather contradictory – praxis of political organisations consists of. First, I describe the Part of this praxis which is directed at cooperating with the other members. To this belong, among other things, the offen recurring conflicts between new and old members, the problems of the formation of „political correctness“, and the question of how the present tasks are distributcd between individual members. Then I refer to the problematic „patterns“ one may fall into while attempting to win others for a political cause. The central problem of these „patterns“ seems to me to be that along with it a tactical relationship to the addressed persons is thrown in. I contend that one approach to overcome such pattems consists in elucidating for oneself and others the motives of one’s own actions. In so far as the action is in accordance with one’s own interests, needs and capabilities, political intervention may become a real option to change societal relationships.

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Zum Thema „Evaluation universitärer Lehre“

Artikel von Josef Held in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Aus der Kritik an der „zensierenden“ und „fachunspezifischen“ Evaluation von Lehre werden Möglichkeiten entwickelt, Evaluation als gemeinsames Forschungsprojekt von Studierenden und Lehrenden im Psychologiestudium zu entwickeln. Über eine der Möglichkeiten, Vorlesungen durch Protokolle inhaltlich zu evaluieren, wird hier berichtet. Es wird der konkrete Ablauf, Probleme und deren mögliche Lösung, sowie Ergebnisse dargestellt.

Summary: On evaluating „academic teaching“

On the basis of a critique of models for the evaluation of teaching which focus on „grading“ the teaching and bear no relation to the evaluated discipline, we elaborate possibilities for developing evaluation into a joint research project for students and faculty in the study of psychology. We give an account of one such possibility, namely, to evaluate lectures qualitatively by producing summary reports about them. We present the concrete course, problems and their optional resolution, as well as results of working with such reports.

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Nachdenken über Professionalität und Kompetenz in schwierigen Zeiten

Artikel von Wolfgang Hucklenbroich in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Wenn in Zeiten des „Sparzwangs“ zunehmend die Verbetriebswirtschaftlichung öffentlicher Aufgaben und damit auch sozialer Arbeit betrieben wird, gewinnen die (quantitativen) Kriterien wirtschaftlicher Effizienz zunehmend an Bedeutung. Es besteht die Möglichkeit, daß sie die (qualitativen) Kriterien der Effektivität sozialer Arbeit (scheinbar) übertreffen. Damit ist die Frage der beruflichen Professionalität und Kompetenz aufgeworfen. Sich pragmatisch an „Sachzwängen“ leerer Kassen anzupassen, (Entwicklungs-) Bedürfnisse von Klienten zu verneinen und schließlich „Ettikettierungen“ vorzunehmen oder die Voraussetzungen von Sozialpolitik zu hinterfragen, Lebensbedürfnisse als berechtigt anzuerkennen und beruflich Kompetenz nicht durch wirtschaftliche Zwänge verflachen zu lassen – das ist die Frage. Dabei ist unkritisches Übernehmen betriebswirtschaftlicher Konzepte der „Kundenorientierung“, „Dienstleistung“, „Planung, Budgetierung und Evaluierung“ ebenso zu vermeiden wie das Ignorieren evtl. vorhandener Möglichkeiten dieser neuen Modelle im Interesse der Klienten und der eigenen Arbeit. Entscheidendes Kriterium für den Erfolg der Arbeit bleibt die Einschätzung der begleiteten Personen, die im Gespräch mit den Professionellen erarbeitet wird.

Summary: Reflections on professionality and competence in difficult times

In times of „financial cuts“ when public tasks‘ induding social work, are managerialised, the weight of (quantitative) criteria of economic efficiency increases. They may (seemingly) come to surpass the (qualitative) criteria of the efficacy of social work. This raises the question of occupational professionality and competence. The question really is whether to adapt pragmatically to the „objective necessities“ of empty public funds, to negate the clients‘ (developmental) needs, and finally to label them, or rather to question the preconditions of social policy, to recognize needs as legitimate and not to reduce occupational competence to economic necessities. An uncritical acceptance of managerial concepts about „customer orientation“, „service provision“, „planning, budgeting and evaluation“ is to be avoided as well as any disregard of existing possibilities that these new models may provide in the interest of the clients‘ and of one’s own work. The decisive criterion of success for social work remains the evaluation at which the attended persons arrive in conversation with the professionals.

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Bewegte Griffe und musikalische Begriffe; Musikmachen als Lernproblematik

Artikel von Hans Treplin in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Der Autor begreift Musikmachen als praktische Aneignung „musikalischer Gegenstände“ und Musizieren-Lernen als eine Möglichkeit, sich einen Zugang zu den formalen und inhaltlichen Bestimmungen der Musik zu verschaffen oder diesen zu verbreitern. Unter Rückgriff auf die von Holzkamp entwickelte Lernbegrifflichkeit wird die Begründungsstruktur des Musiklernprozesses analysiert, werden Möglichkeiten und Behinderungen des Lernprozesses thematisiert und das Verhältnis von Bewegungslernen und Gegenstandsaufschluß bestimmt.

Summary: Moved chords and musical concept: doing music as a problem of learning

The author considers playing music as a practical appropriation of „musical objects“ and learning to play music as a possibility to gain or to expand one’s access to the formal and qualitative determinations of music. Based on Holzkamp’s system of concepts about learning, the structure of reasons for the process of learning music is analysed, possibilities and restrictions of the learning process are thematised, and the relationship between motor learning and the comprehension of objects is determined.

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Zahlbegriff vs. Rechnen – oder: „Handlungsmagik“ und Probleme der „Identität“?

Artikel von Gisela Ulmann in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Piaget schreibt zwar, daß das arithmetische Denken sich Aspekten des entwickelten Zahlbegriffs nicht entziehen kann, woraus jedoch nicht gefolgert werden kann, daß der entwickelte Zahlbegriff arithmetischem Denken vorausgehen müsse – was der moderne Mathematik-Didaktik impliziert scheint. Aus unseren empirischen Untersuchungen (im Rahmen empirischer Praktika am Psychologischen Institut der FU Berlin) läßt sich eher schließen, daß Kinder den Zahlbegriff aus arithmetischen Aktivitäten bzw. Operationen erschließen. Die Ergebnisse unserer empirischen Untersuchungen können als Weiterentwicklung der Piaget’schen Theorie gesehen werden; aus ihnen folgt, daß in der Mathematikdidaktik umgedacht werden muß.

Summary: Concept of numbers vs. arithmetic – or the „magic of action“ and problems with identity?

While Piaget writes that arithmetic thinking cannot escape aspects of the developed concept of numbers, this does not imply that the developed concept of numbers must precede arithmetic thinking – as the modern didactics of mathematics seems to assume. From our empirical studies (conducted in connection with the students‘ practical training in empirical research at the Department of Psychology at the FU Berlin) it can rather be argued that children realise the concept of numbers from arithmetic activities and operations. The results of our empincal studies may be seen as an elaboration of the Piagetian theory; it follows from these results that the didactics of mathematics must be reconsidered.

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Lernen im raum-zeitlichen Kontext: Bemerkungen zu Problemen der Lernpsychologie auf der Grundlage von Wittgenstein

Artikel von Mark Galliker in Forum Kritische Psychologie 38 (1997).

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Zusammenfassung

Ausgehend von einigen Bemerkungen des mittleren und späten Wittgenstein zu psychologischen Problemen wird Lernen aus dem raum-zeitlichen Kontext heraus praktisch bzw. artefaktisch verstanden. Es stellt sich die Frage, ob diese Betrachtungsweise eine Vermittlung zwischen dem begründungstheoretischen und dem psychoanalytischen Ansatz ermöglicht. Untersucht wird die Begründung, die Konsequenz sowie das Kriterium des Lernens. Im Zentrum der Studie steht der Begriff „Umlernen“. Es wird nicht ex nihilo gelernt, sondern immer schon ausgehend von einer Basis, die in der Folge nur noch umgewandelt wird. Der begründungstheoretische Ansatz befaßt sich mehr mit dem absichtlichen und der psychoanalytische Ansatz mehr mit dem unabsichtlichen Umlernen. In methodologischer Hinsicht wird vorgeschlagen, Lernen unter dem Aspekt des Subjekts und zugleich unter dem Aspekt des Objekts zu betrachten.

Summary: Learning in spatio-temporal context: Remarks on problems of the psychology of learning based on Wittgenstein

On the basis of some remarks about psychological problems in Wittgenstein’s middle and late work, we understand learning in practical and artifactual tenns from its context in time-space. The question arises whether this paint of view enables us to mediate between the approaches of the theory of subjective reasons and psychoanalysis. We study the reasons, the effects and the criterion of learning. The concept of „re-learning“ is central in our study. Learning does not occur from the scratch, but always from a basis which is merely transformed in what follows. The theory of reasons is concerned more with the intentional, the psychoanalytic theory more with the unintentional re-learning. In methodological terms we propose to regard learning both in a subjective and an objective aspect.

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